Wer sich strafbar macht, der muss eine Anklage durch die Staatsanwaltschaft und eine Verhandlung vor dem zuständigen Strafgericht befürchten. Was viele nicht wissen: Bestimmte Verstöße gegen das Betriebsverfassungsgesetz können diese Folge auslösen. Im Extremfall kann sogar eine Gefängnisstrafe von bis zu einem Jahr verhängt werden, je nachdem wie schwerwiegend das Gericht den Fall einstuft.
In der Praxis bedeutet ein Strafverfahren für den Betroffenen regelmäßig große Unannehmlichkeiten und eine erhebliche Belastung. Ist der Arbeitgeber der Beschuldigte, so muss er damit rechnen, dass kriminalpolizeiliche Ermittlungen durchgeführt werden, in deren Zuge er als Beschuldigter und Teile seiner Belegschaft als Zeugen geladen und vernommen werden.
Zweck des § 119 BetrVG
Die Vorschrift des § 119 BetrVG dient dazu, die durch das Betriebsverfassungsgesetz garantierte Mitbestimmung strafrechtlich abzusichern. Der Gesetzgeber sieht diese Mitbestimmung als so wichtig an, dass sie durch das „schärfste Schwert des Staates" zu schützen ist: die Verletzung durch eine der in § 119 BetrVG genannten Handlungen wird im Prinzip genauso bestraft wird wie Steuerhinterziehung, Betrug, Körperverletzung und andere kriminelle Verhaltensweisen.
Mögliche Täter
Als Täter kommen in der Praxis in erster Linie der Arbeitgeber, leitende Angestellte und sonstige Vertreter des Arbeitgebers in Betracht. Die Vorschrift des § 119 BetrVG beschränkt sich aber nicht auf diese Personen. Auch jeder beliebige Arbeitnehmer des Betriebs, einzelne Betriebsratsmitglieder oder auch betriebsfremde Personen können Straftaten nach § 119 BetrVG begehen.
Strafbare Handlungen
1. Wahlbehinderung oder -beeinflussung
Strafbar ist nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG die Behinderung der Wahl des Betriebsrats oder eines anderen in der Vorschrift genannten betriebsverfassungsrechtlichen Mitbestimmungsorgans. Gleiches gilt für die Wahlbeeinflussung durch die Zufügung oder Androhung von Nachteilen oder durch die Gewährung oder das Versprechen von Vorteilen. Was nach § 20 BetrVGverboten ist und damit zu nach § 23 Abs. 3 BetrVG durchsetzbaren Unterlassungspflichten führt, wird also darüber hinaus nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG unter Strafe gestellt.
Mit dem Begriff „Wahl" meint das Gesetz nicht lediglich den Abstimmungsvorgang als solchen, sondern erfasst alles von der Wahlvorbereitung bis zur Feststellung des endgültigen Wahlergebnisses. Bereits in die bloße Vorbereitung der Betriebsratswahl darf der Arbeitgeber nicht in irgendeiner Weise eingreifen – etwa durch die Drohung mit der Betriebsschließung für den Fall, dass ein Betriebsrat gewählt wird.
Die „Behinderung" einer Wahl setzt nicht deren völlige Verhinderung voraus. Gleichzeitig genügt aber auch nicht jedes Verhalten, welches der Wahl zuwiderläuft, sich aber letztlich überhaupt nicht auf diese auswirkt. Die Wahl gilt vielmehr dann als behindert, wenn diese spürbar erschwert oder verzögert wird. Erforderlich ist der Nachweis, dass ohne das behindernde Verhalten die Wahl „reibungsloser" oder zeitlich früher stattgefunden hätte. Wenn beispielsweise der Arbeitgeber die zur Durchführung der Wahl erforderlichen Unterlagen auf Verlangen nicht unverzüglich an den Wahlvorstand herausgibt, kann dies den Tatbestand der Wahlbehinderung erfüllen.
Die Wahl ist unerlaubt „beeinflusst", wenn entweder die Kandidatur oder die Stimmabgabe des einzelnen Wahlberechtigten durch das Täterverhalten verändert wird. Unerheblich ist, ob sich dadurch auch das Wahlergebnis ändert.
