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„Der jetzige Stand der Krankenhausreform ist realitätsfern“

© AdobeStock | stockphoto-graf
Stand:  26.8.2024
Lesezeit:  02:30 min
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Interview mit Dr. Kerstin Stachel zu den aktuellen Herausforderungen für Beschäftigte und Betriebsräte in Krankenhäusern

Die Krankenhausreform steht vor der Tür, doch sind die Ziele realistisch? Nein, sagt die Expertin für das Gesundheitswesen Dr. Kerstin Stachel. Jedes Krankenhaus werde versuchen, im neuen System zu überleben und so werde der Kampf ums Personal weitergehen, sagt sie. Wir sprachen mit Ihr über die Herausforderungen und Chancen für Betriebsräte und Beschäftigte in Krankenhäusern.

Dr. Kerstin Stachel

Expertin für das Gesundheitswesen

Dr. Kerstin Stachel berät Krankenhäuser im Change-Prozess.

Frau Dr. Stachel, was halten Sie persönlich von den aktuellen Plänen der Krankenhausreform?

Kerstin Stachel: Zunächst: Eine Reform ist grundsätzlich dringend notwendig.  Der jetzige Stand der Krankenhausreform ist allerdings realitätsfern und für Krankenhäuser mit knappen finanziellen Mitteln kommt die Hilfe durch die Vorhaltepauschalen wahrscheinlich zu spät, denn die Krankenhausreform kommt erst 2026. Aber werfen wir einen Blick auf die Ziele, die mit der Krankenhausreform erreicht werden sollten. Herr Minister Lauterbach sagte zu Beginn, als er eine „Revolution“ ankündigte: es darf nicht mehr ums Geld gehen, das System soll entökonomisiert werden. Er versprach weniger Bürokratie, mehr Qualität und einen besseren Einsatz von Fachkräften. 

Veranstaltungstipp:

Symposium „Zukunftsperspektiven für Krankenhäuser
vom 04. bis 06. November 2024 in München. 

Werden diese Ziele Ihrer Meinung nach mit der Reform erreicht? 

Kerstin Stachel: Nein! Es gibt ein zusätzliches Finanzierungssystem, da die diagnosebezogenen Fallgruppierungen (DRGs) bleiben und es zusätzlich noch Vorhaltepauschalen gibt. All das muss mit den Krankenkassen verhandelt werden.  Das bedeutet definitiv mehr Bürokratie. Die jetzigen Prüfungen durch den medizinischen Dienst werden in die Prüfung der Leistungsgruppen verlagert. Geprüft werden dieselben und neue Kriterien an anderer Stelle. Also auch hier keine Vereinfachung. Jedes Krankenhaus wird versuchen im neuen System zu überleben und so wird der Kampf ums Personal weitergehen. Aus meiner Sicht darf auch die Krankenhausreform nicht isoliert gedacht werden, sondern es müsste eine Reform des Gesundheitssystems geben und die Sektorengrenzen müssen endlich weg. 

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Die Chancen der Reform? Derzeit für mich nicht erkennbar, denn dazu müsste man dafür sorgen, dass Krankenhäuser nicht „zufällig “ insolvent gehen...

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Sehen Sie auch Chancen in den anstehenden Veränderungen?

Kerstin Stachel: Die Chancen der Reform? Derzeit für mich nicht erkennbar, denn dazu müsste man dafür sorgen, dass Krankenhäuser nicht „zufällig “ insolvent gehen, sondern dass die Versorgung in den Regionen strukturiert neu geordnet wird. Das wäre Aufgabe der Landespolitik im Rahmen der Krankenhausplanung, aber ich habe derzeit nur sehr wenige Politiker getroffen, die sich an diese Aufgabe wagen. Auch Fusionen zwischen kommunalen, privaten, freigemeinnützigen oder landeseigenen Krankenhäusern können nur stattfinden, wenn sie von den Trägern und der lokalen Politik unterstützt und gewollt sind. Aber wie oft hält der Bürgermeister, der Landrat oder der Abgeordnete an „seinem“ Krankenhaus fest und verhindert so die dringend notwendigen großen Schritte?
Ich will nicht zu pessimistisch sein, denn wie immer gilt: In jeder Krise liegt eine Chance. Und diese Chance liegt darin, dass die Krankenhäuser derzeit noch stärker unter wirtschaftlichem Druck stehen und wenn sie diese Phase überhaupt überstehen, dann nur mit schlanken, digitalen und effizienten Prozessen. 
In der Praxis hinken die Krankenhäuser in vielen Prozessen der Industrie um Jahrzehnte hinterher und es geht in allen Berufsgruppen viel Zeit verloren, weil man Informationen sucht, nicht bekommt oder die Informationen falsch sind. Das zermürbt alle Berufsgruppen in ihrer täglichen Arbeit und kostet viel Geld und Zeit, dass das jetzt zwangsweise ein Ende haben muss, ist wirklich gut und die privaten Kliniken machen ja vor, welche Effizienzreserven hier schlummern.

