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Das Bundesteilhabegesetz

Echter Fortschritt oder verpasste Chance?

Ende letzten Jahres haben Bundestag und Bundesrat das Bundesteilhabegesetz, kurz BTHG, auf den Weg gebracht. Vorausgegangen war dem ein zähes Ringen, das Gesetz wurde im Laufe des parlamentarischen Verfahrens stark überarbeitet. Bringt das Ergebnis nun tatsächlich Verbesserungen für Schwerbehinderte und ihre Interessenvertreter? Darüber sprachen wir mit Dr. Henning Wetzel.

Dr. Henning Wetzel

Stand:  2.3.2017
Lesezeit:  03:30 min
Das Bundesteilhabegesetz | © AdobeStock | Coloures-Pic

Lange wurde um das Bundeteilhabegesetz gerungen. Was waren die Ziele der Neuregelung?

Am 26. März 2009 ist das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-Behindertenrechtskonvention – UN-BRK) in Deutschland in Kraft getreten und damit geltendes Recht geworden. Mit der Ratifikation der UN-BRK hat sich die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, das deutsche Recht in Übereinstimmung mit dieser Konvention auszugestalten. Das BTHG ist mithin die Umsetzung bestimmter Vorgaben und Zielvorstellungen der UN-BRK in nationales Recht. Die Bundesregierung hat im Gesetzgebungsverfahren immer darauf hingewiesen, dass ein wesentliches Recht, das die UN-BRK präzisiert, das Recht auf Zugang zur Arbeitswelt ist. In ihrem Gesetzentwurf heißt es dazu wörtlich: „Arbeit zu finden und den Arbeitsplatz sowie die Beschäftigungsfähigkeit zu erhalten, sind wichtige Voraussetzungen für eine gleichberechtigte Teilhabe behinderter Menschen am Leben in der Gesellschaft. Die Teilhabe am Arbeitsleben gehört daher zu den Kernbereichen der Politik der Bundesregierung für Menschen mit Behinderungen". Die Stärkung der Schwerbehindertenvertretung ist konsequenter Ausfluss dieser Schwerpunktsetzung. Ein wesentlicher Aspekt des neuen Gesetzes ist die neu geregelte Eingliederungshilfe. Sie wird aus dem Fürsorgesystem des Sozialhilferechts herausgelöst und in das reformierte SGB IX integriert. Fachleistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen sollen damit klar von den Leistungen zum Lebensunterhalt getrennt und finanziert werden. Damit einher geht auch eine Erhöhung der Vermögensfreibeträge und eine Abkehr von der Verpflichtung der Ehe- und Lebenspartner zur Finanzierung.

Und die Praxis? Gibt es jetzt wirklich bessere Rechte für Schwerbehinderte?

Natürlich. Auch wenn das Gesetz in seiner jetzt gültigen Endfassung in bestimmten – und auch wesentlichen – Bereichen aus Sicht vieler Behindertenverbände hinter ihrer berechtigten Erwartung zurückbleibt, enthält das BTHG natürlich diverse Änderungen, die für behinderte Menschen definitiv Verbesserungen mit sich bringen. Nehmen Sie doch beispielsweise nur die Ausdehnung des Merkmals „aG" (außergewöhnlich gehbehindert): Vielen Menschen, denen aufgrund schwerer Herz-/Kreislauferkrankungen oder neurologischer Erkrankungen die Bewegung außerhalb eines KfZ außergewöhnlich schwerfiel, konnten dieses Merkzeichen nicht bekommen, da bislang auf orthopädische Schäden abgestellt wurde. Und auch die Tatsache, dass jetzt eine Kündigung, die ohne Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung ausgesprochen wurde, nicht wirksam ist, ist doch definitiv eine hervorzuhebende Verbesserung gegenüber der alten Rechtslage.

Die Bundesregierung bezeichnet das als „Meilenstein".
Kritiker sagen hingegen, das Gesetz verdient seinen Namen nicht ...

