Anspruch auf Ablehnung von Mehrarbeit für schwerbehinderte Arbeitnehmer
In § 207 SGV IX ist geregelt, dass schwerbehinderte Menschen auf ihr Verlangen von Mehrarbeit freigestellt werden. Die Regelung soll sicherstellen, dass das Leistungsvermögen dieser Personengruppe im Rahmen des Beschäftigungsverhältnisses nicht durch zu lange Arbeitszeiten überbeansprucht wird.
Maßstab für Mehrarbeit sind die in § 3 Abs. 1 Satz 1 Arbeitszeitgesetz (ArbZG) gesetzlich vorgesehenen acht Stunden pro Werktag. Darüber hinausgehende Arbeitszeit ist Mehrarbeit. Der schwerbehinderte bzw. ihm gleichgestellte Arbeitnehmer ist also nach § 207 SGB IX nicht verpflichtet, mehr als die regelmäßige tägliche Arbeitszeit von acht Stunden zu arbeiten.
Wichtig: Tarifliche oder arbeitsvertragliche Arbeitszeiten sind nicht maßgebend!
Was gilt bei Teilzeit?
Teilzeitbeschäftigte schwerbehinderte Menschen können sich bei Überstunden nicht auf § 207 SGB IX berufen, wenn sie dadurch am Tag nicht mehr als acht Stunden arbeiten müssen. Etwas anderes kann sich allerdings im Einzelfall aus § 164 Abs. 4 Ziff. 4. SGB IX ergeben. Danach haben schwerbehinderte Menschen einen einklagbaren Anspruch auf behinderungsgerechte Gestaltung der Arbeitszeit, sofern die Erfüllung für den Arbeitgeber zumutbar und nicht mit unverhältnismäßigen Aufwendungen verbunden wäre (§ 164 Abs.4 Satz 3 SGB IX).
Zusatzurlaub für schwerbehinderte Arbeitnehmer
Schwerbehinderte Beschäftigte haben Anspruch auf bezahlten Zusatzurlaub Sie erhalten ihnneben dem „normalen“ Erholungsurlaub, der ihnen laut Arbeits- oder Tarifvertrag bzw. nach gesetzlichen Bestimmungen zusteht (§ 208 SGB IX). Wichtig: Den schwerbehinderten Menschen gleichgestellten Arbeitnehmern steht kein Zusatzurlaub zu (§ 151 Abs. 3 SGB IX).
Der Zusatzurlaub beträgt fünf Tage bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von fünf Tagen (§ 208 Abs. 1 SGB IX). Verteilt sich die regelmäßige Arbeitszeit des schwerbehinderten Menschen auf mehr oder weniger als fünf Arbeitstage in der Woche, erhöht oder vermindert sich der Zusatzurlaub entsprechend. Arbeitet er zum Beispiel an vier Tagen in der Woche, so stehen ihm auch nur vier Tage Zusatzurlaub zu; arbeitet er sechs Tage, so beträgt der Zusatzurlaub ebenfalls sechs Tage. Das gilt aber nur, wenn die Schwerbehinderung für das ganze Kalenderjahr anerkannt ist.
Günstigere tarifliche, betriebliche, einzelvertragliche oder sonstige Urlaubsregelungen für den Zusatzurlaub schwerbehinderter Menschen gelten vorrangig.
Behindertengerechter Arbeitsplatz für schwerbehinderte Arbeitnehmer
Schwerbehinderte und gleichgestellte Arbeitnehmer, die ihre vertraglich geschuldete Arbeitsleistung auf Grund ihrer Behinderung nicht mehr erfüllen können, haben gegenüber ihrem Arbeitgeber gemäß § 164 Abs. 4 SGB IX einen Anspruch auf behinderungsgerechte Beschäftigung.
Wichtig: Dieser Anspruch kann von dem Betroffenen eingeklagt werden.
