Liebe Nutzer,
für ein optimales und schnelleres Benutzererlebnis wird als Alternative zum von Ihnen verwendeten Internet Explorer der Browser Microsoft Edge empfohlen. Microsoft stellt den Support für den Internet Explorer aus Sicherheitsgründen zum 15. Juni 2022 ein. Für weitere Informationen können Sie sich auf der Seite von -> Microsoft informieren.
Liebe Grüße,
Ihr ifb-Team
Was Betriebsräte bei suchterkrankten Mitarbeitern tun können – Suchttherapeutin Ilona Röpcke im Gespräch
Nikotin, Medikamente, Drogen, Glückspiele – Menschen können von vielen Dingen abhängig sein. Die größte Suchtgefahr birgt jedoch der Alkohol. Laut epidemiologischen Suchtsurvey des Instituts für Therapieforschung München (IFT) weisen 18 Prozent der deutschen Erwachsenen einen problematischen Alkoholkonsum auf. Das entspräche neun Millionen (!) Menschen. Und kostet Schätzungen zufolge der Volkswirtschaft etwa 57 Milliarden Euro. Was also tun, wenn die Sucht eines Mitarbeiters betriebliche Abläufe gefährdet? Nicht erst dann sollte der Betriebsrat einschreiten, wie Suchttherapeutin Ilona Röpcke sagt.
Ilona Röpcke: Dann, wenn etwas eine so große Rolle spielt, dass es alles andere in den Hintergrund drängt. Wenn man diese Sucht also immer weiter priorisiert und anderes vernachlässigt: Partner, Freunde, Hobbies. Auch der Kontrollverslust spielt eine große Rolle. Prof Dr. Lindenmeyer sagt, abhängig ist jeder, der die Einnahme eines Suchtmittels nicht beenden kann, ohne dass unangenehme Zustände körperlicher oder seelischer Art auftreten […] oder, der immer so viel von einem Suchtmittel zu sich nimmt, dass er sich oder andere schädigt.
Ilona Röpcke: Im schlimmsten Fall bis zum Tod. Entweder, weil es keine Perspektive mehr gibt und sich Betroffene suizidieren. Oder, weil sie an den gesundheitlichen Folgen sterben. Zuvor steht häufig die Vereinsamung, dazu der Verlust von Arbeit, Freundschaften, Partnerschaften, Führerschein, Geld, Gesundheit. Es ist eine Negativspirale.
Ilona Röpcke: Generell werden substanzgebundene und verhaltensgebundene Süchte unterschieden. Auch Medikamenten wie Schmerz- und Beruhigungsmittel können abhängig machen – oder Nasenspray. Verhaltenssüchte beziehen sich auf die Bereiche pathologisches Spielen, Kaufsucht, Sexsucht, PC- und Internetsucht oder Esssucht. Grundsätzlich kann sich jedes Verhalten zu einer Sucht entwickelt, natürlich auch die Arbeit. Die Aufmerksamkeit ist dann vollkommen auf die jeweilige Tätigkeit ausgerichtet, etwa am Spielautomaten. Im Falle der PC-/Internetsucht geht es um ein völliges Aufgehen in dem Geschehen einer Spielwelt und das Ausblenden der Zeit oder anderer Aufgaben.
Ilona Röpcke: Das ist schon der Alkohol. Bei den meisten anderen schädigen sich Betroffene hauptsächlich selbst, gerade beim Alkohol hängen viele mit dran: Kollegen oder Familien. Leittragende sind vor allem die Kinder, die keine normale Kindheit haben. Sie nehmen etwa keine Freunde mit nach Hause, weil sie nicht wissen, wie Papa oder Mama drauf sind. Oder sie erleben Gewalt und Vernachlässigung.
Fachtagung: Psychischen Belastungen erfolgreich entgegentreten
Wer Ilona Röpcke live erleben möchte, kann dies unter anderem auf der Fachtagung „Psychischen Belastungen erfolgreich entgegentreten“ vom 12. bis 15. September in Würzburg. Sie ist als Referentin des Workshops „Der Zusammenhang von Sucht und Psyche“ zu Gast.
Ilona Röpcke: Bei den betroffenen Mitarbeitenden kommt es zu sinkender Arbeitsleistung, Fehlern und sogar Unfällen sowie häufigen Fehlzeiten. Es wird davon ausgegangen, dass die Leute durchschnittlich nur 75 Prozent der Leistung bringen, hieraus resultiert ein betriebswirtschaftlicher Schaden von 25 Prozent der Lohnkosten. Ganz davon abgesehen ist es eine psychische Belastung, wenn es in einem Team einen Fall gibt. Spannungen wirken sich auf die Zusammenarbeit aus, dadurch entsteht schlechte Stimmung. Oft versuchen Teams, es lange mitzutragen, aber irgendwann haben sie keine Lust mehr. Oft machen auch Führungskräfte den Fehler, ein bestimmtes Verhalten zu lange zu tolerieren.
