Wolfgang W. arbeitet als Büroangestellter im Finanzwesen. 40 Stunden die Woche, 8 Stunden täglich am Bildschirm. In der U-Bahn zückt der zweifache Familienvater das Smartphone, liest seine Nachrichten und stöbert in seinen sozialen Netzwerken. Zuhause angekommen ertönt der Klang des Fernsehers. Die Kinder konsumieren gerade Paw-Patrol: Die mutigsten Einsätze der Hundewelpen! Bis das Abendbrot fertig ist, sitzt der Papa bei den Kindern auf dem Sofa und lässt sich berieseln. Ein Alltag, der Schwerstarbeit für seine Augen bedeutet. Es fehlen wichtige Blickwechsel in die Ferne und ein längerer Aufenthalt an der frischen Luft mit ausreichend Tageslicht. Kein Wunder, dass die Anzahl der Brillenträger immer weiter steigt!
Digitaler Augenstress – was ist das?
Die Zahl der Brillenträger ist im Zeitraum von 1993 (58 %) bis 2019 (67 %) um neun Prozentpunkte gestiegen. Tatsächlich tragen inzwischen 2 von 3 Personen in Deutschland eine Brille.
Wie kommt das? 45 % der Beschäftigten arbeiten an einem Computerarbeitsplatz, quer durch alle Branchen. Die Computerarbeit lässt oft stundenlang nur den Blick zwischen Tastatur und Bildschirm zu. Sehrichtung und Entfernung sind dabei vorgegeben. Lichteinfälle und starke Kontraste strengen unsere Augen ebenfalls an. Mehr als 80 % der Arbeitnehmer, die täglich mehr als 3 Stunden am Bildschirm arbeiten, klagen über Beschwerden. Kopfschmerzen, trockene Augen oder Müdigkeit – Fachleute sprechen von digitalem Augenstress! Abhilfe schafft eine spezielle Sehhilfe für das Arbeiten am Bildschirm: die sogenannte Bildschirmbrille.
Welche Pflichten hat der Arbeitgeber beim Thema Bildschirmbrille?
Arbeitgeber sind gesetzlich verpflichtet, ihren Arbeitnehmern, welche Bildschirmtätigkeiten ausüben, eine Angebotsvorsorge anzubieten. Diese Verpflichtung gilt sowohl vor Beginn der Tätigkeit als auch währenddessen, insbesondere bei auftretenden Sehproblemen. Die rechtliche Grundlage hierfür bildet § 5 der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV). Außerdem findet sich in § 3 des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG) die Regelung, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, die erforderlichen Maßnahmen zum Gesundheitsschutz der Beschäftigten zu treffen. Darunter fällt auch der Schutz der Augen.
Die Untersuchung der Augen und des Sehvermögens der Mitarbeiter muss durch eine „fachkundige Person“ erfolgen – also durch einen Augenarzt oder den Betriebsarzt.
Warum sind normale Sehhilfen nicht ausreichend?
Bei der Arbeit am PC stoßen gewöhnliche Sehhilfen oft an ihre Grenzen, da sie nicht optimal auf diese Arbeitssituation ausgerichtet sind. Lesebrillen beispielsweise sind für einen Sehabstand von ungefähr 40 Zentimetern konzipiert, was beim Arbeiten am Bildschirm nicht immer ideal ist. Gleitsichtbrillen bieten zwar einen oberen Fernbereich, einen Zwischenbereich und einen Nahbereich. Jedoch ist der Zwischenbereich für mittlere Distanzen reduziert, da Gleitsichtbrillen darauf ausgelegt sind, den Wechsel zwischen Nah- und Ferndistanz abzudecken.
Bildschirmtätigkeiten erfordern täglich ca. 30.000 Blickwechsel zwischen Bildschirm, Tastatur, Arbeitsunterlage und auch mal zu den Kollegen im Büro. Das verlangt eine ausgezeichnete Sehschärfe und ein blitzschnelles Einstellen der Augen auf wechselnde Entfernungen, Blickwinkel und Kontraste. Eine Bildschirmbrille ist darauf ausgelegt, die Sicht auf eine Distanz zwischen 50 und 70 Zentimetern zu optimieren. Dazu kommt, dass diese speziellen Sehhilfen die Strahlenbelastung der Monitore durch einen Blaulichtfilter reduzieren. Mit dieser Spezialbrille heißt es hoffentlich: Kopfschmerzen ade!
Wer bekommt eine Bildschirmarbeitsplatzbrille?
