So verrückt nun auch wieder nicht! Ökonomische Erfahrungen aus sechs Automobilzyklen gepaart mit den vermuteten Wirkungen von Mega-Konjunkturpaketen von Bundesregierung, EU und EZB lassen ab Herbst in den amtlichen Zahlen ein anderes, nämlich besseres Konjunkturbild erwarten. Auch wenn kein Konjunkturzyklus dem anderen gleicht, keine Rezession und kein Konjunkturaufschwung denen Zyklen der Vergangenheit, so gibt es doch sich ähnelnde Verläufe. Natürlich nur in gewissen Grenzen, denn ...siehe oben. Doch der Reihe nach.
Wann kommt der Aufschwung?
In den Geschichtsbüchern kann man nachlesen: Epidemien gab es immer schon, doch die Menschheit hat sie alle überlebt, wenn auch teils mit starken Blessuren; manchmal starb mehr ein Drittel der Bevölkerung. Doch ähnlich wie es also nach 2020 mit Gewissheit ein Leben nach der Corona-Pandemie geben wird, wird es auch wieder bessere Zeiten in der Wirtschaft geben.
Unklar ist nur, wann der Aufschwung einsetzt und wie stark er in diesem Konjunkturzyklus ausfällt. Dazu nachfolgende Überlegungen...
Auguren (Agur: jemand, der Interpretationen von sich anbahnenden Entwicklungen ausspricht) haben es immer schwer, diesmal aber besonders. Historische Anhaltspunkte aus der Vergangenheit für wissenschaftlich fundierte Prognosen gibt es nicht. Alles ist neu, alles ist unsicher, sogar der Charakter des Sars-Covid-19 Virus selber. Keiner weiß so recht, wohin er sich entwickelt, ob und wann es einen Impfstoff geben wird und wann das „normale" Leben von früher wieder einsetzt.
Beide Faktoren sind jedoch ausschlaggebend für eine seriöse Einschätzung, ob es zu dauerhaften Veränderungen im Verhalten der Menschen, hier vor allem der Autokäufer – ob gewerblich, ob privat – kommen wird. Die bislang vorliegenden ökonomischen Indikatoren sind noch nicht valide, sind zu spärlich. Und sie lassen angesichts der exorbitanten Unsicherheit bei der Beschäftigung und den Einkommen noch keine gesicherte Vorausschätzung zu.
Licht im Tunnel
Mit anderen Worten: Auguren und Prognostiker tappen ziemlich im Dunkeln. Der große Absturz ist da, nur ist sicher, doch was kommt danach? Wann kommt die ersehnte Konjunkturerholung in der Gesamtwirtschaft, wann in der Automobilindustrie. Und wie fällt die dann aus?
Zwar sieht Michael Hüther (Direktor des IW Köln) bereits Licht im Tunnel: „Das Tal der Tränen ist erreicht ...der Absturz, den wir im zweiten Quartal wahrgenommen haben, ohne dass wir ihn in amtlichen Zahlen sehen, ist zu einem Halt gekommen." Nur hat den Halt keiner so recht bemerkt oder wahrhaben wollen, angesichts der gewaltigen finanziellen Belastungen der Groß-Unternehmen und vor allem der existenziellen Nöte der klein- und mittelständischen Unternehmen und der vielen Selbständigen. Sie alle sind mit 90 % das Rückgrat unserer Wirtschaft. Sie alle werden vorerst kein neues Auto kaufen...aber danach!
Die erste zarte Erholung hat tatsächlich schon begonnen: die ersten Autowerke arbeiten wieder, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit; die Verkaufsräume der Händler sind wieder geöffnet, Volkswagen will seinen auf Halde gebaute Id.3 ab September endlich ausliefern, Frisöre schneiden wieder Haare, die Börsen zeigen trotz wirtschaftshistorisch tiefster Rezession deutlich nach oben. Und im eigenen Auto ist Gesichtsmaskenpflicht aufgehoben.
Alles positive Anzeichen dafür, dass die Erholung, jüngst auch von den „Fünf Weisen" (Sachverständigenrat) unterstellt, greifbar ist. Wie stark die kommende Erholung insbesondere der Automobilkonjunktur sein wird, darüber gehen die Meinungen der Experten allerdings weit auseinander. In dieser Situation kommt die Konjunkturtheorie dem Praktiker zu Hilfe.
