Was sind soziale Angelegenheiten?
Stellen Sie sich vor: Der Arbeitgeber beschließt von heute auf morgen ein Alkoholverbot im Betrieb. Darf er das? Tatsächlich darf er diese Anordnung nicht ohne den Betriebsrat treffen! Denn diese Entscheidung betrifft die sogenannte Ordnung des Betriebs. Und damit die im § 87 BetrVG geregelten sozialen Angelegenheiten. Hinter dem abstrakten Begriff verbirgt sich nichts anderes als das gesamte Gebiet der Arbeitsbedingungen. Zweck der Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten ist der Schutz der Arbeitnehmer. Sie sollen an der Gestaltung der wichtigsten Arbeitsbedingungen über den Betriebsrat beteiligt werden. Auch als Ersatzmitglied werden Sie sich deshalb oft mit den sozialen Angelegenheiten beschäftigen, wenn Sie zum Einsatz kommen.
Der § 87 BetrVG fasst diejenigen sozialen Angelegenheiten zusammen, bei denen sich Arbeitgeber und Betriebsrat einigen müssen. Keine Seite kann wirksam ohne die andere Entscheidungen treffen und Maßnahmen durchführen.
Und was passiert, wenn sich Arbeitgeber und Betriebsrat nicht einigen können?
In diesem Fall entscheidet die Einigungsstelle und ersetzt damit die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat. Deshalb wird die Mitbestimmung in den sozialen Angelegenheiten als erzwingbare (obligatorische) Mitbestimmung bezeichnet. Dieser Paragraph stellt den Kernbereich der Beteiligungsrechte des Betriebsrats dar. Deshalb sollten Sie hier auch als Ersatzmitglied unbedingt gut informiert sein.
Initiativrecht: Der Betriebsrat kann den ersten Schritt machen
Der Betriebsrat hat aber in den sozialen Angelegenheiten im Rahmen des § 87 Abs.1 Nr. 1-13 BetrVG nicht nur ein Vetorecht gegen beabsichtigte Maßnahmen des Arbeitgebers. Der Betriebsrat kann in diesen Angelegenheiten auch von sich aus auf den Arbeitgeber zugehen. Dieses sogenannte Initiativrecht bezieht sich dabei sowohl auf bestehende Regelungen, als auch auf bisher ungeregelte Bereiche. Vielleicht haben Sie es als Ersatzmitglied schon einmal erlebt: In einer Betriebsratssitzung entsteht ein Vorschlag, der die Arbeitsbedingungen der Belegschaft verbessern soll. Zum Beispiel schlägt der Betriebsrat dem Arbeitgeber vor, eine Betriebsvereinbarung über gleitende Arbeitszeit einzuführen. Der Arbeitgeber darf diesen Vorschlag nicht einfach unbegründet ablehnen. Er muss mit dem Betriebsrat verhandeln, wenn der Betriebsrat Initiativen an ihn heranträgt, die soziale Angelegenheiten betreffen.
Voraussetzung: Es müssen mehrere Mitarbeiter betroffen sein
Grundsätzlich gilt die erzwingbare Mitbestimmung des Betriebsrats in sozialen Angelegenheiten (und damit das Initiativrecht) nur in Fällen, die einen sogenannten kollektiven Bezug haben. Was bedeutet das? Mitbestimmen darf der Betriebsrat nur, wenn es sich um eine Maßnahme handelt, die die gesamte Belegschaft, ein Teil der Belegschaft oder eine bestimmte Gruppe der Belegschaft (z.B. Schichtarbeiter, Frauen usw.) betrifft. Es genügt allerdings auch, wenn sich die Maßnahme auf einen Arbeitsplatz oder mehrere Arbeitsplätze (jeweils unabhängig von den Personen der einzelnen Arbeitnehmer) bezieht. Oder wenn ein Sachverhalt immer wiederkehrt. Entscheidendes Abgrenzungsmerkmal des kollektiven Tatbestandes von der Individualmaßnahme ist die Frage, ob es sich inhaltlich um eine grundsätzliche Regelung handelt oder um eine Entscheidung, die sich auf die besondere Situation eines einzelnen Arbeitnehmers bezieht.
Stellen Sie sich zum Beispiel vor: Der Arbeitgeber will Überstunden für einen bestimmten Mitarbeiter anordnen. Auch, wenn es auf den ersten Blick um einen einzelnen Mitarbeiter geht: In diesem Fall gibt es einen kollektiven Bezug. Warum? Zum einen kämen auch andere Mitarbeiter für die Überstunden in Frage. Zum anderen geht es auch generell um die Frage, ob der Arbeitgeber die ständige Mehrarbeit in diesem Bereich nicht durch eine Neueinstellung vermeiden könnte. Es ist immer von kollektivem Interesse, wie zusätzlicher Arbeitsbedarf abgefangen werden soll.
Vorrang von Gesetz und Tarifvertrag
Achtung: Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats in sozialen Angelegenheiten endet dort, wo für den betreffenden Regelungsbereich eine zwingende gesetzliche oder tarifliche Regelung besteht (§ 87 Abs. 1, Einleitungssatz BetrVG).
Das ergibt sich schon aus dem Grundsatz, dass eine stärkere Rechtsquelle die schwächere verdrängt. Außerdem gehen die Gerichte davon aus, dass eine abschließende gesetzliche Regelung bzw. eine Vereinbarung durch die Tarifparteien (Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände) die Interessen der Arbeitnehmer hinreichend schützt.
Fazit: Seien Sie auch als Ersatzmitglied wachsam und prüfen Sie, ob eine Handlung des Arbeitgebers einen Fall des § 87 Abs. 1 Nr. 1 – 13 BetrVG betrifft. Hier geht nichts ohne den Betriebsrat!