Der Fernseher dröhnt. Der Versicherungsangestellte Marcus M. lässt seinen anstrengenden Arbeitstag mit seiner Lieblingsserie auf Netflix ausklingen: Black-Mirror! Eine Sci-Fi-Kulisse in einer bizarren, hoch technologisierten Zukunft. Faszinierend, spannend und beängstigend zugleich. Der Datenanalyst sieht das gezeichnete Zukunftsbild mit der Schreckensherrschaft eines Tech-Riesen schon in greifbar Nähe. Ist doch gerade wieder eine neue KI im Unternehmen zur Analyse der Daten und Optimierung zum Einsatz gekommen. Eigentlich war das mal seine Aufgabe und bei der Interpretation der Daten für Optimierungsansätze war seine Kreativität gefordert. Aber jetzt? Marcus füttert die Software, stellt als Experte die richtigen Fragen und überprüft die Ergebnisse. Immer schneller müssen die Ergebnisse zur Verbesserung der Prozesse verarbeitet werden. Geschäftssparten sollen mit innovativen Produkten zu noch mehr Gewinnen führen. Immer mehr Profit soll als Dividende an die Aktionäre ausgeschüttet werden. Er knabbert schon seit einiger Zeit an der Frage nach der Sinnhaftigkeit seiner Arbeit. Auch in seinem Geldbeutel kommt das „Höher, Schneller, Weiter“ nicht an. An manchen Tagen schnüren ihm die Zukunftsängste die Kehle ab. Aber welche Wahl hat er? Seine Kredite für das kleine Häuschen laufen über Jahre und die Kinder sind noch in der Schule. Was ist mit der Frage nach seinem Wohlbefinden? Seiner Zukunft? Dem Sinn hinter dem täglichen Arbeitsstress?
Die nächste Stufe der Arbeit ist die Arbeitswelt 5.0
Die Pandemie gilt als abgeschlossen. Der Motor Digitalisierung, der durch diese Krise ausgelöst wurde, brummt auf Hochtouren. Der Begriff Arbeit 4.0 – der vorwiegend die Geschäfts- und Arbeitsprozesse im Blick hatte – wurde 2021 durch die nächste Ziffernfolge abgelöst: Arbeit 5.0. Die beinhaltet die Humanzentrierung der Digitalisierung und krempelt rasant unser Leben um. Mensch und Maschine müssen zukünftig optimal und effizient zusammenarbeiten. Arbeitsplätze gestalten sich im Turbogang um oder müssen gar neu erfunden werden. Ganze Berufsbilder fallen Künstlicher Intelligenz und Robotik zum Opfer. Auch wenn uns diese Entwicklung noch wie eine Sci-Fi-Serie vorkommt, verlangt sie jetzt jedes Quäntchen unserer Aufmerksamkeit und Kreativität. Sie weckt jeden Einzelnen von uns aus dem Dornröschenschlaf des vorgeplanten Berufsweges und rüttelt an unseren trägen oder in Angst erstarrten Gehirnzellen. Innovation und Zusammenhalt sind gefragt!
Wie wird unsere Zukunft aussehen?
Aus einem Bericht des Bundesministeriums für Wirtschaft und Kilmaschutz „Aus der Krise in die Zukunft“ sind vier mögliche Szenarien für unsere Zukunft skizziert worden.
Szenario eins: Es geht weiter wie vor der Pandemie. Die unreflektierte Konsumgesellschaft verbraucht Ressourcen und zielt immer noch darauf ab, schneller und mehr zu konsumieren.
Szenario zwei: Die Regierung spielt eine große Rolle und der Staat greift ein. Aufgrund der Uneinigkeit in der Gesellschaft entwickelt sich eine verstärkt zentrale Gesetzgebung im Bereich der Ressourcenverwaltung und gesellschaftlichen Entwicklung.
Szenario drei: Ein „Tech-Player-Takeover“ findet statt. Der digitale Schwung durch Corona verstärkt die Macht von Tech-Playern. Nur wenige Menschen verfügen über Privilegien und die meisten Menschen verorten sich im Dienstleistungssektor.
Szenario vier: Das Wir gewinnt. Die Postwachstumsgesellschaft setzt auf Kollektivismus. Viele kleine Interessengruppen arbeiten an unterschiedlichen Bereichen wie Technologie, Werte, Ressourcennutzung und erproben ihre Überlegungen, beispielsweise die Ausgestaltung einer CO2-freien Gemeinde.