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Vier Prognoseansätze: V, W, U, L
Es gibt vier Prognoseansätze für die kommende Konjunkturaufschwung: entsprechend den Großbuchstaben V,W,U,L sind vier Szenarien denkbar. Allerdings immer vorausgesetzt, es kommt zu keiner zweiten Corona-Welle, die Pandemie klingt langsam ab (allerdings mit globalen Restrisiken), die Weltwirtschaft nimmt wieder Fahrt auf. Unterstützt von extrem niedrigen Erdölpreisen, die dem Kunden die Entscheidung, ob Elektroauto oder Verbrenner, sehr erleichtern.
Szenario V
Der Konjunkturzyklus hat die Form eines V: Steiler Abschwung und Rezession, danach fast nahtloser Übergang zu einem ebenso steilen Aufschwung. Ganz ähnlich wie 2009 in der Lehmann Finanzkrise. Bezogen auf 2020 würde die Rezession zwei Quartale andauern, mitten im Sommer käme der Wendepunkt, im Herbst ginge es dann mit einer kräftigen Erholung wieder aufwärts mit Fortsetzung in 2021. Ähnlich sieht Michael Hüther auch den Verlauf der Gesamtwirtschaft: Nach dem historischen Einbruch des Bruttoinlandsproduktes im zweiten Quartal um minus 12 % in laufender Rate, wird das dritte Quartal bereits wieder im Zeichen des Wachstumspfads stehen, der sich nach 2021 hin weiter fortsetzen wird. In 2022 wird dann spätestens das Vor-Corona Niveau wieder erreicht.
Aus den Autozyklen der letzten Jahrzehnte wissen wir, dass die Automobilnachfrage im Zyklus stets frühzeitig als erste Konjunkturkomponente einbrach und die allgemeine Rezession anführte, dann aber ebenso früh in die Erholungsphase startete. Und, ganz wichtig, je nach Schwere des Rezessionsverlaufs sogar sehr steil.
Szenario W
Das W-Zyklus-Szenario ist das unspektakulärste, aber am häufigsten in der Nachkriegszeit eingetreten: Der Abschwung ist steil und kurz, dann folgt eine ebenso steile, fiskal- und geldpolitisch angeschobene Erholung, die aber dann, nachdem der erste Nachholbedarf der Wirtschaft, auch nach Automobilen, gedeckt ist, zunächst wieder abflaut. Anschließend setzt meist ein Quartal später der normale „natürliche", sich selbsttragende Aufschwung ein.
Das W-Szenario ist als eine Art „Wassertropfen-Variante", ein Zwischending und wird als Double Dip Rezession bezeichnet. Das wesentliche hier: Es gibt eine schnelle und kräftige Erholung, aber dann wieder abbricht – zum Beispiel, wenn es im Winterhalbjahr 2020/2021 einen erneuten Lockdown wegen eines Wiederaufflammens der Pandemie gäbe. Und der Exportaufschwung auf sich warten lässt.
Doch dann, kaum sehen die Konjunkturpessimisten sich bestätigt, setzt – analog Frühjahr 2010 – der zweite, dann nachhaltige Aufschwung ein. Dafür waren in der Vergangenheit dann die natürlichen, endogenen Wachstumskräfte der Märkte verantwortlich, woher sie auch immer gekommen sind.
Bezogen auf die Autoindustrie könnten die Wachstumsimpulse aus dem ökologischen Umbau der Weltautomobilflotte (1,5 Milliarden Autos) auf nicht-fossilen, „grünen" Antrieb kommen, sei es elektrisch auf Batteriebasis, sei es auf Basis Wasserstoff und synthetischen Treibstoffen. In Deutschland wären das 47 Millionen Verbrenner-Automobile, in Europa ca. 300 Millionen. Da gibt es viel zu tun ...
Szenario U
Bei diesem zweitschlechtesten Szenario droht eine längere Krisen-Wanderung durch das „Tal der Rezessions-Tränen", bevor es zu einer nur langsam an Fahrt gewinnenden Erholung kommt – und zwar nicht vor 2022. Die Rezesssionskurve hätte dann die Form eines U.