Folgendes Beispiel veranschaulicht dies: Der Arbeitgeber droht dem Arbeitnehmer mit der Kündigung für den Fall, dass dieser bei der bevorstehenden Betriebsratswahl nicht für den arbeitgeberfreundlichen Kandidaten stimmt. Der Arbeitnehmer möchte einen anderen Kollegen wählen, stimmt jedoch aus Angst um seinen Arbeitsplatz für den arbeitgeberfreundlichen Kandidaten. Dieser gewinnt mit 80 zu 20 Stimmen. Hier ist der Tatbestand der Wahlbeeinflussung erfüllt, da die Stimmabgabe des A vom Arbeitgeber verändert wurde. Es spielt keine Rolle, dass er auch ohne die Drohung des Arbeitgebers die Wahl mit 79 zu 21 Stimmen gewonnen hätte.
2. Behinderung oder Störung des Betriebsrats
Nach § 119 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG ist jede Behinderung oder Störung der Tätigkeit des Betriebsrats und der anderen in der Vorschrift genannten Vertretungsorgane und sonstigen Stellen strafbar. Das in § 78 S. 1 BetrVG aufgestellte Behinderungs- und Störungsverbot wird also durch § 119 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG unter Strafe gestellt.
Eine „Behinderung oder Störung" liegt bei jeder spürbaren Beeinträchtigung der Wahrnehmung von Aufgaben nach dem Betriebsverfassungsgesetz vor. Die in der Praxis am häufigsten vorkommenden Behinderungen oder Störungen bestehen in der Missachtung von Beteiligungsrechten des Betriebsrats. Auch die beharrliche Weigerung, die Kosten für Schulungsmaßnahmen oder für sonstige erforderliche Betriebsratsarbeit zu übernehmen, stellt eine Störung der Geschäftsführung des Betriebsrats dar. Auch die beharrliche Weigerung des Arbeitgebers, überhaupt mit dem Betriebsrat zusammen zu arbeiten, kann eine Straftat nach § 119 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG darstellen.
3. Verstoß gegen das Begünstigungs- oder Benachteiligungsverbot
Nach § 119 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG macht sich strafbar, wer ein Mitglied oder (amtierendes) Ersatzmitglied des Betriebsrats oder der anderen in der Vorschrift genannten Vertretungsorgane und sonstigen Stellen gerade wegen dieser Mitgliedschaft benachteiligt oder begünstigt. Diese Vorschrift stellt die strafrechtliche Flanke des in § 78 S. 2 BetrVG aufgestellte Benachteiligungs- und Begünstigungsverbots dar.
Für die Strafbarkeit nach dieser Vorschrift genügt es nicht, wenn eine Begünstigung oder Benachteiligung lediglich angekündigt bzw. angedroht wird. Erforderlich ist eine tatsächlich erfolgte Begünstigung oder Benachteiligung.
„Begünstigung" ist jede Gewährung eines Vorteils, das heißt jede Besserstellung in materieller oder immaterieller Hinsicht. Dazu zählen z.B. Sonderbonuszahlungen, mehr Urlaubstage, die Gewährung eines auch privat nutzbaren Dienstwagens. Das Begünstigungsverbot soll Korruption verhindern und sicherstellen, dass die einzelnen Betriebsratsmitglieder und sonstigen Mitglieder betriebsverfassungsrechtlicher Mitbestimmungsorgane ihr Amt entsprechend ihrer gesetzlichen Pflichten „sauber" ausüben. Anders als bei den sonstigen Regelungen zur strafrechtlichen Korruptionsbekämpfung macht sich der einzelne Betriebsrat durch die bloße Annahme eines Vorteils nicht strafbar. Nur wenn er vom Arbeitgeber einen Vorteil nicht nur annimmt, sondern zuvor auch ausdrücklich fordert, kann sein Verhalten als Anstiftung oder Beihilfe gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG, §§ 26, 27 StGB strafbar sein.
