Darum sind Gesetze so wichtig für Betriebsräte
Der Betriebsrat muss unter anderem überwachen, dass die zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Gesetze, Verordnungen, Unfallverhütungsvorschriften, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen durchgeführt werden (§ 80 Abs.1 Nr. 1 BetrVG).
Das kann er nur, wenn er die aktuelle Rechtslage kennt, weiß, welche Rechtsquellen es gibt und in welchem Verhältnis diese zueinanderstehen.
Diese Rechtsquellen gibt es
Als Betriebsrat ist es wichtig zu wissen, dass es unterschiedliche Rechtsquellen von unterschiedlichem Rang gibt.
Rang 1: Das europäische Recht
An der Spitze der sogenannten Normenpyramide (siehe Schaubild) steht das europäische Recht. Es ist das gemeinsame Recht aller in der Europäischen Union (EU) zusammengeschlossenen Mitgliedsstaaten. Das europäische Recht besteht seinerseits aus verschiedenen Rechtsquellen, wie Verträgen, Verordnungen etc.
Für die betriebliche Praxis sind vor allem die europäischen Richtlinien sowie die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) wichtig. Die Richtlinien sind für die EU-Mitgliedsstaaten bindend und müssen von diesen in nationales Recht umgesetzt werden. An den neuen Richtlinien der EU kann man bereits absehen, welche Änderungen im nationalen Recht in naher Zukunft zu erwarten sind.
Auch die Rechtsprechung des EuGH wirkt sich auf die nationale Gesetzgebung und damit mittelbar auf die Betriebsratsarbeit aus. Der EuGH klärt in Streitfällen, wie das europäische Recht richtig zu verstehen ist.
Rang 2: Das Grundgesetz
Das Grundgesetz (GG) – unsere Verfassung – ist die rechtliche und politische Grundordnung Deutschlands und somit das wichtigste Gesetz in unserem Lande.
Die Lösung rechtlicher Probleme in der betrieblichen Praxis wird sich allerdings nahezu immer in konkreteren, rangniederen Vorschriften finden lassen. So heißt es zum Beispiel in Art. 3 Abs. 3 GG: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“. Was dieser Satz aber für den praktischen Einzelfall bedeutet, ist unter anderem im Sozialgesetzbuch IX detailliert geregelt.
Alle rangniederen Gesetze und Vereinbarungen müssen sich am Grundgesetz orientieren. Soweit sie diesem widersprechen, sind sie unzulässig. Lassen sich ausnahmsweise keine rangniederen Gesetze oder Vereinbarungen zu einer rechtlichen Fragestellung finden, kann auf das Grundgesetz mit seinen Grundrechten zurückgegriffen werden. Wenn Sie als Betriebsrat mit Grundrechten argumentieren möchten, ist das aber als „Notanker“ zu verstehen, weil darin in erster Linie das Verhältnis von Bürger zu Staat geregelt ist. Für betriebliche Rechtsbeziehungen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber können nur die Wertmaßstäbe der Grundrechte als Argumentationshilfe herangezogen werden.
Rang 3: Die Gesetze
Gesetze sind die wichtigsten Rechtsquellen des Arbeitslebens. Für Sie als Betriebsrat wichtig: Es gibt Bundes- und Landesgesetze. Bundesgesetze werden vom Bundestag für das gesamte Gebiet der Bundesrepublik Deutschland beschlossen. Landesgesetze können die einzelnen Bundesländer jeweils für ihr Territorium erlassen.
Welche Regelungsinhalte den Bundesgesetzen vorbehalten sind und welche die Bundesländer selbst festlegen dürfen, bestimmt das Grundgesetz. Da die arbeitsrechtlichen Gesetze regelmäßig Bundesgesetze sind, können wir die Landesgesetzgebung nachfolgend vernachlässigen.
Ideen für neue Bundesgesetze können in Deutschland von drei verschiedenen Gremien eingebracht werden: von der Bundesregierung, vom Bundestag und vom Bundesrat. Wenn ein Gesetzesvorschlag eingebracht wird, wird ein bestimmtes Verfahren in Gang gesetzt: Die ursprüngliche Gesetzesidee wird zu einem Gesetzestext formuliert und anschließend durch Abstimmung (in der Regel nach drei Lesungen) im Bundestag und im Bundesrat verabschiedet. Sind sich diese beiden Häuser nicht einig, wird der Vermittlungsausschuss tätig. Dort wird die Gesetzesidee nochmals gemeinsam von Mitgliedern des Bundestages und des Bundesrates diskutiert und möglichst ein neuer, für alle Beteiligten tragbarer Vorschlag erarbeitet. Abgeschlossen wird das Gesetzgebungsverfahren zum neuen Gesetz mit der Unterschrift des Bundespräsidenten und der Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt. Einen Tag später tritt das Gesetz in Kraft.