Die Kritiker, gerade die Behindertenverbände, haben natürlich recht damit, dass es in vielen Punkten noch Verbesserungspotential gibt und manche ihrer Forderungen gar nicht umgesetzt wurden. Wenn die Bundesregierung das Gesetz aber tatsächlich als „Meilenstein" bezeichnet, dann sollte man sie doch einfach beim Wort nehmen: Ein Meilenstein ist doch im allgemeinen Sprachgebrauch nur eine Wegmarke, markiert also gar nicht das Endziel, sondern nur eine Etappe. So verstanden würde Meilenstein ja bedeuten, dass die Bundesregierung noch einen (langen) Weg vor sich sieht. Und alleine der Umstand, dass das Gesetz quasi „in letzter Sekunde" noch überarbeitet wurde, zeigt doch, dass der Protest nicht ganz umsonst war.

Wer ist überhaupt vom BTHG betroffen?

Sehr vereinfacht kann man sagen, dass das BTHG weiterhin alle Menschen mit Behinderung oder drohender Behinderung erfasst, bestimmte Vorschriften (das Schwerbehindertenrecht im engeren Sinne) aber nur bei einem Grad der Behinderung von 50 oder höher oder bei Gleichstellung gelten. Manche Vorschriften sind nur anwendbar, wenn der behinderte Mensch eine Arbeit hat (z.B. der Anspruch auf leidensgerechte Beschäftigung), andere völlig unabhängig davon.

Wie profitieren die Schwerbehindertenvertretungen von den Neuregelungen?

Im Bereich der Schwerbehindertenvertretung hat sich doch einiges getan. So wurde der Schwellenwert für die Freistellung der Vertrauensperson gesenkt und auch die Möglichkeit der sogenannten Heranziehung von Stellvertretern ist jetzt abhängig von der Zahl der durch die Vertrauensperson betreuten Personen definitiv praxisgerechter ausgestaltet worden. Auch der Vertretungsbegriff selbst wurde sinnvoll erweitert. Die Schwerbehindertenvertretung kann jetzt überdies eine Bürokraft zur Unterstützung beanspruchen und der Gesetzgeber hat klargestellt, dass die Verletzung der Arbeitgeberpflicht, die Schwerbehindertenvertretung zu beteiligen, vor dem Arbeitsgericht durchgesetzt werden kann. Das Arbeitsgericht kann die Durchführung oder Vollziehung einer arbeitgeberseitigen Entscheidung untersagen, bis die Beteiligung nachgeholt ist. Zuwiderhandlungen des Arbeitgebers können dann, auch das wurde klargestellt, die Verhängung von Ordnungsgeldern von bis zu 250.000 Euro nach sich ziehen.

Wichtige Eckpunkte der Neuregelungen für Schwerbehindertenvertretungen

  • Verbesserter Schulungsanspruch für die Stellvertreter gem. § 96 Abs. 4 Satz 3 SGB IX (neu). Die bisherigen Einschränkungen beim Schulungsanspruch des ersten Stellvertreters entfallen.
  • Schwellenwert für die Freistellung der Vertrauensperson sinkt gem. § 96 Abs. 4 Satz 2 SGB IX (neu).
  • Mehr Stellvertreter je nach Betriebsgröße gem. § 95 Abs. 1 Satz 4 bis 6 SGB IX (neu).
  • Eigenes Übergangsmandat bei Umstrukturierungen gem. § 94 Abs. 8 SGB IX (neu).
  • Ev. Unterstützung durch eine Bürokraft gem. § 96 Abs. 8 Satz 3 SGB IX (neu).
  • Stärkere Beteiligung bei der Kündigung Schwerbehinderter gem. § 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX (neu).

Zum Nachlesen: Die vollständige Fassung des BTHG finden Sie unter diesem Link.

Bislang galten ja viele Einschränkungen beim Anspruch auf Weiterbildung. Ist das noch so?