„Benachteiligung" ist jede materielle oder immaterielle Schlechterstellung. Dazu gehört z.B. die Zuweisung eines nachteiligen Arbeitsplatzes oder die Aufnahme der Betriebsratstätigkeit in das Arbeitszeugnis entgegen dem Willen des Betriebsratsmitglieds.
Vorsatz
Damit eine Straftat nach dem BetrVG gegeben ist, muss der Täter zwingend vorsätzlich handeln. Dies ist der Fall, wenn der Täter bewusst und gewollt handelt, also kein bloßes „Versehen" vorliegt. Der Täter muss wissen, was er tut und dieses Tun auch genau so wollen. Andererseits muss er sich nicht darüber im Klaren sein, dass sein Verhalten bereits die Schwelle zur Strafbarkeit überschreitet. Unwissenheit in Bezug auf die Strafbarkeit schützt vor Strafe nicht. Jede andere Unwissenheit in Bezug auf die Umstände des Einzelfalles kann aber den Vorsatz ausschließen und gegebenenfalls vor Strafe schützen.
In der Praxis kann es sich als schwierig erweisen, den Vorsatz nachzuweisen. Wenn etwa der Arbeitgeber einem bestimmten Arbeitnehmer wegen dessen Zugehörigkeit zum Betriebsrat den zuvor gewährten Dienstwagen wegnimmt, muss für eine Strafbarkeit nach § 119 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG nachgewiesen werden, dass der Arbeitgeber diesen Arbeitnehmer gerade wegen dessen Zugehörigkeit zum Betriebsrat benachteiligen wollte. Wenn der Arbeitgeber in einem solchen Fall andere glaubhafte Gründe für sein Verhalten anführt, gestaltet sich der Nachweis des Benachteiligungsvorsatzes als schwierig, kann jedoch trotzdem gelingen.
Voraussetzung der Strafverfolgung
Nach § 119 BetrVG wird die Tat nur auf Antrag verfolgt. Eine Strafverfolgung findet daher nur dann statt, wenn der Betriebsrat oder ein sonstiger nach § 119 Abs. 2 BetrVG Antragsberechtigter ausdrücklich und fristgerecht bei Polizei oder Staatsanwaltschaft einen Antrag auf Strafverfolgung stellt.
Einen solchen Antrag kann nicht etwa das einzelne Betriebsratsmitglied stellen, auch nicht der Betriebsratsvorsitzende. Notwendig ist ein Antrag des Betriebsrats als Gremium. Daher muss ein wirksamer Beschluss des Betriebsrats vorliegen, in dem ausdrücklich der Strafantragstellung zugestimmt wird. Fehlt es an einem wirksamen Beschluss und wird trotzdem Strafantrag gestellt, so kann der Täter nicht bestraft werden. Zeigt sich die Unwirksamkeit des Beschlusses erst im gerichtlichen Verfahren, wird der Täter freigesprochen oder das Verfahren eingestellt und dem Betriebsrat können die Kosten des Verfahrens auferlegt werden, da der Fehler, der die Bestrafung des Täters verhindert, in seiner Sphäre liegt. Gleiches gilt, wenn der zunächst wirksame Strafantrag vor Gericht zurückgenommen wird, etwa weil sich Arbeitgeber und Betriebsrat zwischenzeitlich „versöhnt" haben.
Zu beachten ist unbedingt, dass der Strafantrag gemäß § 77b StGB nur innerhalb von drei Monaten gestellt werden kann. Diese Frist beginnt, sobald der Betriebsrat von Tat und Täter Kenntnis erlangt hat. Dabei ist für jede einzelne Tat ein neuer und fristgerechter Strafantrag notwendig. Dies bedeutet, dass der Betriebsrat nicht über einen langen Zeitraum Taten des Arbeitgebers „sammeln" und diese zur Anzeige bringen kann, wenn „das Fass zum Überlaufen gebracht" wurde. Für solche Taten, die mehr als drei Monate zurückliegen, kann nämlich kein Strafantrag mehr gestellt werden, so dass in Bezug auf diese Taten der Täter auf jeden Fall straffrei davonkommt.
Fortsetzung in der nächsten Ausgabe mit Teil 2: Verletzung von Geheimnissen - § 120 BetrVG