Viele ältere Menschen über 40 Jahren leiden unter Altersweitsichtigkeit. Allerdings trifft die Sehschwäche auf kurze Distanz inzwischen auch jüngere Personen aufgrund ständigen Bildschirm- und Smartphone Konsums. Grundsätzlich profitiert jeder Beschäftigte von einer Bildschirmbrille, der arbeitstäglich viele Stunden vor dem Monitor verbringt. Darüber hinaus hilft sie auch den Menschen, die bereits an einer ausgeprägten Weitsichtigkeit leiden. Oft sind das Arbeitnehmer, die schon viele Jahre in entsprechenden Arbeitsbereichen tätig sind. Achtung: Es muss ein klarer Anspruch durch einen fachkundigen Arzt auf diese Brille bestehen.
Tipp: Gibt es in Ihrem Unternehmen schon eine Betriebsvereinbarung zur Bereitstellung einer Bildschirmarbeitsplatzbrille? Der Abschluss lohnt sich, hier können z.B. Regelungen zur privaten Nutzung getroffen werden (die Brille ist Eigentum des Arbeitgebers), zum Verfahren der Bereitstellung und zur Frage, was beim Ausscheiden eines Mitarbeiters mit der Brille passiert.
So läuft´s: Beantragung einer Bildschirmbrille bei Ihrem Arbeitgeber
- Verhandeln Sie als Betriebsrat oder Mitglied im Gesundheitsausschuss mit dem Arbeitgeber die Kostenübernahme. Zwar trägt der Arbeitgeber grundsätzlich die Kosten einer erforderlichen Bildschirmbrille. Aber Beschäftigte können, je nach Vereinbarung im Unternehmen, an den Kosten beteiligt werden, wenn sie eine Zusatzausstattung wünschen oder die Brille auch privat nutzen wollen. Die Kosten für die Sehhilfen können vom Arbeitgeber als Betriebsausgabe steuerlich geltend gemacht werden.
- Kommunizieren Sie an Ihre Kollegen die richtige Reihenfolge der Beantragung im Unternehmen und den Betrag der Kostenerstattung für eine solche Sehhilfe.
- Die Arbeitnehmer müssen einen Termin beim Betriebsarzt oder in einer Augenarztpraxis vereinbaren, sie brauchen ein Rezept oder eine Bescheinigung.
- Die ärztliche Verordnung sollte dann dem Arbeitgeber vorgelegt werden. Die Bestellung erfolgt über den Arbeitgeber oder über den Arbeitnehmer. Kann sich der Arbeitnehmer selbst um die Beschaffung kümmern, hat das einen klaren Vorteil. Er kann sich das Brillengestell und die Ausführung selbst aussuchen. Bei Designergestellen oder Extrawünschen wird er den Restbetrag selbst zu zahlen müssen.
- Vor dem Termin beim Optiker sollten die Arbeitnehmer am besten die individuellen Entfernungen abmessen, in denen Sie deutlich sehen wollen, zum Beispiel den Abstand zur Tastatur, zum Bildschirm etc.
- Der Arbeitnehmer kann die festgelegten Kosten beim Unternehmen geltend machen.
Aktuelle Rechtsprechung des EuGH: Arbeitgeber muss Brille für Bildschirmarbeit bezahlen
Der Europäische Gerichtshof hat am 22.12.2022 entschieden, dass bei Beschäftigten, die aufgrund Ihrer Tätigkeit eine Verschlechterung des Sehvermögens erlangen, der Arbeitgeber für eine spezielle Sehhilfe aufkommen muss. Das hat zur Folge, dass reine Zuschüsse nicht mehr ausreichen.
Fazit: Als Betriebsrat oder Mitglied im Gesundheitsausschuss oder Arbeitsschutzausschuss können Sie Ihre Kollegen am Bildschirmarbeitsplatz unterstützen. Legen Sie mit dem Arbeitgeber zusammen das Vorgehen für die Beantragungsschritte fest, damit alle Betroffenen von einer Bildschirmbrille profitieren können. Aber auch Maßnahmen zu Prävention wie Augengymnastik, kurze Sehpausen für den Blick in die Weite oder 30 Sekunden mit den Handflächen verdunkeln, helfen den Kollegen.
Der Arbeitsplatz von Wolfgang W. wurde im Zuge einer Betriebsbegehung nach Monitor, Lichtverhältnissen, Arbeitsplatzhöhe- und Entfernung und Blickwinkel individuell beurteilt. Und eine neue Bildschirmbrille gab es natürlich auch! (sw)