Erst durch eine objektive und verlässliche und damit echte elektronische Arbeitszeiterfassung lassen sich die arbeitszeitgesetzlichen Vorgaben nachvollziehen.
Sofort wird Kritik laut – „Bürokratiemonster“ sagen die einen, „wenig Neues“ die anderen. Wie ist Deine Meinung?
Dominik Fiedler: Es darf nicht übersehen werden, dass das BMAS mit seinem Referentenentwurf nicht das „Ob“ der Pflicht zur Arbeitszeiterfassung regelt, sondern nur das „Wie“. Insofern wird kein „Monster“ eingeführt, sondern nur beschrieben, wie man mit ihm umgehen soll. Ob es sich überhaupt um ein Monster oder gar ein Bürokratiemonster handelt, ist anzuzweifeln: Erst durch eine objektive und verlässliche und damit echte elektronische Arbeitszeiterfassung lassen sich die arbeitszeitgesetzlichen Vorgaben – wie etwa Höchstarbeitszeiten und Mindestruhezeiten – nachvollziehen. Den Arbeitgebern und den zur Kontrolle zuständigen Behörden dürfte jedenfalls die Arbeit erleichtert werden, z.B. – so der Referentenentwurf – durch bessere Lesbarkeit und IT-gestützte Auswertung. Also schon ein wenig Neues. Es darf nicht übersehen werden, dass ein Verstoß gegen die Erfassungspflicht als Ordnungswidrigkeit mit einem Bußgeld von bis zu 30.000 € sanktioniert werden soll! Arbeitgeber dürften somit noch mehr auf die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben achten als bisher. Hierbei ist hervorzuheben, dass diese dem Schutz der Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz dienen und letztlich auch einer täglichen freien Zeit für Freizeit. Der vom BMAS geschätzte Erfüllungsaufwand von rund 74 Millionen Euro für die elektronische Arbeitszeitaufzeichnung ist damit gut investiert.
Wie steht es um die Vertrauensarbeitszeit, wird hier jetzt Ruhe einkehren?
Dominik Fiedler: An dieser Stelle würde „wenig Neues“ gut passen, wenn man die Rechtsprechung des BAG zugrunde legt. So entschied es bereits 2003, dass der Betriebsrat für seine Überwachungsaufgabe nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG im Hinblick auf die Einhaltung der gesetzlichen Ruhezeiten und der tariflichen wöchentlichen Arbeitszeit Kenntnis von Beginn und Ende der täglichen und vom Umfang der tatsächlich geleisteten wöchentlichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer benötigt. Der Arbeitgeber müsse sich deshalb über die genannten Daten in Kenntnis setzen; er könne dem Betriebsrat die Auskunft hierüber nicht mit der Begründung verweigern, er wolle die tatsächliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer wegen einer im Betrieb eingeführten Vertrauensarbeitszeit bewusst nicht erfassen (BAG vom 06.05.2003, 1 ABR 13/02).
In der Entscheidung des BAG vom 23.09.2015 (5 AZR 767/13) war zudem nachzulesen, dass „Vertrauensarbeitszeit“ nur bedeutet, „dass der Arbeitgeber auf die Festlegung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit verzichtet und darauf vertraut, der betreffende Arbeitnehmer werde seine Arbeitspflicht in zeitlicher Hinsicht auch ohne Kontrolle erfüllen. Der Vereinbarung von Vertrauensarbeitszeit steht weder der Führung eines Arbeitszeitkontos entgegen noch schließt sie die Abgeltung eines aus Überstunden des Arbeitnehmers resultierenden Zeitguthabens aus.“
Entsprechend dieser Rechtsprechung führt der Referentenentwurf aus, dass die Arbeitsvertragsparteien eine „sogenannte“ Vertrauensarbeitszeit vereinbaren können; wörtlich: „In diesem Fall verzichtet der Arbeitgeber auf die Festlegung von Beginn und Ende der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit. Er „vertraut“ dabei darauf, dass die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer der vertraglichen Arbeitsverpflichtung nachkommt, ohne dieses zu überprüfen. Einzuhalten sind jedoch die Vorgaben des öffentlich- rechtlichen Arbeitszeitschutzes. Arbeitszeitaufzeichnung und —„Vertrauensarbeitszeit“ schließen sich nicht aus. Insbesondere eine elektronische Aufzeichnung erleichtert es dem Arbeitgeber, die arbeitsschutzrechtliche Arbeitszeit aufzuzeichnen, ohne die vertragliche Arbeitszeit kontrollieren zu müssen.“ Insofern soll nach dem Referentenentwurf in § 16 Abs. 4 ArbZG geregelt werden, dass der Arbeitgeber bei „Vertrauensarbeitszeit“ sicherstellen muss, dass ihm Verstöße gegen die Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes zu Dauer und Lage der Arbeits- und Ruhezeiten bekannt werden, etwa durch entsprechende Meldung eines elektronischen Arbeitszeiterfassungssystems. Ob Tabellenkalkulationsprogramme auch diese Funktion erhalten werden, mag ich jedoch bezweifeln.
