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News Arbeitszeit Beste Art der Zeiterfassung: Betriebsrat kann Regelungen erzwingen

Beste Art der Zeiterfassung: Betriebsrat kann Regelungen erzwingen

Rechtsanwalt Christian Becker im Interview

Der Arbeitgeber muss die Arbeitszeiten seiner Mitarbeiter erfassen – aber wie? Und welche Rechte haben Sie als Betriebsrat? Ein im April angekündigtes Gesetz hierzu ist offenbar im Sommerloch verschwunden, denn noch gibt es aus dem Bundesarbeitsministerium nichts Neues zum Thema. Umso spannender ist eine aktuelle Entscheidung des LAG München. Hier ging es um die Frage, ob der Betriebsrat erzwingen kann, wie die Arbeitszeiten im Betrieb erfasst werden. Das Gericht spricht von der „besten Art der Zeiterfassung“. Was das bedeutet? Das erläutert Rechtsanwalt Christian Becker aus München im Interview.

Stand:  18.7.2023
Lesezeit:  02:45 min
LAG Arbeitszeit | © AdobeStock_ | New Africa

Herr Becker, das Thema Arbeitszeiterfassung bringt derzeit Unruhe in viele Unternehmen. Nun sorgt das LAG München für eine weitere Klarstellung. Was ist das Besondere an dieser Entscheidung?

Becker: Das Besondere an der Entscheidung ist, dass sich hier erstmals seit dem “Paukenschlag“ des BAG (BAG vom 13.09.2022, 1 ABR 22/21) zur Arbeitszeiterfassung ein Landesarbeitsgericht mit der Frage der Reichweite der Mitbestimmung des örtlichen Betriebsrats auseinandersetzt und dem Betriebsrat ein sogenanntes Initiativrecht über die konkrete Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung im Betrieb zuerkennt.

Was bedeutet das für die Praxis, und wie schätzen Sie die Wirkung dieser Entscheidung für andere Gremien ein?

Becker: Die Bedeutung für die Praxis ist immens. Die örtlichen Betriebsräte sollten sich jetzt genau anschauen, ob die in ihrem Betrieb, wenn überhaupt, existierende Zeiterfassung praktikabel und anwenderfreundlich ist und sodann den Arbeitgeber zu Verhandlungen über ein (neues) Zeiterfassungssystem auffordern. Gesamtbetriebsräte und Konzernbetriebsräte müssen in Zukunft ihre Zuständigkeit für das Thema Arbeitszeiterfassung noch kritischer hinterfragen und sich gegebenenfalls von den örtlichen Betriebsräten das Verhandlungsmandat übertragen lassen.

Im April hat das Arbeitsministerium eine Pflicht zur „elektronischen Arbeitszeiterfassung“ angekündigt. Seitdem ist Schweigen im Walde. Hätten Sie zu diesem Zeitpunkt schon mit den ersten gerichtlichen Entscheidungen zur Mitbestimmung bei der Einführung eines Zeiterfassungssystems gerechnet?

Becker: Jein. Üblicherweise orientieren sich die Gerichte natürlich am laufenden Gesetzgebungsprozess. Leider kommt es immer vor, dass der Gesetzgeber, insbesondere bei der nationalen Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben, viel Zeit verstreichen lässt. In diesen Fällen ist es möglich, dass ein Gericht bereits vor dem Erlass eines Gesetzes zu konkreten Fragen Stellung beziehen muss. Das LAG München hat nun entschieden, dass sich die Arbeitgeber nicht zurücklehnen und auf die ausstehende gesetzliche Regelung warten dürfen – das hat für viel Unruhe in den Betrieben gesorgt.

Über welche Vorschriften bekommt der Betriebsrat bei diesem Thema überhaupt den Fuß in die Tür? 

Becker: Grundsätzlich ergibt sich das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Fragen der Arbeitszeit und somit die Handlungsmöglichkeit des Betriebsrats zur Gestaltung aus § 87 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BetrVG. Sie unterliegen damit dem Katalog der sozialen Angelegenheiten, so dass dem Betriebsrat ein echtes Mitbestimmungsrecht zusteht. Auch ein Mitbestimmungsrecht aus Nr. 7 als eine Maßnahme des Arbeits- und Gesundheitsschutzes wird diskutiert. Bei handschriftlicher Zeiterfassung kann sich der Betriebsrat auch auf Nr. 1 berufen. Bei elektronischer Zeiterfassung, wie sie momentan im Referentenentwurf vorgesehen und auch in den allermeisten Betrieben durchgeführt wird, ist natürlich § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG einschlägig.

Wie weit geht das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats eigentlich? Geht es auch um die Auswahl eines bestimmten Zeiterfassungssystems?

Becker: Das Gericht spricht von der „besten Art der Zeiterfassung“ …
Grundlegend neu hat das LAG München dem Betriebsrat nunmehr ein vollumfängliches Initiativrecht bei der Ausgestaltung (Frage des „Wie“) der Arbeitszeiterfassung zuerkannt. Gerade die Wahl der „besten Art der Zeiterfassung“ ist nach der Entscheidung des LAG München jetzt auch vom Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats umfasst und nicht mehr nur die Ausgestaltung der vom Arbeitgeber eingesetzten Methode. Dies erfasst sowohl die Auswahl des konkreten Softwaretools als auch den konkreten Ablauf der Erfassung, nachträgliche Korrekturmöglichkeiten, Einbindung in Personalinformationssysteme, die Einsicht in die Arbeitszeitkonten sowie Regelungen für Konfliktfälle. 

Was raten Sie Betriebsräten: Sollten diese schnell mit dem Arbeitgeber zum Thema in Verhandlung treten oder lieber die angekündigte Änderung des Arbeitszeitgesetzes abwarten? 