Die Aufgabe besteht darin, einen Arbeitsplatz im Betrieb für Menschen mit Behinderungen zu identifizieren. Dieser Arbeitsplatz sollte so gestaltet sein, dass die Funktionen, die nicht von der Beeinträchtigung betroffen sind, optimal genutzt werden können. Alternativ kann der Arbeitsplatz unter Berücksichtigung der Einschränkungen so angepasst werden, dass die geforderte Leistung bestmöglich erbracht werden kann. Schwerbehinderte und gleichgestellte Personen haben gemäß § 164 Abs. 4 SGB IX Anspruch auf:
- Beschäftigung, bei der sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln können
Der schwerbehinderte bzw. gleichgestellte Beschäftigte hat allerdings keinen Anspruch auf einen bestimmten Arbeitsplatz oder darauf, nach seinen Neigungen oder Wünschen beschäftigt zu werden. Vielmehr hat der Arbeitgeber den bestehenden Arbeitsplatz entsprechend auszustatten bzw. umzugestalten. In Betracht kommt auch eine Versetzung, zu der allerdings der Betriebsrat seine Zustimmung geben muss (§ 99 Abs. 1, § 95 Abs. 3 BetrVG). Der Arbeitgeber ist aber nicht verpflichtet, einen zusätzlichen, neuen Arbeitsplatz einzurichten oder einen bestehenden Arbeitsplatz „freizukündigen“. - Bevorzugte Berücksichtigung bei innerbetrieblichen Maßnahmen der beruflichen Bildung zur Förderung ihres beruflichen Fortkommens
- Erleichterungen im zumutbaren Umfang zur Teilhabe an außerbetrieblichen Maßnahmen der beruflichen Bildung
Mit diesem Anspruch sollen die Arbeitsverhältnisse schwerbehinderter und gleichgestellter Menschen durch Qualifizierung gesichert und ein beruflicher Aufstieg ermöglicht werden. Bei innerbetrieblichen Maßnahmen gibt es jedoch keinen Anspruch darauf, dass der Arbeitgeber überhaupt Bildungsmaßnahmen durchführt. Bietet er entsprechende Fortbildungen an, muss er schwerbehinderte Arbeitnehmer bevorzugen. Bei außerbetrieblichen Maßnahmen hat der Arbeitgeber die Teilnahme lediglich zu erleichtern, eine Bevorzugung ist gesetzlich nicht vorgesehen. - Behinderungsgerechte Einrichtung und Unterhaltung der Arbeitsstätten einschließlich der Betriebsanlagen, Maschinen und Geräte sowie der Gestaltung der Arbeitsplätze, des Arbeitsumfeldes, der Arbeitsorganisation und der Arbeitszeit, unter besonderer Berücksichtigung der Unfallgefahr
Konkret bedeutet dies, dass Zugänge zu Kantinen und Toiletten so gestaltet werden müssen, dass sie den Bedürfnissen von Menschen mit Behinderungen entsprechen. Darüber hinaus kann sich aus dieser Regelung beispielsweise die Verpflichtung des Arbeitgebers ergeben, einen schwerbehinderten Arbeitnehmer von Nachtarbeit zu befreien oder seine Arbeitszeit auf eine Fünf-Tage-Woche zu begrenzen. - Ausstattung ihres Arbeitsplatzes mit den erforderlichen technischen Arbeitshilfen
Technische Arbeitshilfen für behinderte Menschen sollen vorhandene Fähigkeiten fördern, Restfähigkeiten nutzen, unterstützen und gleichzeitig schützen, aber auch ausgefallene Fähigkeiten zumindest teilweise ersetzen. Beispiele für solche Hilfsmittel sind ein orthopädischer Bürostuhl, Hebehilfen, Lesehilfen und Werkzeuge, die speziell an die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen angepasst sind.
Bei der Durchführung der Maßnahmen nach den Nummern 1, 4 und 5 müssen die Bundesagentur für Arbeit und die Integrationsämter den Arbeitgeber unterstützen z.B. durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (§ 49 SGB IX, § 50 SGB IX) und begleitende Hilfen im Arbeitsleben (§ 185 SGB IX), wobei es sich vor allem um beratende und finanzielle Hilfe handelt.
