Herr Markowetz, wann hatten Sie Ihr Smartphone das letzte Mal in der Hand?
Ganz ehrlich – gerade eben. Auch mein eigener Umgang mit dem Smartphone hat mich vor Jahren zu der Studie motiviert. Als Informatiker ist man ja technisch in der Regel eh immer ein paar Jahre voraus.
Zusammen mit Ihrem Team haben Sie eine APP entwickelt, die das Verhalten der Smartphone-Nutzer dokumentiert.
Ja, mit unserer kostenlosen App „Menthal“ können Nutzer sehen, wie häufig sie ihr Smartphone und die Programme darauf nutzen. Die Ergebnisse flossen in unsere Forschung ein. Die Zahlen haben selbst uns dann selbst etwas überrascht: Im Schnitt nehmen wir alle 18 Minuten unser Smartphone zur Hand, insgesamt 88 Mal am Tag. 53 Mal davon entsperren wir das Handy, beispielsweise um zu surfen, eingehende Mails zu überprüfen oder um eine Nachricht zu schreiben.
Wie kommt es zum ständigen Griff in die Hosentasche, was ist die Ursache?
Es handelt sich nicht um eine rationale Entscheidung, das sagt uns schon die Häufigkeit des Griffs zum Handy. Jedes Mal, wenn wir das Handy benutzen, schüttet unser Körper Dopamin, also Glückshormone, aus. Es ist die Erwartung, die uns motiviert. Allein die Tatsache, dass es etwas Neues geben könnte, lässt uns das Smartphone zur Hand nehmen.
Das bindet natürlich Zeit. Aber warum halten Sie die Smartphone-Nutzung für gefährlich?
Eins vorweg: Ich bin kein Kulturkritiker; ich halte Smartphones nicht für gefährlich, weil sie relativ neu sind. Mir geht es eher um einen strukturellen Blickwinkel. Durch die ständigen Unterbrechungen zerfällt unser Tag, immer wieder werden wir abgelenkt. Das geht auf Kosten unserer Produktivität, weil nicht konzentriert am Stück bei einer Sache bleiben. Außerdem hat die permanente Ablenkung zur Folge, dass uns Pausen fehlen, in denen wir einfach mal nichts tun und die Gedanken schweifen lassen können – etwa an einer Bushaltestelle oder beim Warten auf die Teilnehmer eines Meetings. Mit dem Smartphone in der Hand ist unser Gehirn „dauer-on“. Das alles hat Stress zur Folge. Schlimmstenfalls droht ein digitaler Burnout.
Sie plädieren für eine „digitale Diät“.
Ja, es gilt, das eigene Verhalten zu überprüfen. Ich plädiere nicht für einen Totalverzicht. Sehen Sie, auch eine Ananasdiät bringt langfristig wenig. Ich plädiere aber für einen bewussten Umgang des Einzelnen mit seinem Handy. Man kann beispielsweise Zeiten auswählen, in denen das Gerät nicht genutzt wird. Beim Essen oder in Meetings sollte das Handy eh tabu sein. Man kann sich auch selbst überlisten, indem man das Smartphone so in die Tasche steckt, dass es mühsam ist, es herauszuholen. Im Schlafzimmer hat das Smartphone sowieso nichts verloren.
Wem der Verzicht schwer fällt, der kann sich vielleicht eine App installieren, die die Nicht-Nutzung des Smartphones belohnt. Vergessen sie nicht: Um unsere Glücksbatterie aufladen zu können, brauchen wir Zeit für uns. Ohne Unterbrechungen, ohne Ablenkung.
In Ihrem Buch „Digitaler Burnout“ schreiben Sie, in Unternehmen müsse es eine digitale Kommunikationsetikette geben. Was verstehen Sie darunter?
Meiner Meinung nach muss in Unternehmen eine veränderte Kommunikationskultur Einzug halten. Man kann sagen, dass uns die Technik davongelaufen ist. Nehmen Sie das Telefon als Beispiel: Früher war allen klar, zwischen 12 und 15 Uhr wird nicht telefoniert. Heute ist jeder immer erreichbar – und wir hinken den Folgen für die Beschäftigten hinterher. Trotz der neuen Medien müssen alle Beschäftigten fokussiert und mit klarem Kopf durch den Tag gehen können. Doch das muss kommuniziert und in Unternehmen gelebt werden. Durch intelligentere Abläufe im Arbeitsalltag geht es allen Beteiligten besser.
Nochmal ganz konkret: Was können Mitarbeiter, Unternehmen und Betriebsräte tun?
Da gibt es einige Ansätze. Sinnvoll ist es, zunächst ein Expertenteam aus Betriebsrat und Arbeitgeber einzusetzen, um eine individuelle Lösung für das Unternehmen zu erarbeiten – immer mit Blick auf die Gesamtbelastung der Beschäftigten.
An erster Stelle steht die Aufklärung: Beispielsweise kann man Tipps zum privaten Umgang mit dem Smartphone in der Betriebsratszeitung oder am Schwarzen Brett veröffentlichen, frei nach dem Motto „Klickt Euch nicht Euer Hirn weg“. Hier sind wir wieder bei der digitalen Diät. Sodann gilt es, eine entsprechende Kommunikationskultur im Unternehmen zu schaffen – über die Grenzen des Smartphones hinweg: Statt fünf E-Mails zur Terminabsprache hilft ein Anruf. Nicht permanent die Mails checken – wenn es dringend ist, muss man zum Telefon greifen. Eventuell Zeiten festzulegen, in denen Nachrichten und E-Mails nicht erwünscht sind. Zu viele Kanäle binden zu viel Zeit. Besser ist es, Dinge „en Block“ zu erledigen, und so weiter.
Darüber hinaus ist ein Wandel in der Führungskultur wichtig: Der Arbeitgeber muss begreifen, wie wichtig es ist, dass die Gedanken auch einfach einmal schweifen können. (CB)
Menthal: Eine Android-App dokumentiert die Smartphone-Nutzung
Zusammen mit seinem Team entwickelte Alexander Markowetz die App „Menthal“, die das Verhalten von Smartphone-Nutzern dokumentiert. Das Entriegeln des Telefons, das Schreiben von Nachrichten – die App überwacht jede Aktion mit dem Handy. Über 300 000 Nutzer haben die App bisher installiert und waren einverstanden, dass ihre die Daten für statistische Zwecke an die Universität Bonn weitergeleitet wird. Mit der Anwendung können die Nutzer sehen, wie häufig sie ihr Smartphone und die Programme darauf nutzen.
Zum Nachlesen:
Alexander Markowetz: Digitaler Burnout.
Warum unsere permanente Smartphone-Nutzung gefährlich ist.
Verlag Droemer Knaur, München 2015. 220 S., 19,99 €.