Die Zukunft ist morgen und damit offen
Beginnen wir mit einer Gedankenreise in die Zukunft mit Blick auf diese vier Möglichkeiten: Ist Szenario eins die richtige Option? Vermuten oder wissen wir nicht alle, dass wir aus Gesundheitsaspekten und dem Wissen um die begrenzten Ressourcen sowie den Klimafolgen hier in eine Einbahnstraße fahren? Das Szenario zwei ist schon im Gang. So sollen z.B. laut Umweltbundesamt rechtliche Regelungen zum Ressourcenschutz in Gang gebracht werden. Aber auch Verstaatlichung von Unternehmen wie z.B. Uniper zeigen den Einfluss der Politik auf dem Arbeitsmarkt. Die Macht der Tech-Riesen in Szenario drei fördern wir durch tägliche Suchen auf der Google-Plattform, Nutzung der Microsoft-Systeme und Nutzung der Cloud-Dienste. Doch wie durchbrechen wir diese Entwicklung, um unser Schicksal nicht aus der Hand zu geben? Eine Balance dieser Szenarien könnte durch die Förderung von Szenario vier erreicht werden: dem Zusammenhalt und Wir!
Beispiele zu Szenario vier
Schon kurz vor der Coronakrise haben sich Industrie-Designer unter dem Namen „Universal Home“ vernetzt, um gemeinsam das Wohnen von morgen zu diskutieren. Hier werden Ansätze und Lösungen zu innovativen, klimafreundlichen Produkten diskutiert. Der Kreativität sind kaum Grenzen gesetzt. Die Werteleitlinien der jeweiligen Unternehmen setzen allerdings einen Rahmen. In den Städten entstehen Initiativen für eine moderne Innenstadtentwicklung, die verwaiste Geschäfte und öde gewordene Innenstädte wieder als lebendige Zentren entstehen lassen wollen. Co-Working-Einrichtungen fördern Start-ups, die sich mit nachhaltigen, neuen Ideen beschäftigen. Es entstehen Initiativen, Bewegungen und Gruppen, um spezielle Interessen wirtschaftlich, klimafördernd und auch politisch besser durchsetzen zu können. 2022 gab es z.B. 17,9 Millionen Personen in Deutschland ab 14 Jahren, die sich in einer Bewegung für die Umwelt einsetzen. Ein gemeinsames Transformieren entsteht.
Aktuelle Ausgangslage in der Digitalisierung
Der Weg in die Arbeitswelt 5.0 ist allerdings nicht ganz einfach, denn die digitale Transformation bedeutet für viele Beschäftigte stärkere Belastungen. Eine repräsentative Beschäftigtenbefragung des Deutschen Gewerkschaftsbundes des Index „Gute Arbeit 2022“ hat ergeben, dass 40 Prozent der Beschäftigten sich durch die Digitalisierung ihrer Tätigkeit stärker belastet fühlen. 46 Prozent finden, dass durch Multitasking die Anforderungen an sie gewachsen sind. Mehr als ein Drittel (33 Prozent) fühlen sich bei der Arbeit stärker überwacht. Außerdem steigen für zwei Drittel der Beschäftigten die Anforderungen an ihre Qualifikation. Ein Ergebnis, dass im Hinblick auf die kommende Welle der „Digitalisierung durch Künstliche Intelligenzen“ sehr zum Nachdenken anregt.
Die Messlatte für Betriebsräte liegt hoch
Wir leben durch die digitale Transformation in einer Zeit ständiger Betriebsänderungen und Umstrukturierungen in den Unternehmen.
Ein gemeinsames positives Zukunftsbild schaffen
Wir leben durch die Digitale Transformation in einer Zeit ständiger Betriebsänderungen und Umstrukturierungen in den Unternehmen. Neue Software-Einführungen und KI-Unterstützung sind jetzt schon ständige Begleiter für Sie als Betriebsrat oder Ihre Kollegen im Betrieb. Arbeitsprozesse und Arbeitsplätze werden sich stark verändern und müssen gar völlig neugestaltet werden. Sie und die Belegschaft befinden sich in einem fortlaufenden, dynamischen Lernprozess, der alle Arbeitnehmer wie im Schleudergang einer Waschmaschine durchschüttelt. Unsere Mitgestaltung und Kreativität sind jetzt gefragt. Und das oft als „Lernanfänger“!