Wichtig: Ein Anspruch auf leidensgerechte Beschäftigung aus § 164 Abs. 4 SGB IX besteht nicht, soweit die Erfüllung für den Arbeitgeber unzumutbar oder mit unverhältnismäßigen Aufwendungen verbunden oder mit Arbeitsschutzvorschriften nicht vereinbar wäre § 164 Abs. 4 Satz 3 SGB IX. Verstößt der Arbeitgeber schuldhaft gegen eine Verpflichtung aus § 164 Abs. 4 SGB IX, so macht er sich ggf. schadensersatzpflichtig. Tatsachen, die den Anspruch begründen sollen, hat allerdings zunächst der Anspruchsteller darzulegen und zu beweisen.
Anspruch auf Teilzeit schwerbehinderter Beschäftigter
Beim Thema Teilzeitarbeit haben schwerbehinderte und ihnen gleichgestellte Menschen gleich zwei Ansprüche, einen allgemeinen und einen besonderen. Der allgemeine Anspruch auf Verringerung der Arbeitszeit ist in § 8 TzBfG (Teilzeit- und Befristungsgesetz) geregelt. Er ist gebunden an die Erfüllung einer Wartezeit, an eine Mindestzahl von beschäftigten Arbeitnehmern und sieht ein eigenes Verfahren mit Fristen vor.
Schwerbehinderte und gleichgestellte Menschen haben gemäß § 164 Abs. 5 Satz 3 SGB IX einen besonderen und zusätzlichen Anspruch auf Teilzeitarbeit. Dieser Anspruch besteht, wenn die kürzere Arbeitszeit aufgrund der Art oder Schwere der Behinderung notwendig ist.
Wichtig: Dieser Anspruch auf Teilzeitarbeit entsteht sofort, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Der Arbeitgeber muss im Vorfeld nicht zustimmen, und es ist keine Vertragsänderung erforderlich. Ein schwerbehinderter Mensch kann jederzeit und ohne Einschränkung bezüglich Form oder Frist verlangen, nur noch in einem zeitlichen Umfang eingesetzt zu werden, der seiner Behinderung Rechnung trägt. Dies ermöglicht ihm, aktiv am beruflichen Leben teilzunehmen, ohne seine Gesundheit zu gefährden. Es besteht auch die Option einer vorübergehenden Verringerung der Arbeitszeit.
Es ist wichtig zu beachten, dass die Nichterfüllung dieses besonderen Anspruchs unter Umständen ein Recht auf Schadensersatz begründen kann. Allerdings entfällt dieser spezielle Anspruch auf Teilzeitbeschäftigung, wenn die Erfüllung für den Arbeitgeber unzumutbar ist, mit unverhältnismäßigen Aufwendungen verbunden ist oder im Widerspruch zu arbeitsschutz- oder beamtenrechtlichen Vorschriften steht (§ 164 Abs. 5 Satz 3 in Verbindung mit Abs. 4 Satz 3 SGB IX).
Achtung: Einen Anreiz für Arbeitgeber, Teilzeitarbeitsplätze für schwerbehinderte und gleichgestellte Menschen bereit zu stellen, bietet § 158 Abs. 2 SGB IX. Danach werden bei einer Beschäftigung von wenigstens 18 Stunden in der Woche schwerbehinderte und gleichgestellte Teilzeitbeschäftigte auf die Pflichtarbeitsplätze (§§ 154 ff. SGB IX) voll angerechnet. Dies ist auch für eine kürzere Arbeitszeit möglich, wenn sie wegen der Art oder Schwere der Behinderung notwendig ist. So kann der Arbeitgeber auch mit Teilzeitkräften seiner Beschäftigungspflicht von schwerbehinderten und gleichgestellten Menschen nachkommen und bei der Ausgleichsabgabe sparen.