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Grundsätzlich ist Veränderung immer eine Herausforderung, denn Menschen halten nur allzu gerne an Gewohntem fest.

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Wie unterscheiden sich die Change-Prozesse im Krankenhaus denn von denen anderer Unternehmen?

Kerstin Stachel: Grundsätzlich ist Veränderung immer eine Herausforderung, denn Menschen halten nur allzu gerne an Gewohntem fest. Im Krankenhaus sind es vor allem die traditionelle Aufteilung in Berufsgruppen und die komplexen rechtlichen Rahmenbedingungen. Außerdem gibt es einen Widerspruch zwischen dem Anspruch der Ärzte und Pflegekräfte, das Maximum für den Patienten zu wollen, und den ökonomischen Vorgaben des Sozialgesetzbuchs, nur die wirtschaftlich notwendige Behandlung für den Patienten zu erbringen. Hinzu kommt die schwierige Führbarkeit von Experten. Experten und Pflegekräfte brauchen Entscheidungsfreiheit, um ihre Arbeit gut machen zu können, denn nur sie haben das Expertenwissen, um die Patienten optimal zu versorgen. Dies wird dann aber oft als Argument genutzt, um “mit dem Leichentuch zu wedeln”.  Jeder im Krankenhaus hat wahrscheinlich schon einmal den Satz gehört: Wenn Sie das so machen, sterben Patienten. All diese Mechanismen machen einen Change-Management-Prozess im Krankenhaus noch anspruchsvoller und komplexer als in jedem anderen Unternehmen.

Was können Betriebsräte tun, damit der Prozess gelingt?

Kerstin Stachel: Betriebsräte sind oft die erste Anlaufstelle für alle Beschäftigen, die keine Veränderungen wollen, die versuchen, den Status quo zu zementieren. Oft scheinen die Argumente auf den ersten Blick plausibel. Das Ganze wird noch dadurch verstärkt, dass die Unternehmensleitung schlecht oder unvollständig informiert, so dass auch die Betriebsräte die Maßnahmen nicht vollständig nachvollziehen können. Das ist ein verhängnisvoller Teufelskreis. Es entsteht eine Kultur des Misstrauens. Ich kenne große Häuser, da scheint ohne Schiedsstelle nichts mehr zu gehen. Das muss nicht sein. 

Haben Sie Tipps, wie sich das vermeiden lässt?

Kerstin Stachel: Fordern sie als Betriebsrat die Gespräche und die frühzeitige Information ein. Sorgen Sie dafür, dass es für die Unternehmensleitung zur Routine wird, Sie regelmäßig zu informieren. Lassen Sie die Unternehmensleitung an Ihren Informationen teilhaben.
Oft hören Betriebsräte das Gras wachsen, weil sie so viele Gespräche mit den Beschäftigten führen, und aufgrund der Komplexität ist es für die Unternehmensleitung fast unmöglich, alle Eventualitäten im Voraus zu kennen. Wie in jeder Partnerschaft erfordert Vertrauen Investitionen von allen Beteiligten. Wissen ist Macht: Je besser die Betriebsratsmitglieder die aktuellen Veränderungen im Gesundheitswesen verstehen, desto einfacher ist ein Dialog auf Augenhöhe. 
Mein Tipp: Sorgen Sie für Fortbildungen und Qualifizierungsmaßnahmen ihrer BR-Mitglieder. Nutzen Sie gegebenenfalls die Möglichkeiten, eine Situation von einem externen Experten beleuchten zu lassen bevor die Situation eskaliert. Nutzen Sie aber auch das Know-how von Stabstellen und Bereichsleitern und suchen mit diesen den regelmäßigen Dialog.

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Am wichtigsten ist reden, reden, reden.

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Und wie ist es mit der Belegschaft? Hier ist die Unsicherheit wegen anstehender Veränderungen oft sehr groß.

Kerstin Stachel: Am wichtigsten ist reden, reden, reden. In einem Krankenhaus gibt es viele Perspektiven auf ein Thema. Je besser man die verschiedenen Perspektiven kennt, desto besser kann man Projekte begleiten. Veränderung braucht Ausdauer und Geduld. Klar, es sind viele kleine Schritte, die gegangen werden müssen, und oft hört man "es geht nicht voran". Richten Sie den Blick immer wieder auf die kleinen Erfolge und tragen Sie dazu bei, dass das Management auch die kleinen Erfolge der Mitarbeiter anerkennt. 
Denn Veränderung ist notwendig. Das Festhalten am Status quo hilft nicht weiter. Es gilt, dies den Beschäftigten zu erklären, ihnen die Angst zu nehmen. Niemand muss um seinen Arbeitsplatz im Gesundheitswesen fürchten, denn auch in den Verwaltungsbereichen sind heute schon viele Stellen unbesetzt. Sorgen Sie mit dafür, dass die Beschäftigten die Chancen der Veränderung auch für sich persönlich erkennen.
Nur gemeinsam werden wir die großen Herausforderungen bewältigen können. (sw)

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