Ilona Röpcke: Leider. Weil oft Unwissenheit herrscht, wie ich es richtig mache und dann mach ich lieber nichts. Nichts tun und wegschauen ist jedoch keine gute Option. Von allein wird sich das Problem nicht lösen. Nur wenn jemand dem Betroffenen den Spiegel vorhält, erhält er einen Impuls, sich mit dem Problem zu befassen. Jedes Unternehmen hat eine soziale Verantwortung gegenüber seinen Mitarbeitenden. Doch zu oft wird weggeschaut oder zu spät gehandelt.
Ilona Röpcke: Frühzeitiges Ansprechen hilft, suchtbezogene Probleme am Arbeitsplatz in den Griff zu bekommen und Risiken zu vermeiden. Vor allem aber erspart es der betroffenen Person eventuell die Chronifizierung ihres problematischen Konsums. Ganz wichtig ist, dass es betriebliche Regelungen gibt – bestenfalls klar festgehalten in einer Betriebsvereinbarung mit Interventionsleitfaden. Führungskräfte müssen geschult und sensibilisiert sein, damit sie ihrer Führsorgepflicht nachkommen. Natürlich sollte im Bereich Suchtprävention regelmäßig etwas gemacht werden. Wenn sich zu viele, zu lange Co-abhängig verhalten, kann sich die Suchtkrankheit chronifizieren. Gerade was das Sensibilisieren angeht, kann der Betriebsrat großen Einfluss nehmen. Damit alle im Unternehmen wissen: Es ist kein Anschwärzen! Durch frühzeitige Intervention wird Schlimmeres verhindert. Ich vergleiche es gern mit unterlassener Hilfeleistung. Wenn jemand stürzt und blutet, dann braucht er Hilfe. Und wenn ich sehe, dass bei jemanden etwas nicht stimmt, ist das genauso.
Ilona Röpcke: Ja, da gibt es Studien. Vor allem die, die vorher schon riskant konsumiert haben, waren und sind gefährdet. Auch, weil vieles, was man zuvor gemacht hat, weggefallen ist. Dinge, mit denen man sich ablenken oder belohnen konnte. Im Grunde wurde Corona dann gleich vom Ukraine-Krieg abgelöst. Die letzten Jahre sind nicht spurenlos an uns vorbei gegangen, viele kämpfen mit Angststörungen, Depressionen oder Schlafstörungen. Eine Bewältigungsstrategie ist Substanzkonsum oder süchtiges Verhalten. Das hilft, die unangenehmen Gefühle nicht spüren zu müssen.
Ilona Röpcke: Wichtig ist, zu beobachten und sein Verhalten zu reflektieren: Gehe ich noch meinen Interessen nach? Wie kann ich auf andere Weise meine Gefühle regulieren? Hat sich mein Verhalten verändert? Gehe ich joggen, mache ich autogenes Training oder geh Tanzen? Oder greife ich immer häufiger zur Substanz oder übe ein bestimmtes Verhalten aus? Habe ich körperliche Probleme? Vernachlässige ich mich oder andere? Es gibt auch gute Selbstteste im Internet für Cannabis, Alkohol oder Mediennutzung.
Ilona Röpcke: Ganz wichtig ist die direkte Ansprache. Man sollte die Leute mit der eigenen Wahrnehmung konfrontieren, die Veränderungen und Auffälligkeiten ansprechen. Es sollte auch thematisiert werden, was diesen Verhalten für Auswirkungen auf die anderen in der Umgebung hat. Es geht nicht darum, den Süchtigen zu bekehren oder zu einem Eingeständnis seiner Sucht zu bewegen. Sondern, dass er sein Verhalten ändert.
Ilona Röpcke: Sich klar abzugrenzen und konsequent zu bleiben. Das Thema ansprechen! Man fürchtet, den anderen zu beschämen, zu Unrecht zu verdächtigen und zu kränken. Gleichzeitig ist es das Wichtigste. Ich kann Leute nur ermuntern, mit den Betroffenen ins Gespräch zu gehen. Die Devise für die Auseinandersetzung mit dem Abhängigen lautet: „Hilfe durch Nicht-Helfen“. Es geht darum, die Unterstützung bei der Bewältigung des Alltags zu unterlassen. Wenn Fehler sichtbar werden, sind sie gezwungen, die Realität wahrzunehmen und mit den Konsequenzen zu leben. Der Wille zur Veränderung muss im Betroffenen selbst entstehen und nur er ist in der Lage, seine Situation zu verbessern. Wer sich nicht ändern will, lässt sich nicht ändern!
Ilona Röpcke: … und das sollte gemacht werden! Beispielsweise andere Bewältigungsstrategien für Probleme erlernen: Entspannungsmethoden, Yoga, auch Angebote zum Thema Resilienz und Selbstsorge. Dass die Mitarbeiter lernen, Konflikte zu klären und mit Stress umzugehen. Die klassischen Dinge, die meist im BGM angeboten werden, gehören ebenso zur Suchtprävention. (tis)
Kontakt zur Redaktion
Haben Sie Fragen oder Anregungen? Wenden Sie sich gerne direkt an unsere Redaktion. Wir freuen uns über konstruktives Feedback!