Diskriminierungs- bzw. Benachteiligungsverbot schwerbehinderter Beschäftigter
Schwerbehinderte und gleichgestellte Mitarbeiter dürfen nicht benachteiligt werden, wie ausdrücklich in § 164 Abs. 2 SGB IX festgelegt ist. Zusätzlich verweist diese Regelung auf die Vorschriften des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG).
Gemäß § 2 AGG sind alle Vereinbarungen und Maßnahmen mit benachteiligendem Inhalt untersagt. Diese Bestimmung erfasst nicht nur die vertraglichen Vereinbarungen mit dem Arbeitgeber, sondern auch Absprachen mit Dritten, die sich nachteilig auf den Mitarbeiter auswirken können, wie beispielsweise Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG). Die Grundvorschrift des Benachteiligungsverbotes für behinderte Beschäftigte, zu denen sowohl Arbeitnehmer als auch Auszubildende und arbeitnehmerähnliche Personen zählen, ist § 7 Abs. 1 AGG: Beschäftigte dürfen nicht wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, also auch nicht wegen einer Behinderung, benachteiligt werden.
Von diesem Benachteiligungsverbot werden sowohl unmittelbare als auch mittelbare Benachteiligungen erfasst. Mittelbare Benachteiligungen wegen Behinderung liegen dann vor, wenn sich eine Regelung oder Maßnahme nachteilig auf einen behinderten Beschäftigten bzw. die entsprechende Gruppe von Beschäftigten auswirken kann. Dies ist z.B. der Fall, wenn die Gewährung bestimmter Leistungen an Voraussetzungen geknüpft ist, die gesunde Beschäftigte eher erfüllen als behinderte Arbeitnehmer.
Ein Arbeitsplatz darf nicht ausgeschrieben werden, wenn dies gegen das in § 7 Abs. 1 AGG festgelegte Benachteiligungsverbot verstößt, wie es in § 11 AGG geregelt ist.Die gegenwärtige Rechtsprechung bestätigt, dass das Benachteiligungsverbot auch bei Kündigungen gilt. Daher müssen Kündigungen ebenfalls auf mögliche Diskriminierungsverstöße gemäß dem AGG überprüft werden.
Es ist jedoch erlaubt, eine unterschiedliche Behandlung aufgrund beruflicher Anforderungen vorzunehmen, wie es in § 8 AGG festgelegt ist. Dies ist dann zulässig, wenn das Merkmal eine unverzichtbare Voraussetzung für die Tätigkeit ist oder eine wesentliche oder entscheidende berufliche Anforderung darstellt. In der Praxis wird dies in der Regel darauf basieren, inwieweit der Arbeitnehmer objektiv in der Lage ist, die erforderliche Arbeitsleistung für den Arbeitgeber sinnvoll zu erbringen.
Wichtig: Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot begründet keinen Anspruch auf Einstellung, kann aber insbesondere zu einem Anspruch auf Schadensersatz bzw. Entschädigung führen.
Was kann die Schwerbehindertenvertretung tun?
Aufgabe der Schwerbehindertenvertretung ist es, den Kollegen beratend und helfend zur Seite zu stehen: Sie informiert in der Sprechstunde und auf der Schwerbehindertenversammlung über diese besonderen Rechte der schwerbehinderten und ihnen gleichgestellten Arbeitnehmer. Außerdem unterstützt sie die Kollegen im Gespräch mit deren Vorgesetzen, wenn es um die Durchsetzung ihrer Rechte geht.
Die SBV wacht darüber, dass der Arbeitgeber seine gesetzlichen Pflichten einhält, § 178 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB IX. Sie nimmt Kontakt mit den relevanten Stellen im Unternehmen auf und weist gegebenenfalls auf die Einhaltung der Pflichten hin. Hierzu kann sie sich auch die Unterstützung von Kollegen aus dem Betriebsrat, dem Ausschuss für Arbeitssicherheit oder vom Betriebsarzt einholen.