Auf dem Arbeitsmarkt ist viel in Bewegung: Fachkräftemangel vs. Kostendruck; Lieferengpässe vs. Automatisierung und KI. In diesem Spannungsfeld bewegt sich auch das Streitthema Zeiterfassung. Klar, die Erfassung ist Pflicht, das ist inzwischen allerorts bekannt. Aber wie werden kleine Pausen in der Praxis gehandhabt? Und wie das große Ganze kontrolliert?
Um es gleich vorwegzunehmen: Was wir hier zusammengetragen haben, ist ein kleiner Ausschnitt aus den Betrieben. Aber ein sehr interessanter, denn die Spanne reicht weit! Denn unabhängig von der Branche und Betriebsgröße zeigt sich ein sehr unterschiedliches Bild beim Thema „Ein – und Ausstempeln“.
Immer noch stehen Raucherpausen recht weit oben auf der „Ärgernis-Skala“ rund um die Zeiterfassung.
Raucherpause? Da traut sich keiner ran …
Immer noch stehen Raucherpausen recht weit oben auf der „Ärgernis-Skala“ rund um die Zeiterfassung. „Egal wie man sich hier positioniert, man wird immer einen Shitstorm ernten“, schreibt ein Betriebsrat. Auch sein Arbeitgeber will sich offenbar nicht in die Nesseln setzen. Das Resultat: Ausstempeln wird nicht gefordert.
Ähnlich ist es auch in einem anderen Unternehmen: „Stempeln interessiert niemanden“ – Raucherpausen müssten ebenso wenig ausgestempelt werden wie „Schwätzchen“. Warum? Oft würden diese Pausen genutzt, um geschäftliche Themen zu diskutieren und auszutauschen. Eigentlich ein guter Gedanke. Was aber, wenn es zu arg wird? Dann muss sich die Führungskraft darum kümmern, denn „alles verbieten wäre die schlechteste Lösung“.
Ein anderer Fall zeigt: Auch rauchende Führungskräfte sind nicht immer ein Vorbild. Zwar habe man sich laut Betriebsvereinbarung auszustempeln, nur halte sich niemand daran. „Das Thema sorgt seit Jahrzehnten für Unmut und zwei gespaltene Lager“. Das Fazit eines Betriebsrats: „Ich führe keine Gespräche mehr im Raucherbereich“.
Ähnlichen Ärger verursachen zuweilen aber auch überzogene Mittagspausen und der schnelle Gang „nach nebenan zum Einkaufen“.
Kaffeeautomat rückt in den Fokus
Ähnlichen Ärger verursachen zuweilen aber auch überzogene Mittagspausen und der schnelle Gang „nach nebenan zum Einkaufen“.
In einem anderen Betrieb sei der Arbeitgeber zwar großzügig, „allerdings sind die Aufenthalte am Wasserspender bzw. Kaffeeautomaten etwas in den Fokus geraten, da sich dort gerne Mitarbeiter treffen und austauschen“. Das System ziehe die gesetzliche Pausenzeit automatisch ab; eine Kontrolle, ob diese Zeit korrekt eingehalten wurde, finde nicht statt. Der Betriebsrat kontrolliere u.a .die Einhaltung der Überstunden.
Niemand achtet darauf, wer, wann oder ob eine Pause genommen wird.
Pausen stehen nur auf dem Zettel?
Auch dieser Blickwinkel ist interessant, denn das andere Extrem in den Unternehmen sind Pausen, die zwar abgezogen, aber tatsächlich gar nicht genommen werden: „Niemand achtet darauf, wer, wann oder ob eine Pause genommen wird.“ Die einzige Diskussion drehe sich immer wieder um die Erfassung von Pausen. Erfasst werden in diesem Fall Arbeitsbeginn und Arbeitsende; 30 Minuten Mittagspause würden automatisch abgezogen.
So auch in diesem Unternehmen: „Wir stempeln minutengenau und am Ende des Tages … zu wenig genommene Pausenzeiten werden automatisch abgezogen“. Immer öfter käme es vor, dass Kollegen 8 Stunden durchgehend ohne Pause arbeiten; sich zuhause aber nochmals für ein oder zwei Minuten einstempeln, um so den Pausenabzug zu vermeiden. Auch das sei nicht im Sinne des Arbeitszeitgesetzes! Plötzlich tauchen neue Fragen auf, wie z.B.: Muss es eine Mindest-Einstempeldauer geben?
Einloggen erst am Rechner über ein Zeiterfassungstool – „hier verliert man etwa 5 bis 10 min pro Tag“.
