Herr Prof. Wolff, ganz ehrlich, funktioniert unser System der Kontrolle und Beratung durch Aufsichtsräte?
Im Großen und Ganzen funktionieren unsere Aufsichtsräte gut. Denn im Gegensatz zu früher gab es in den letzten Jahren einige Verbesserungen. Die Zeiten der Deutschland-AG sind vorbei. Allerdings sehe ich auch Nachholbedarf. Insbesondere was die Bereiche Unabhängigkeit und Kompetenz angeht, können einzelne Gremien noch besser werden.
Mit Blick auf den Skandal bei Wirecard: Was lief schief beim Kontrollgremium?
Wirecard ist ein gutes Beispiel dafür, wo es Verbesserungsbedarf gibt. Da sind vor allem die Themenbereiche Compliance und Risikomanagement zu nennen. Und bei Wirecard fehlte wahrscheinlich zudem eine kritische Distanz zum Vorstand.
Wirecard hatte vor der Insolvenz Schätzungen zufolge rund 5.000 Mitarbeiter. Trotzdem gab es im Aufsichtsrat keine Arbeitnehmervertreter. Wie kann das sein?
Hintergrund könnte ein geschicktes Zersplittern des Unternehmens sein, so dass am Ende die Schwellenwerte für die Bildung von Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat nicht erreicht wurden. Ohne das im Detail zu beurteilen, ist doch immer eine entscheidende Frage, wie wichtig ein Unternehmen die Mitbestimmung nimmt. Häufig mangelt es bereits an der Kommunikation, die nicht ausreichend stattfindet. Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat müssen ernst genommen, der ganze Aufsichtsrat muss bei Veränderungsprozessen frühzeitig eingebunden werden.
Und die Arbeitnehmervertreter – was sollten sie an Kompetenzen mitbringen?
Das finanzielle Durchleuchten eines Unternehmens und die Identifizierung möglicher Risiken ist von großer Bedeutung. Jedes Mitglied im Aufsichtsrat, auch die Arbeitnehmervertreter, sollten sich daher grundlegende Kompetenzen in bilanziellen Fragen aneignen. Außerdem sollten im Aufsichtsrat auch ausgewiesene „Financial Experts“ sitzen. Zudem sollte der Aufsichtsrat eng mit dem Wirtschaftsprüfer zusammenarbeiten und diesen als Sparringspartner nutzen. Zu 100 % ausschließen kann man solche Skandale natürlich nicht, aber dann ist man nah dran.
Manche Aufsichtsräte kleben regelrecht an ihrem Posten, ist das gut fürs Unternehmen?
Nach mehr als zehn Jahren im Aufsichtsrat ist man irgendwann „Teil des Systems“, die kritische Distanz geht unter Umständen verloren. Der Aufsichtsrat mag dann vielleicht ein eingeschworenes Gremium sein, das macht die Funktionsfähigkeit aber nicht besser. Mehr als zehn Jahre im Aufsichtsrat sollten es nicht sein. Und, ganz wichtig, trotz „Cooling-off“, also der Wartezeit eines Vorstands vor dem Wechsel in den Aufsichtsrat, sollte man kritisch hinterfragen, ob es am Ende die gebotene Distanz geben kann bei einem Wechsel vom Vorstand in den Aufsichtsrat.
Mehr Kontrolle, vielleicht auch mehr Strafe: Kann man damit Skandale in Zukunft vermeiden?
Setzt man die Haftungsrisiken höher oder arbeitet mit anderen Strafen, dann wird vielleicht jeder Aufsichtsrat versuchen, alle Risiken zu umgehen. Am Ende bewegt sich keiner mehr, das kann auch nicht sein. Das würde mit Blick in die Zukunft die Weiterentwicklung des Unternehmens lähmen. Stattdessen sollte man die Unabhängigkeit von Aufsichtsräten viel stärker regulieren. Im Aufsichtsrat wird über die Zukunft des Unternehmens entschieden.
Die Finanzkrise 2008/2009 hat gezeigt: Mitbestimmte Unternehmen kommen besser durch die Krise.
Stichwort Zukunft: Was kommt auf Unternehmen und Aufsichtsräte zu?
Das Wegbrechen alter, bekannter Märkte wird jedes Unternehmen treffen. Nehmen wir die Digitalisierung: Auch wenn man das Wort nicht mehr hören kann oder will, wir stehen erst ganz am Beginn. Was passieren wird, das können wir uns heute noch gar nicht vorstellen. Es geht also im Aufsichtsrat am Ende um die langfristigen Perspektiven, die das Überleben des Unternehmens sichern – und damit um den Bestand des Unternehmens.
Welche Rolle spielen Arbeitnehmervertreter für die Zukunft des Unternehmens?
Schon die Finanzkrise 2008/2009 hat gezeigt, dass mitbestimmte Unternehmen besser durch die Krise gekommen sind. Das liegt zum einen an der besseren Akzeptanz von Entscheidungen, die im Wege der Mitbestimmung getroffen wurden. Zum anderen dauert es dann zwar unter Umständen länger, Kompromisse zu finden – diese bieten aber auch langfristige Perspektiven. Am Ende konnten mitbestimmte Unternehmen wieder schneller wachsen. (CB)