Da hat sich für die Stellvertreter der Vertrauensperson definitiv was getan. Insbesondere der 1. Stellvertreter hat jetzt einen unbedingten und umfassenden Anspruch auf Weiterbildung für seine Amtstätigkeit.

Was bedeutet das in der Praxis für die Schwerbehindertenvertretungen?

Gerade der gestärkte Schulungsanspruch des 1. Stellvertreters führt dazu, dass jetzt nicht mehr längere Phasen der Abwesenheit der Vertrauensperson auftreten können, in denen die Beschäftigten mit einem unzureichend geschulten Stellvertreter vorlieb nehmen müssen.

Stichwort Bessere Teilhabe am Arbeitsleben/Budget für Arbeit. Was verbirgt sich dahinter?

Nach § 61 des neuen SGB IX haben bestimmte Menschen mit Behinderung, wenn ihnen von einem privaten oder öffentlichen Arbeitgeber ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis mit einer tarifvertraglichen oder ortsüblichen Entlohnung angeboten wird, mit Abschluss dieses Arbeitsvertrages Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form eines „Budget für Arbeit". Dies umfasst einen Lohnkostenzuschuss an den Arbeitgeber zum Ausgleich der Leistungsminderung des Beschäftigten und die Aufwendungen für die wegen der Behinderung erforderliche Anleitung und Begleitung am Arbeitsplatz. Der Lohnkostenzuschuss kann dabei bis zu 75 Prozent des vom Arbeitgeber regelmäßig gezahlten Arbeitsentgelts betragen.

Ab wann gelten die Neuregelungen?

Die Neuregelungen treten gestaffelt in einem Zeitfenster bis Anfang 2023 in Kraft. Die für die Schwerbehindertenvertreter bedeutsamen Neuerungen sind aber bereits jetzt in Kraft getreten, so dass man sich als Vertrauensperson hier schnell auf den aktuellen Stand bringen sollte.

Schlussendlich: Ist das Gesetz aus Ihrer Sicht ein gelungener Wurf?

Die Behindertenverbände haben mit großem Engagement gekämpft und etwa beim Zugang zu den Leistungen der Eingliederungshilfe oder bei der Schnittstelle zwischen Eingliederungshilfe und Pflege einiges erreicht. Bei anderen Themen, etwa der Forderung, ein „Poolen" von Leistungen (also eine gemeinsame Inanspruchnahme von Leistungen durch mehrere Betroffene) gegen den Willen eines behinderten Menschen zu untersagen, konnten sie sich nicht durchsetzen. Auch beim Thema Vermögensfreibeträge sind weitere Verbesserungen einzufordern. Insofern ist mein Fazit zu den allgemeinen behindertenrechtlichen Neuerungen daher zwiegespalten: Es ist einiges erreicht worden. Aber es gibt auch noch viel zu tun. Für die Schwerbehindertenvertretung fällt mein Resümee positiver aus: Hier hat das Gesetz doch viele, schon länger erhobene Forderungen für eine Stärkung dieses wichtigen Amtes umgesetzt.

Hintergrund: Das Bundesteilhabegesetz

In Deutschland leben derzeit etwa 10 Mio. Menschen mit Beeinträchtigungen, davon sind rund 7,5 Mio. schwerbehindert. Ziel des Bundesteilhabegesetzes ist es, Menschen mit Behinderungen mehr Selbstbestimmung und Teilhabe zu ermöglichen. Um das zu erreichen, wird auch das ehrenamtliche Engagement der Schwerbehindertenvertretungen gestärkt. Nach langer Diskussion hat der Bundestag das Bundesteilhabegesetz am 01.12.2016 beschlossen, die Zustimmung des Bundesrates erfolgte am 16.12.2016. Damit ist das Gesetzgebungsverfahren zum BTHG abgeschlossen: Zum 30. Dezember 2016 treten die ersten Regelungen des weiterentwickelten Schwerbehindertenrechts in Kraft. Zum 01.01.2018 folgt eine Reform des Sozialgesetzbuches IX.

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