Liebe Nutzer,

für ein optimales und schnelleres Benutzererlebnis wird als Alternative zum von Ihnen verwendeten Internet Explorer der Browser Microsoft Edge empfohlen. Microsoft stellt den Support für den Internet Explorer aus Sicherheitsgründen zum 15. Juni 2022 ein. Für weitere Informationen können Sie sich auf der Seite von -> Microsoft informieren.

Liebe Grüße,
Ihr ifb-Team

News Arbeitszeit Überstundenzuschläge: Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten?

Überstundenzuschläge: Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten?

Vollzeit ist keine zulässige Richtschnur

Muss der Arbeitgeber für geleistete Überstunden erst dann einen Zuschlag zahlen, wenn diese Stunden über die normale Wochenarbeitszeit in Vollzeit hinausgehen? So sehen es einige Tarifverträge vor. Das ist nicht zulässig – diese Anknüpfung an Vollzeit als Schwellenwert ist von der Rechtsprechung gekippt worden.  

Markus Brandt | ifb

Stand:  20.5.2025
Lesezeit:  04:30 min
Überstundenzuschläge: Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten? | © AdobeStock | Medienzunft Berlin

In manchen Tarifverträgen ist geregelt, dass der Arbeitgeber für geleistete Überstunden einen Zuschlag zahlen muss, der aber erst dann fällig wird, wenn diese Stunden über die normale Wochenarbeitszeit in Vollzeit hinaus gehen. Also wenn z.B. die Wochenarbeitszeit bei 38 Stunden liegt, wird der Überstundenzuschlag ab der 39. Wochenstunde fällig – egal, ob die Person Vollzeit oder Teilzeit arbeitet. 

Ist das gerecht? 

Aus Gerechtigkeitssicht gibt es dazu gegensätzliche Positionen: Die Teilzeitkraft empfindet es als ungerecht, wenn sie über ihre persönliche Arbeitszeit hinaus mehr arbeitet und dafür (anders als die Vollzeitkraft) keinen Zuschlag erhält; die Vollzeitkraft stellt sich die Frage, warum eine Teilzeitkraft für dieselbe Arbeit bei weniger Stunden infolge der Zuschläge rechnerisch einen höheren Stundenlohn erzielen sollte als sie selbst. So würde beispielsweise die Teilzeitkraft schon ab der 11. Stunde mehr Geld bekommen als die Vollzeitkraft, die bis zu 38. Stunde nur den Normallohn bekommt.  

Der Schutz vor Überstunden sei durch einheitliche Schwellenwerte gerade nicht zu erreichen, im Gegenteil.

Das BAG entscheidet: Es ist unzulässig!

Das Bundesarbeitsgericht hatte unter anderem über einen Fall einer weiblichen Pflegekraft zu entscheiden, die in Teilzeit beschäftigt ist. Für ihr Arbeitsverhältnis gilt ein Manteltarifvertrag, der Überstundenzuschläge nur für solche Stunden vorsah, die über die kalendermonatliche Arbeitszeit einer vollzeitbeschäftigten Person hinausgingen.  Im Kern ging es damit um die Rechtsfrage einer möglichen Diskriminierung von Frauen durch die tarifliche Schwelle der Vollzeit zur Auslösung von Überstundenzuschlägen – das BAG legte dem EuGH diese Frage zur Vorabentscheidung vor. Die Richter wollten wissen: Welche sachlichen Gründe können eine Ungleichbehandlung von Teilzeitbeschäftigten bei der Überstundenvergütung rechtfertigen? Die Idee: Das Ziel der tariflichen Regelung könne sein, den Arbeitgeber von der Anordnung von Überstunden abzuhalten. Die Regelung könne außerdem dadurch gerechtfertigt sein, dass sie Vollzeitkräfte vor einer Benachteiligung gegenüber Teilzeitbeschäftigten schützen wolle. 

Dem trat der EuGH aber klar entgegen: Der Schutz vor Überstunden sei durch einheitliche Schwellenwerte gerade nicht zu erreichen, im Gegenteil. Die Regelung schaffe einen Anreiz für Arbeitgeber, Überstunden eher bei Teilzeitbeschäftigten anzuordnen. Und hinsichtlich der Frage, ob der Schwellenwert Vollzeitbeschäftigte vor einer Benachteiligung gegenüber Teilzeitbeschäftigten schütze, sieht der EuGH schon die Prämisse dieser Frage als falsch an. Schließlich erhielten auch Vollzeitbeschäftigte bereits ab ihrer ersten Überstunde die Zuschlagsvergütung. Darum wären sie nicht benachteiligt, wenn bei Teilzeitkräften dasselbe gelte.

Fazit des EuGH: Die Voraussetzung der Überschreitung von Vollzeit stellt eine mittelbare Benachteiligung von Frauen dar, weil die meisten Teilzeitbeschäftigten weiblich sind und deren Überstunden meist unter dieser Schwelle bleiben.