Das BMAS will also an der bestehenden – bislang jedoch wenig gelebten – Rechtslage festhalten und knüpft an die Rechtsprechung des BAG an, dass der Arbeitgeber auch bei Vertrauensarbeitszeit seinen Betrieb derart zu organisieren hat, dass er die Einhaltung der geltenden Gesetze, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen gewährleisten kann.
Was fehlt den Plänen, was würdest Du gerne ergänzen wollen?
Dominik Fiedler: Aus der Regelung, dass Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit erfasst werden müssen, folgt, dass zu Beginn der Pause eine Ausbuchung und zu deren Ende wieder eine Einbuchung erfolgen muss. Pausen sind nach dem Arbeitszeitgesetz keine Arbeitszeit. Dies müsste deutlicher in der Gesetzesformulierung zum Ausdruck kommen, da Pausen häufig vergessen bzw. durch Arbeit überlagert oder auch häufig nur pauschal abgezogen werden. Im Referentenentwurf heißt es dazu nur auf Seite 8, dass anhand der Erfassung die Einhaltung von Höchstarbeitszeiten, Mindestruhezeiten und Pausen nachgehalten werden können soll.
Den Begriff „elektronisch“ würde ich gesetzlich definieren; und zwar so, dass zu Beginn und zum Ende der Arbeitszeit und ihrer Unterbrechung (Pausen) eine Buchung über ein Erfassungsgerät erfolgen sowie unveränderbar gespeichert werden muss. Ein „Nachtragesystem“ wie ein Tabellenkalkulationsprogramm hätte ich ausgeschlossen.
Soweit noch nicht geschehen, sollten auch die Arbeitszeiten innerhalb der gesetzlichen und tariflichen Grenzen durch eine Betriebsvereinbarung ausgestaltet werden.
Was gibt es aktuell für Betriebsräte zu tun?
Dominik Fiedler: Die Pflicht zur Zeiterfassung ist gesetzlich geregelt, deren Ausgestaltung jedoch nicht. Es bleibt damit gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 6 und 7 BetrVG mitzubestimmen, welches System zur Zeiterfassung genutzt werden soll. Vor dem Hintergrund des Referentenentwurfes sollte es „elektronisch“ sein. Empfehlen würde ich jedoch keine Tabellenkalkulation.
Betriebsräte sollten zudem – wie auch bisher – ihren Informationsanspruch aus § 80 BetrVG nutzen und kontrollieren, ob die gesetzlichen, tariflichen und betriebsverfassungsrechtlichen Vorgaben sowie etwaige Betriebsvereinbarungen eingehalten werden. In der Regel ist es damit aber nicht getan: Soweit noch nicht geschehen, sollten auch die Arbeitszeiten innerhalb der gesetzlichen und tariflichen Grenzen durch eine Betriebsvereinbarung ausgestaltet werden. (cbo)
Zur Person
Dr. Dominik Fiedler ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und referiert seit 2015 für das ifb.