5 bis 10 Minuten fehlen pro Tag
Wann beginnt eigentlich der Arbeitstag, ab wann ist es Arbeitszeit? Umkleidezeiten sind dabei immer wieder ein Streitthema, aber auch die Zeiterfassung am PC bei Bürojobs. Einloggen erst am Rechner über ein Zeiterfassungstool – „hier verliert man etwa 5 bis 10 min pro Tag“. In anderen Betrieben werde hierfür eine pauschale Rüstzeit gutgeschrieben. Immer wieder buche das Tool außerdem Zeiten nicht – Kontrolle (und ggfs. Nachbuchen) gelinge über eigene Notizen in einem Papierkalender.
Nasenfaktor entscheidet mit
„Das mit der Duldung der Freizeitbeschäftigung außerhalb der Pause ist bei uns eine ganz einfache Sache“, schreibt ein anderer Interessenvertreter. Es komme darauf an, welcher Mitarbeiter sich diese Freiheiten herausnimmt und wie gut er mit der Leitung steht. Sei die Leitungskraft vor Ort Raucher, würden Raucherpausen ignoriert. Beschwerten sich die Mitarbeiter über zu viel Arbeit, verweise die Leitung auf zu viele Raucherpausen.
Auch auf den Nasenfaktor komme es an: „Geduldet wird vieles –- bei manchen mehr, bei Leuten auf der roten Liste wird hingegen genau geguckt“.
Früher war der Gang zur Brotzeit Arbeitszeit, heute müsse man dafür ausstempeln.
„Insgesamt wird es rauer“
„Früher durften unsere Raucher rauchen, so oft und so lange wollten. Heute müsse man zum Rauchen ausstempeln. Früher war der Gang zur Brotzeit Arbeitszeit, heute müsse man dafür ausstempeln.“ Insgesamt werde es rauer, so das Fazit dieses Betriebsrats. „Mittlerweile hört man sogar von Abmahnungen, wenn jemand ein bis zwei Minuten vor oder nach der Pause in sein Brötchen beißt oder einen Kaffee holt.“
Wie lang wird effektiv gearbeitet?
Seit das Unternehmen dieser Interessenvertreterin vor einigen Jahren an ein chinesisches Unternehmen verkauft wurde, wird die Produktivität immer mehr zum Thema. „Meine Erfahrung ist, dass es tendenziell nur sechs Stunden sind, die wirklich effektiv gearbeitet werden – nicht acht“. Ihre provokante Frage: Könne die Arbeit nicht auch in vier Tagen erledigt werden, wenn man konzentriert arbeitet? Zigarettenpausen, Schwätzchen in der Teeküche, Pausen, um in Internet zu surfen – all diese Zeiten ergeben schnell eineinhalb bis zwei Stunden am Tag, ohne dass es den Leuten selber auffalle.
„Geben und Nehmen im Gleichgewicht“
Zum Schluss ein wahres Wort eines Betriebsrats, der auf das große Ganze blickt bei dem Thema: „Alles ist irgendwie ein Geben und Nehmen und funktioniert prima, solange beide Seiten die ganzen Gesetze und Regeln nicht auf die Goldwaage legen und alles mit Augenmaß betrachten … Fängt eine Seite an es an irgendeinem Punkt zu übertreiben, gerät das ganze Verhältnis in Schieflage und gipfelt dann schlimmstenfalls in einem Termin vor dem Arbeitsgericht.“
Es gehe bei dem Thema um Vertrauen, so sein Fazit. Der Großteil ihrer Führungskräfte vertraue den Mitarbeitern einfach, dass sie ihre geforderten Leistungen erbringen; der Großteil der Mitarbeiter wisse dieses Vertrauen zu würdigen und „belohne“ es meist mit Loyalität und guten bis sehr guten Leistungen. „Wenn der Raucher dreimal am Tag für fünf Minuten rauchen geht, kann der Nichtraucher sich vielleicht einen Kaffee holen und dann starten beide „mit neuer Kraft“ wieder richtig durch. Geht der Raucher dreimal die Stunde für fünf Minuten raus, könnte das wohl etwas viel sein!?
Rufe ich mal drei Minuten meine Frau an, um ihr zu sagen, dass ich heute eine halbe Stunde später komme, wird sich sicher kein Arbeitgeber beschweren. Telefoniere ich aber täglich zwei Stunden mit meinem ganzen Freundeskreis, wird das deutlich zu viel sein.
Schau ich mal kurz auf Google-Maps nach, welche Route für eine private Autofahrt am Nachmittag vorgeschlagen wird, ist das sicher für die Firma zu verschmerzen. Plane ich aber die nächste Weltreise tagelang und detailliert während der Arbeitszeit aus, mute ich meinem Arbeitgeber vielleicht doch etwas viel zu.
Dass die Fußballergebnisse vom Wochenende am Montagmorgen auf den Fluren und in den Büros und Werkstätten ausdiskutiert werden, ist aber vermutlich schon deutsches Kulturgut, was nicht mehr von der Arbeitszeit getrennt werden kann. Diskutiert der Chef als Klubmitglied mit Dauerkarte doch häufig genug selbst mit.“ (cbo)