Wie erwartet, hat das Bundesarbeitsgericht im Ergebnis die tariflichen Regelungen für unwirksam erklärt (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 05.12.2024, 8 AZR 370/20).  Das BAG sprach der Klägerin eine Zeitgutschrift in Höhe der Überstundenzuschläge sowie eine Entschädigung wegen der mittelbaren Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu.

Viele Arbeitsverträge sind betroffen

Nun wurde auch die schriftliche Urteilsbegründung veröffentlicht.  Danach wird klar: Die Folgen dieser Entscheidung betreffen weite Teile der Wirtschaft, weil viele Tarifverträge Überstundenzuschläge erst ab Überschreiten einer bestimmten Zuschlagsgrenze vorsehen. Das kann erhebliche finanzielle Auswirkungen haben.

Das soll folgendes Rechenbeispiel verdeutlichen: Bei einer tariflichen Vollzeit von 40 Wochenstunden bekam eine 30-Stunden-Teilzeitkraft unter Geltung eines entsprechenden Tarifvertrags bisher keine Überstundenzuschläge, wenn sie 35 Stunden in der Woche statt der vereinbarten 30 Stunden gearbeitet hat. Wogegen der Vollzeitkollege schon ab seiner ersten Überstunde, also der 41. Stunde, zusätzlich einen Überstundenzuschlag verdiente. Nehmen wir an, der Zuschlag beträgt 6 Euro, dann bekam die Vollzeitkraft für 5 Überstunden 30 Euro extra und das Extra für die Teilzeitkraft betrug: 0 Euro. Nach der (lange Zeit von der Rechtsprechung angewendeten) Gesamtvergleichsbetrachtung war das unschädlich, solange in beiden Beschäftigungsarten (Vollzeit und Teilzeit) bei gleicher Stundenzahl derselbe Lohn gezahlt wird. Um im Beispiel zu bleiben: Bei 35 Stunden bekommt weder die Vollzeit- noch die Teilzeitkraft ein Extra bezahlt.

Durchgesetzt hat sich nun aber die Sichtweise, die das ungerecht findet. Nach der Einzelvergleichsmethode müssen die Gehaltsbestandteile Grundvergütung und Überstundenvergütung getrennt betrachtet werden. Denn bei den 35 geleisteten Wochenstunden im Beispiel hat die Teilzeitkraft im Unterschied zur Vollzeitkraft 5 Stunden ihrer Freizeit für die Arbeit geopfert und muss deshalb bereits ab der 31. Stunde Zuschläge erhalten. Darum ist das ein typischer Fall, wo Gleichbehandlung (beide bekommen nichts) im Ergebnis eine ungerechtfertigte Benachteiligung ist. Das bedeutet, dass der Teilzeitkraft im gewählten Beispiel (Teilzeit 30 Stunden, es werden aber 35 Stunden gearbeitet) 30 Euro extra gezahlt werden müssen (5 Stunden x 6 Euro = 30 Euro). Rechnet man das auf den Monat, das Jahr und alle Überstunden von Teilzeitkräften unter der Geltung entsprechender Tarifverträge mit Vollzeitschwellen für Überstundenzuschläge hoch, dann lässt sich erahnen, welches Ausmaß diese Rechtsprechung für die Wirtschaft hat. Als Idee für die Dimension muss man sich nur mal vor Augen führen, dass insgesamt in Deutschland von allen Arbeitskräften jährlich knapp 1,2 Milliarden Überstunden geleistet werden, und die Teilzeitquote bereits 30 % leicht überschreitet.

Was passiert aber eigentlich, wenn in unserem Beispiel die Teilzeitkraft dauerhaft 40 Stunden arbeitet und damit genau so viel wie die Vollzeitkraft? Dann verdient sie für die gleiche Arbeit mehr als eine Vollzeitbeschäftigte. Kann dann noch von einem zusätzlichen Belastungsausgleich für besondere Freizeitopfer die Rede sein? Und was ist eigentlich mit der Tarifautonomie? Das Bundesverfassungsgericht hat erst kürzlich klargestellt, dass der Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungspielraum der Tarifvertragsparteien die richterliche Kontrolldichte beschränkt (BVerfG 11.12.2024 – 1 BvR 1109/21, 1 BvR 1422/23). Man ahnt es, die Diskussionen um die Lohngerechtigkeit bei Teilzeit sind noch lange nicht vorbei.

Kontakt zur Redaktion Kollegen empfehlen
Drucken

Das könnte Sie auch interessieren

Wenn Meetings mehr Zeit fressen als nötig

Wer kennt das nicht: Der Chef ruft zu einem Meeting, es sitzen 5 Personen am Tisch und nach einer ha ...

Was hat sich getan?

Seit dem 01.01.2015 ist er in Kraft: der allgemeine Mindestlohn. Bei seiner Einführung haben die Geg ...

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Arbeitszeiterfassung: Das sollte der Betriebsrat wissen

Mitte Mai 2019 hat der Europäische Gerichtshof ein Urteil zum Thema Arbeitszeiterfassung gefällt. Da ...

Themen des Artikels