Wir brauchen ein gemeinsames Zukunftsbild unserer Branche, des Unternehmens, unserer Verantwortung, um die Arbeitsplätze, Arbeitsbedingungen und Gesundheit der Arbeitnehmer für morgen zu sichern.
Sie als Betriebsrat sind in diesem Erneuerungsprozess das Sprachrohr für die Arbeitnehmer. Denn „Höher, Schneller, Weiter“ oder Massenentlassungen können nicht die Antwort für eine Gesellschaft sein, die morgen noch funktionieren soll.
Fakt ist auch: Ob innovative Arbeitskonzepte, moderne Arbeitsformen und -zeiten: Unternehmen müssen im Zusammenhang der Ausgestaltung neuer Modelle immer die rechtlichen Rahmenbedingungen im Auge behalten.
Die größten arbeitsrechtlichen Herausforderungen sind:
- Die Vereinbarkeit mit den Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes
- Die Arbeitszeiterfassung
- Einführung und Nutzung der für moderne Arbeit erforderlichen IT-Systeme oder Künstlicher Intelligenzen
- Datenschutz und IT-Sicherheit
- Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz
- Remote-Management
- Personal- und Bildungsmanagement
Arbeiten Sie als Betriebsrat an der Zukunftsvision des Unternehmens mit. Gestalten Sie zusammen mit dem Arbeitgeber innovative Lösungsansätze für die Arbeitsplätze von morgen. Bleiben Sie an den Weiterbildungsmaßnahmen im Sinne Ihrer Kollegen dran. Behalten Sie Arbeitsplätze, die sich gerade stark verändern in engen Kontakt mit den Kollegen im Blick und gestalten Sie die Veränderungen mit. Ob Umschulung oder Weiterbildung, neu definieren von Stellen und Tätigkeiten, beschreiben neuer Stellenanforderungen oder gar Versetzung in andere Arbeitsbereiche – Ihrer Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. Verlassen Sie gewohnte Muster und suchen Sie neue Wege! Natürlich im Sinne der Mitbestimmung!
Höher, schneller, weiter oder doch besser Sinnstiftung und Werte fördern?
Die aktuelle Digitale Transformation erfordert viel Kraft der Unternehmen. Wir kennen die Vergangenheit, können die Gegenwart managen, aber was die Zukunft bringt, ist für viele Branchen noch offen. Werden Steuern künftig nur noch durch KIs bearbeitet? Busse nur noch automatisch gelenkt? Darf in bestimmten Produktionen nur noch mit recycelten Stoffen gearbeitet werden? Mit dieser Unsicherheit im Rücken müssen Unternehmen auch noch nachhaltig an ihrem Unternehmenszweck arbeiten. Die Sinnhaftigkeit der hergestellten Produkte und die Frage nach der klimaneutralen Herstellung wird in Zukunft die Überlebensfähigkeit des Unternehmens begründen. Diese gelebten Werte beeinflussen wiederum das Recruiting und Wohlbefinden von Fachkräften, denn Arbeitnehmer wollen sich mit den Werten ihres Unternehmens identifizieren können. Offizielle Berufsbilder passen nur noch bedingt oder gar nicht mehr in flexibel veränderte Arbeitswelten. Starre Bildungsabschlüsse können mit der entstehenden Dynamik nicht mehr mithalten und Konzepte wie firmeneigene Akademien, Mentoring oder betriebsinterne Lernformate werden immer gefragter. Work-Life-Balance als Konzept – Trennung von Arbeit und Freizeit – weicht der Frage nach der Sinnhaftigkeit der gesamten Lebensgestaltung. Das schließt die Arbeit mit ein.
Fazit:
Die Herausforderungen werden für Sie als Betriebsrat in einer sich dynamisch veränderten Arbeitswelt immer komplexer. Damit Arbeitsplätze, wie der von Marcus, nicht komplett Künstlichen Intelligenzen zum Opfer fallen, ist eine individuelle Analyse gefragt. Rechtzeitige Bildungsmaßnahmen der Betroffenen erlauben den Einsatz in anderen Arbeitsbereichen, so dass der Versicherungsanalyst mit seinen wertvollen Kompetenzen in Zukunft weiterhin für das Unternehmen tätig sein kann. Vielleicht als fachlicher Mentor für neue Arbeitskollegen in der betriebsinternen Weiterbildungsakademie? (sw)