Die wesentlichsten Ursachen dafür könnten langwährende Belastungen durch die Epidemie sein. Eine weitere Ursache: Strukturelle Wirtschaftsprobleme im und am kapitalistischen Wirtschaftssystem, die zeitverzögert als längerfristige Folge des Showdown-Schocks zu Tage treten. Zum Beispiel, weil die Rettungspakete nicht wie gewünscht greifen. Oder weil sich selbst verstärkende Kräfte die Rezession in Gang halten: Firmen gehen reihenweise insolvent, immer mehr Menschen werden entlassen, dadurch sinkt der Konsum immer weiter, neue Branchen werden erfasst, neue Entlassungen folgen und so weiter.
Der Aufschwung käme zwar irgendwann, aber zu spät. Die Autoindustrie würde global erheblich schrumpfen, die schwächeren Anbieter würden kollabieren. Unter den Zulieferern käme es zum Kahlschlag. Die Wahrscheinlichkeit für ein solches Szenario ist zwar nicht besonders hoch, aber denkbar ist es im ungünstigsten Fall, sollten wirksame Impfstoffe gegen Covid-19 nicht oder sehr spät gefunden werden. Die Weltwirtschaft verliefe mit angezogener Handbremse.
Szenario L
Dieses wäre das Worst-Case-Szenario: Bei einem L-Verlauf der Rezession bliebe die Erholung aus und die Weltwirtschaft würde sich in eine langanhaltende Depression über mehrere Jahre befinden. Das kapitalistische Wirtschaftssystem wäre am Ende, der Staat müsste in die Bresche springen, Karl Marx wäre bestätigt.
Dieses L-Horror-Szenario ist wenig wahrscheinlich. Zwar lässt sich eine Depression nicht völlig ausschließen, Stand heute. Aber da müsste wirklich sehr viel zusammenkommen, quasi alles schieflaufen, damit es eintritt. Im Gegenteil: Die Wirtschaftspolitik in allen Ländern beweist mit ihren Konjunkturprogrammen, dass man die Lektion aus 1929 gelernt hat, überall ist die „Bazooka" im Einsatz. Alle Regierungen haben schnell und mit gewaltigen Rettungspaketen reagiert, die Notenbanken handelten undogmatisch und letztlich ist nicht das Wirtschaftssystem selbst Ursache der Krise, auch wenn manche Ökonomen das so sehen. Nimmt der Belastungsfaktor Corona als Ursache der Krise ab, steht einer raschen Erholung eigentlich nichts mehr im Wege.
Kein Anlass zum Trübsal blasen!
Soweit die theoretische Nomenklatur der kommenden Konjunkturerholung. Welche Entwicklung sich durchsetzen wird und welches dieser Szenarien eintritt, lässt sich derzeit seriös nur vermuten, nicht eindeutig sagen.
Gewichtet man alle positiven wie negativen Einflussfaktoren und folgt seinen langjährigen Erfahrungen (plus Bauchgefühl), so wird der kommende Aufschwung mit großer Wahrscheinlichkeit eine Mischung aus V- und W- Entwicklung sein. Entfalten Konjunkturpakete und Nachholbedarfe wie früher ihre Wirkung, kommt es zu einem relativ zügigen Aufschwung. Dieser hält bis zu zwei Quartalen an, verlangsamt sich, bricht aber nicht ab, sondern setzt sich in 2021 weiter fort, zunächst verhalten, dann mit Unterstützung der Weltwirtschaft und des Exports wieder sehr kräftig. Das BIP Wachstum bleibt 2020 negativ, wird aber 2021 wieder deutlich positiv.
Für die Automobilkonjunktur hellt sich bei diesem Szenario der Horizont auf: Im dritten Quartal kommt die Wende nach oben, die sich im vierten Quartal mehr oder weniger steil fortsetzen wird; getragen vom Verbrenner. Im Jahresergebnis wird das Zulassungsniveau von 2019 (3,6 Mio.) allerdings um ca. 700.000 Autos verfehlt (minus 20%). 2021 dürfte die Branche beim Inlandsabsatz dann wieder Anschluss an das Vor-Corona Niveau gewinnen. Kein Anlass also zum Trübsal blasen!