Freitagmorgen in der Firmenzentrale: Ein Mitarbeiter aus der IT läuft aufgeregt hin und her und prüft, ob die Onlineverbindung stabil ist. Gleich werden alle Kollegen zur Mitarbeiterversammlung zugeschaltet. Der Chef prüft noch einmal den Sitz der Krawatte, die Mitarbeiter der Beratungsfirma ordnen ihre Hochglanzfolien. Und schon geht’s los: „Guten Morgen, liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Herzlich Willkommen zu unserer Mitarbeiterversammlung. Ich möchte Ihnen heute unsere neue Strategie und die künftige Steuerung mittels OKRs vorstellen.“
OKRs? Die meisten Mitarbeiter haben jetzt ein Fragezeichen im Gesicht.
OKRs? Die meisten Mitarbeiter haben jetzt ein Fragezeichen im Gesicht. Trotzdem: So oder so ähnlich starten meist organisatorische Veränderungen in Unternehmen. Die Geschäftsleitung hat eine Idee, eine Beratungsfirma wird eingeschalten und macht Vorschläge, die Mitarbeiter bekommen die Ergebnisse mitgeteilt und haben künftig danach zu agieren. Im besten Fall wird der Wirtschaftsausschuss rechtzeitig über die anstehende Änderung der Arbeitsmethoden informiert und kann dem Betriebsrat darüber berichten, sodass dieser seine Ideen einbringen kann.
Informations- und Beratungsrechte des Betriebsrats
In der Praxis werden bei der Anwendung einer neuen Managementmethode die Informations- und Beratungsrechte des Betriebsrats oft so lange nicht berücksichtigt, bis dieser Wind von der Änderung bekommt und sich von selbst einschaltet. Aber: Darf er das überhaupt? Ist die Führung des Unternehmens und die damit verbundenen Konzepte nicht Sache der Geschäftsleitung?
Managementkonzepte ändern die Arbeitsweise im Unternehmen grundlegend und berühren viele Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats.
Klar, was getan wird, ist die Entscheidung der Unternehmensführung. Aber gerade Managementkonzepte wie beispielsweise die Einführung von OKRs (Objectives and Key Results) ändern die Arbeitsweise im Unternehmen grundlegend und berühren daher viele Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats.
Beispiel OKR
Übersetzt bedeutet OKR „Ziele und zentrale Ergebnisse“ und soll zwei zentrale Fragen beantworten: Wohin gehen wir und wie wissen wir, ob wir angekommen sind? Im Rahmen der von der Geschäftsleitung vorgegebenen Strategie setzen sich die Mitarbeiter bzw. Teams ambitionierte Ziele, die diese Strategie unterstützen. Die Ziele sind meist auf drei Monate beschränkt und haben messbare Schlüsselresultate, anhand derer die Zielerreichung beurteilt wird. Ein wichtiger Teil dieser Methode ist auch die öffentliche Kommunikation, z. B. über das Intranet oder über andere Kommunikationsplattformen in der Firma. Die Mitarbeiter haben dadurch einen Überblick über alle Ziele und deren Erreichungsgrad. In Bezug auf die Mitwirkung des Betriebsrats ergeben sich hier gleich mehrere Ansätze.
Stichwort Personalplanung
Der Betriebsrat ist nach § 92 BetrVG vom Arbeitgeber über die künftige Personalplanung zu informieren. Zeit- und Personalaufwand sind besonders bei der Einführung neuer Arbeitsmodelle im Vorfeld nicht immer absehbar. Der Betriebsrat hat deshalb darüber zu wachen, dass in das agile Arbeiten ausreichend Personal eingebunden ist, damit es nicht zur Verletzung von Arbeitszeitregelungen kommt.
Hier sind Sie als Betriebsrat gefragt.
Gehaltsregelung und Zielerreichung
Die Ziele, die sich Teams bzw. Mitarbeiter im Rahmen des Managementkonzepts „OKR“ geben, sollen ambitioniert sein. Das hat im Umkehrschluss zur Folge, dass die Ziele in der Regel nur zu 70 % erreicht werden können und sollen – sonst wären sie nicht ambitioniert genug. Viele Unternehmen haben aber Entgeltbestandteile auch an eine gewisse Zielerreichung geknüpft. Hier sind Sie als Betriebsrat gefragt, gemeinsam mit dem Arbeitgeber sinnvolle Regelungen zu finden, um die OKR-Praxis in die Gehaltsregelungen einzubinden.
Psychische Belastung der Mitarbeiter
Wichtig ist im Zusammenhang mit der Einführung neuer Arbeitsmethoden auch, die psychische Belastung der Mitarbeiter im Griff zu haben. Die bereits erwähnte Zielerreichung von nur 70 % im OKR-System muss in den Köpfen der Mitarbeiter erst verankert und gelebt werden. Bisher waren sie es gewohnt, die Ziele zu erreichen oder gar zu übertreffen. Achten Sie hier als Betriebsrat darauf, dass die Kommunikation über das neue Zielsystem von Beginn an deutlich und transparent ist und stehen sie als Betriebsrat den Mitarbeitern bei Unsicherheiten als starker Partner zur Seite. Aber auch die Veröffentlichung der Ziele und der Zielerreichung der einzelnen Mitarbeiter kann zu psychischem Druck für die Kolleginnen und Kollegen führen. Überlegen Sie hier gemeinsam mit der Geschäftsleitung, ob eine Veröffentlichung der Ziele sich vielleicht erst ab Teamebene, und nicht auf Ebene der einzelnen Person, anbieten würde. Im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung sollte der Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG daher besonders auf Fragen zur Arbeitsorganisation, der Teamqualität oder dem Stresserleben achten.
Auf die Einhaltung Arbeitszeit ist ein besonderes Augenmerk zu legen.
Arbeitszeit einhalten
Auf die Einhaltung Arbeitszeit ist im Rahmen der Einführung neuer Arbeitsmethoden ein besonderes Augenmerk zu legen. Der Betriebsrat muss darauf achten, dass der Arbeitgeber die Grenzen der Höchstarbeitszeit nicht durch neue Arbeitsmethoden umgeht. Überschreitungen müssen nach § 16 ArbZG aufgezeichnet werden. Neue Arbeitsmethoden führen in der Regel auch zu neuen Arbeitszeitmodellen wie z. B. Zeitkonten, die flexibel genutzt werden können. Diese sind nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BetrVG mitbestimmungspflichtig. Der Betriebsrat sollte darin die maximalen Plus- und Minusstunden sowie Abbauzeiträume für solche Stunden regeln. Dies dient auch dem Schutz der Mitarbeiter, sich durch zu erreichende Ziele nicht selbst auszubeuten.
Methoden verstehen als Betriebsrat
Das Beispiel macht deutlich: Kaum ein Gremium kommt heute an modernen Managementmethoden vorbei. Nicht erst, wenn eine Beratungsfirma ihre Hochglanzfolien auspackt, sollte das Thema innerhalb des Gremiums beraten werden. Werden Sie also hellhörig, wenn Sie Managementbegriffe wie „SCRUM“, „KANBAN“ oder „Balanced Scorecard“ im Unternehmen aufschnappen und fragen Sie beim Arbeitgeber nach, was es damit auf sich hat.