Herr Dr. Kopke, aus Ihrer Sicht als Arbeitsrichter: Wie wichtig sind ehrenamtliche Arbeitsrichter für die Verfahren vor dem Arbeitsgericht?
Wolfgang Kopke: Im Arbeitsrecht gibt es unbestimmte Rechtsbegriffe wie „wichtiger Grund“ (für eine fristlose Kündigung) oder „angemessen“ (für die Höhe von Zuschlägen). Hier können die betrieblichen Erfahrungen der ehrenamtlichen Richter hilfreich sein. Allerdings sind die Ehrenamtlichen nur selten gerade aus der Branche, in welcher der zu entscheidende Fall spielt. Ein Ehrenamtlicher aus der Industrie kann z.B. wenig weiterhelfen, wenn es um die Frage geht, welches Verhalten von Arbeitnehmern in einem Pflegeheim erwartet werden kann.
Lassen Sie mich gerne die Gelegenheit wahrnehmen, für das Amt des ehrenamtlichen Richters zu werben.
Wie ist es umgekehrt, inwiefern profitieren Betriebsräte von diesem Ehrenamt?
Wolfgang Kopke: Lassen Sie mich gerne die Gelegenheit wahrnehmen, für das Amt des ehrenamtlichen Richters zu werben. Auch wenn man die Entscheidung der Kammer vielleicht nur selten maßgeblich beeinflussen kann, lernt man doch Fälle aus unterschiedlichsten Branchen, Schichten und Rechtsgebieten kennen, lernt auch viel Juristisches hinzu und kann dies sicher auch gewinnbringend in seine Tätigkeit als Betriebsrat einbringen.
Was sollte ein ehrenamtlicher Arbeitsrichter an Wissen, Erfahrung und Fähigkeiten mitbringen?
Wolfgang Kopke: Auf Arbeitnehmerseite sind erfahrene Betriebsräte ideal, weil sie allein schon durch die Grundlagenschulungen nach § 37 Abs. 6 BetrVG über die notwendigen juristischen Grundkenntnisse verfügen. Von früheren Anhörungen zu Kündigungen nach § 102 BetrVG wissen sie auch, wie schwierig die Beurteilung der Wirksamkeit einer Kündigung im Einzelfall sein kann – und der größte Teil der Verfahren am Arbeitsgericht betrifft ja gerade Kündigungen.
Auch Berufsrichter entscheiden oft nach Bauchgefühl.
Stichwort Bauchgefühl der Praktiker: Kann das eine Wende bringen in hitzigen Diskussionen mit Richtern und Beteiligten?
Wolfgang Kopke: Auch Berufsrichter entscheiden oft nach Bauchgefühl, das sie nur wohlklingend „Judiz“ nennen und manchmal durch lange Urteile zu kaschieren versuchen. Ein Rechtsfall ist keine Rechenaufgabe – deshalb „judex non calculat”, frei übersetzt: „Der Richter rechnet nicht“ – und es ist letztlich eine willkürliche Entscheidung, ob man 25 %, 30 % oder mehr für einen „angemessenen“ Zuschlag bei Nachtarbeit hält. Deshalb sollten sich ehrenamtliche Richter auch nicht genieren, nach Gefühl zu entscheiden, soweit nicht zwingende Rechtsvorschriften die Entscheidung bestimmen. Ist die Klagefrist versäumt, kann man nicht aus Mitleid dem Gekündigten recht geben, umgekehrt kann der Arbeitgeber noch so gute Kündigungsgründe haben – hat er den Betriebsrat nicht richtig angehört, muss er den Prozess verlieren. Und nach fast einhundert Jahren Arbeitsgerichtsgesetz gibt es auch so viele oberstgerichtliche Entscheidungen, die den unteren Instanzen oft wenig Spielraum lassen, was im Interesse der Rechtssicherheit aber gut ist. Wenn relativ gut vorhersehbar ist, wie die Gerichte entscheiden werden bzw. würden, können die Betroffenen ihr Verhalten danach ausrichten und damit spätere Prozesse vermeiden.
Gibt es Verhandlungen, an die Sie sie sich wegen der Ehrenamtler noch besonders gut erinnern?
Wolfgang Kopke: Gut erinnere ich mich noch immer an eine Sitzung zu Beginn meiner Amtszeit. Da ergriff der Leiter des örtlichen Finanzamtes in einer festgefahrenen Verhandlung das Wort und redete so lange auf den Arbeitgeber ein, bis dieser dann endlich in einen Vergleich einwilligte. Unvergessen auch die Beratung mit einer Betriebsrätin und einer Personalleiterin als ehrenamtliche Richterinnen anlässlich der fristlosen Kündigung eines Betriebsrats wegen Spesenbetruges: Die Betriebsrätin an meiner Seite meinte, der Gekündigte hätte sich gerade als Betriebsrat korrekt verhalten müssen, während die Personalleiterin der Ansicht war, wenn sie die Spesenabrechnungen durchgehen würde, könnte sie wohl jeden kündigen …
Ein Ehrenamtlicher ohne rechtliche Vorkenntnisse kann den Argumenten der Anwälte in der Sitzung oft nicht folgen.
Zum Schluss eine Frage aus unserem Forum: Wie wichtig ist es, dass sich ehrenamtliche Richter rechtlich schulen lassen?
Wolfgang Kopke: Ein Ehrenamtlicher ohne rechtliche Vorkenntnisse kann den Argumenten der Anwälte in der Sitzung oft nicht folgen und wird sich kaum trauen, in der Beratung der Kammer eine eigene Meinung zu vertreten.
Zur Person
Dr. Wolfgang Kopke ist Richter am Arbeitsgericht Mainz. Für das ifb referiert er seit dem Jahr 2001 und schult dabei u.a. auch ehrenamtliche Arbeitsrichter.