Seit September herrscht Unruhe in den Unternehmen – seit dem Moment, als das Bundesarbeitsgericht die „Rückkehr zur Stechuhr“ verkündete. Rückkehr zur Stechuhr? So las man es zumindest in den Medien.
Gespannt warteten seitdem alle auf die Gründe der Entscheidung – bis diese vorliegen, das kann im Einzelfall schon mal etwas dauern.
Jetzt ist es so weit – endlich! Auf 23 Seiten legen die Richter des Ersten Senats des Bundesarbeitsgerichts dar, was genau hinter dem „Stechuhr-Beschluss“ steckt, mit dem ein Betriebsrat eigentlich ein Initiativrecht zur Einführung eines elektronischen Systems zur Arbeitszeiterfassung durchsetzen wollte.
Kein Initiativrecht zur Einführung einer elektronischen Arbeitszeiterfassung.
Die wichtigsten Gründe im Überblick
Konkret gefragt: Was gilt den jetzt? Das sind die sieben wichtigsten Kernaussagen für Betriebsräte:
- Es besteht in Deutschland eine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung!
- Weil diese Pflicht besteht, bleibt kein Raum mehr „für ein darauf gerichtetes Initiativrecht des Betriebsrats“. Begründung: Arbeitgeber sind bereits kraft Gesetzes verpflichtet, ein entsprechendes System einzuführen.
- Arbeitgeber sind nach der Rahmenvorschrift des § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG verpflichtet, ein System einzurichten, mit dem Beginn und Ende und damit die Dauer der Arbeitszeiten einschließlich der Überstunden der Arbeitnehmer in ihrem gemeinsamen Betrieb erfasst werden. Das bedeutet: Die bloße Bereitstellung eines Zeiterfassungssystems reicht nicht aus. Aber: Es ist nicht ausgeschlossen, die Aufzeichnung der betreffenden Zeiten als solche an die Arbeitnehmer zu delegieren.
- Welches System? Arbeitgeber müssen ein „objektives, verlässliches und zugängliches System“ einführen, mit dem die von Arbeitnehmern geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann, so der Wortlaut der Entscheidung. Bei der Auswahl sind vor allem die „Besonderheiten der jeweils betroffenen Tätigkeitsbereiche der Arbeitnehmer und die Eigenheiten des Unternehmens – insbesondere seine Größe – zu berücksichtigen“.
- Wichtig: Bei der Ausgestaltung („Wie“) besteht ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats.
- Zeiterfassung digital oder in Papierform? Da sich die Pflicht der Zeiterfassung nicht zwingend auf eine Zeiterfassung in elektronischer Form bezieht, kann sich auch das dem Betriebsrat bei der Ausgestaltung eines solchen Zeiterfassungssystems zustehende Initiativrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG nicht lediglich hierauf beschränken. „Das geben Inhalt und Zweck dieses Mitbestimmungstatbestands vor.“
- Ausnahmen von der Zeiterfassung? Die sich aus § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG ergebende Verpflichtung, Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeiten einschließlich der Überstunden zu erfassen, bezieht sich – wie für die Mitbestimmung nach § 87 BetrVG allein erheblich – auf alle in ihrem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer gem. § 5 Abs. 1 Satz 1 BetrVG, so das BAG. Ausgenommen sind damit leitende Angestellte im Sinne von § 5 Abs. 3 BetrVG. Grundsätzlich mögliche weitere Sonderregelungen für Arbeitnehmer hat der Gesetzgeber nicht getroffen – bisher zumindest nicht.
Die Diskussionen rund um das Thema verlaufen hitzig.
Jetzt ist der Gesetzgeber dran
Fazit: Es gibt keine Übergangsfrist, die Pflichten bestehen ab sofort. Bei den Details zur Arbeitszeiterfassung gibt es allerdings an manchen Stellen noch Klärungsbedarf. Das Bundesarbeitsministerium hat schon angekündigt, tätig zu werden – bloß wann? Zur Rechtssicherheit sollte das jetzt schnell gehen, so viel ist klar. Denn, die Diskussionen rund um das Thema verlaufen hitzig. Und richtig einig ist sich niemand.
„Bald“, so heißt es aus dem Ministerium, folge ein Vorschlag für ein Gesetz zur Arbeitszeiterfassung – damit ist das erste Quartal 2023 gemeint. Zunächst würden die Entscheidungsgründe geprüft.
Das ganze Arbeitszeitgesetz gerät ins Wanken.
Große Sorge der Arbeitgeber
Im Kern der Diskussion geht es indes längst nicht mehr nur um die Erfassung der Arbeitszeiten. Das ganze Arbeitszeitgesetz gerät ins Wanken. „Deutschland braucht keine auf die Minute festgelegten Acht-Stunden-Schichten, sondern Freiräume für eine selbstbestimmte und flexible Einteilung der Arbeit“, kommentierte Achim Berg, Präsident des Digitalverbandes Bitkom. „Unser Arbeitsrecht orientiert sich noch zu häufig am Bild der Industriearbeit aus der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, nicht an der flexiblen Arbeit in unserer heutigen digitalen Welt.“
„Zu einer guten Arbeit gehört auch eine flexible Arbeitszeit“, sagte der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Steffen Kampeter. Was da kommt? Wir werden berichten! (cbo)