Becker: Wir raten den Betriebsräten, jetzt in Aktion zu treten.
In den Erläuterungen zum Referentenentwurf („Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitszeitgesetzes und anderer Vorschriften“ mit Bearbeitungsstand: 27. 3. 2023, 16:12 Uhr) heißt es: „Um eine objektive und verlässliche Aufzeichnung zu gewährleisten, muss diese am Tag der Arbeitsleistung erfolgen. Diese Vorgabe schließt eine spätere Korrektur einer Fehlbuchung oder einer versäumten Buchung nicht aus, wobei die Korrektur möglichst zeitnah erfolgen sollte. Mit der vorgesehenen elektronischen Aufzeichnung wird eine zeitgemäße Form der Erfassung vorgegeben. (…) Eine bestimmte Art der elektronischen Aufzeichnung wird nicht vorgeschrieben. Neben den bereits gebräuchlichen Zeiterfassungsgeräten kommen auch andere Formen der elektronischen Aufzeichnung mit Hilfe von elektronischen Anwendungen wie Apps auf einem Mobiltelefon oder die Nutzung herkömmlicher Tabellenkalkulationsprogramme in Betracht.“
Es wird daher zwar in jedem Fall feste Rahmenbedingungen für die Zeiterfassung geben, wir gehen jedoch davon aus, dass den Betriebsparteien dennoch Spielraum gelassen wird und Abweichungen im Rahmen von Betriebsvereinbarungen möglich sind. Zum jetzigen Zeitpunkt ist offen, ob der Referentenentwurf so zum Gesetz wird. Den Betriebsräten ist daher zu empfehlen, die weitere Entwicklung in Berlin im Blick zu behalten, jedoch schon jetzt den Gestaltungsspielraum zu nutzen und betriebliche Notwendigkeiten schnell zu regeln. Gerade im Hinblick auf den Gesundheitsschutz sowie der allgemeinen Belastungssituation im Arbeitsverhältnis hat der Betriebsrat hier einen Verhandlungsauftrag. 

Auf die Schnelle: Die fünf wichtigsten Tipps für die Betriebsräte, die jetzt schon mit dem Arbeitgeber in Verhandlung treten wollen. Worauf sollten sie in der Vorbereitung achten?

 Becker: 

  1. Generelle Zuständigkeit der Arbeitnehmervertretungsgremien klären.
  2. Momentane Zeiterfassung analysieren (wie z.B. § 16 Abs. 2 ArbZG) und Verbesserungspotential ausarbeiten.
  3. Abfrage unter Beschäftigten, ob einheitliche Regelungen für den gesamten Betrieb oder unterschiedliche Modelle für einzelne Abteilungen notwendig sind und welche Systeme der Arbeitsbelastung entgegenwirken könnten, um die Zufriedenheit der Arbeitnehmer zu steigern.
  4. Marktsondierung über geeignete Softwaretools zur Zeiterfassung für den Betrieb und ggf. Einbindung in die bestehenden Systeme.
  5. Qualifizierte Sachverständige für die Beratung und Umsetzung der betrieblichen Notwendigkeiten und der arbeitszeitgesetzlichen oder ggf. tariflichen Grenzen hinzuziehen sowie diese bei Verhandlungen mit dem Arbeitgeber in einem frühen Stadium einbinden.

Wichtiges Thema „Vertrauensarbeitszeit“: Hier herrscht offenbar besonders viel Unsicherheit. Wie ist die Rechtslage?

Becker: Die allgemeinen Grundsätze der Zeiterfassung gelten auch für die Vertrauensarbeitszeit. Vertrauensarbeitszeit bedeutet in der Regel nur, dass der Arbeitgeber darauf vertraut, dass Beschäftigte ihre arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitszeit ableisten. Der Arbeitgeber musste dennoch auch bisher sicherstellen, dass Beschäftigte in der Vertrauensarbeitszeit die durch das Arbeitszeitgesetz vorgegebenen Höchstarbeits- und Ruhezeiten einhalten, denn für deren Einhaltung war und ist der Arbeitgeber verantwortlich. Dies ist seit langem gängige Rechtsprechung (vgl. BAG vom 06.05.2003 - 1 ABR 13/02). 
Nach dem Referentenentwurf zur Arbeitszeiterfassung bleibt die Vertrauensarbeitszeit möglich. Der Arbeitgeber ist aber verpflichtet, durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass ihm Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz bekannt werden. Es besteht ausdrücklich die Pflicht zur Dokumentation der Arbeitszeiten, auch für diese Mitarbeitergruppe.

Was ist bei Schichtmodellen? Reicht für die Arbeitszeiterfassung die Veröffentlichung eines Dienstplans aus?

Becker: Ein Dienstplan genügt den Erfordernissen der Rechtsprechung zur Arbeitszeiterfassung nicht. Der Dienstplan ist ein „Plan“, der aber oft nicht so in Wirklichkeit umgesetzt wird. Die Arbeitszeiten können verlängert oder auch verkürzt werden, Pausen anders genommen werden etc. Demnach müssen zumindest die Abweichungen vom Dienstplan sowie die tatsächlich genommenen Pausen erfasst werden. (saf/cbo)

Mehr zum Thema

Das Bundesarbeitsgericht hat am 13.09.2022 (1 ABR 22/21) über die gesetzliche Verpflichtung der Arbeitgeber zur Arbeitszeiterfassung entschieden. Im April kündigte das Bundesarbeitsministerium entsprechende Änderungen beim Arbeitszeitgesetz an. Nun sagt das LAG München: Die Entscheidung über die beste Art der Zeiterfassung ist Gegenstand der Mitbestimmung des (regelmäßig örtlichen) Betriebsrats.

Christian Becker ist Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei KSPP in München.

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