Die wichtigsten Gesetze für die betriebliche Praxis finden Sie in der ifb Gesetzessammlung, die Sie in allen unseren juristischen Seminaren erhalten. Diese Gesetze sollten immer der Ausgangspunkt Ihrer juristischen Recherche im Einzelfall sein. Wenn Sie eine Streitfrage unmittelbar mit dem Gesetz beantworten können, haben Sie das stärkste Argument auf Ihrer Seite. Wenn ein Gesetz auslegungsfähig ist, hilft Ihnen die Rechtsprechung weiter.
Rang 4: Die Verordnungen
Den nächsten Rang der arbeitsrechtlichen Rechtsquellen belegen die Verordnungen. Verordnungen dienen dazu, Einzelheiten zu regeln, die nicht in einem formellen Gesetz enthalten sind. Sie werden von der Regierung oder von der Verwaltung aufgestellt. Verordnungen dürfen aber nur erlassen werden, wenn das durch eine Ermächtigung in einem formellen Gesetz erlaubt ist.
Beispiel: Die Wahlordnung zur Betriebsratswahl ist eine Verordnung, die die Durchführung der jeweiligen Wahl im Einzelnen regeln. Die Verordnungsermächtigung für die Betriebsratswahl findet sich in § 126 BetrVG. Verordnungen für den arbeitsrechtlichen Bereich finden Sie häufig dort, wo flexible Detailregelungen gefragt sind. Dies ist besonders beim Arbeits- und Gesundheitsschutz der Fall. Hier müssen auch in normalen Zeiten die Verordnungen immer wieder an die technischen Entwicklungen angepasst werden. Zuletzt waren ständige Anpassungen aufgrund der COVID-19 Pandemie erforderlich. Die wichtigsten Verordnungen aus diesen und anderen Bereichen sind ebenfalls in der ifb Gesetzessammlung abgedruckt.
Rang 5: Die Tarifverträge
Tarifverträge sind – wie der Name schon sagt – Verträge. Es gibt Branchen- und Flächentarifverträge, die von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden abgeschlossen werden, und es gibt Firmen- oder Haustarifverträge, die zwischen Gewerkschaften und einzelnen Arbeitgebern vereinbart werden. Im Rahmen ihrer Zuständigkeit legen die Tarifvertragsparteien den Geltungsbereich eines Tarifvertrages in räumlicher, fachlicher, persönlicher und zeitlicher Hinsicht fest. Die Abschlüsse solcher Verträge unterliegen bestimmten gesetzlichen Einschränkungen. Die gesetzlichen Vorschriften zu Tarifverträgen finden sich im Tarifvertragsgesetz (TVG).
Ein Tarifvertrag gilt zunächst für alle Arbeitsverhältnisse, in denen sowohl der Arbeitgeber als auch der Arbeitnehmer Mitglied der vertragsschließenden Tarifvertragsparteien ist bzw. in denen der Arbeitgeber selbst Tarifvertragspartner ist.
Ein Arbeitsverhältnis bestimmt sich ferner nach einem Tarifvertrag, wenn der Tarifvertrag vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales für allgemeinverbindlich erklärt worden ist. Durch die Allgemeinverbindlichkeitserklärung werden auch die Arbeitsverhältnisse der nicht Tarifgebundenen im Geltungsbereich des Tarifvertrages erfasst. Eine Liste der allgemeinverbindlichen Tarifverträge finden Sie im Internet, wenn Sie die Suchbegriffe „allgemeinverbindliche Tarifverträge“ auf der Homepage des Ministeriums eingeben (www.bmas.bund.de). Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die für den Betrieb maßgeblichen Tarifverträge an geeigneter Stelle im Betrieb auszulegen; § 8 TVG).
Rang 6: Die Betriebsvereinbarung
Auch die Betriebsparteien – Arbeitgeber und Betriebsrat – können Rechtsgrundlagen schaffen, die für die Arbeitnehmer des jeweiligen Betriebes wie ein Gesetz wirken: die Betriebsvereinbarungen.
Inhalt einer Betriebsvereinbarung können alle Themen sein, die zum Aufgabenbereich des Betriebsrats gehören. Es ist aber nicht gestattet, in einer Betriebsvereinbarung Bestimmungen zu behandeln, die abschließend durch ein Gesetz oder einen Tarifvertrag geregelt sind, (§ 87 Abs. 1 BetrVG).
Unterschieden werden erzwingbare und freiwillige Betriebsvereinbarungen. Bei erzwingbaren Betriebsvereinbarungen kann der Arbeitgeber eine Regelung nur im Einvernehmen mit dem Betriebsrat schaffen. Einigen sich Arbeitgeber und Betriebsrat nicht, so kann eine verbindliche Entscheidung lediglich durch eine betriebliche Einigungsstelle getroffen werden. Erzwingbar ist eine Betriebsvereinbarung in all den Fällen, in denen im Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) folgender Satz steht: „Der Spruch der Einigungsstelle ersetzt die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat“. Dieser Satz findet sich beispielsweise in § 87 Abs. 2 Satz 2 BetrVG. In allen übrigen Fällen handelt es sich um freiwillige Betriebsvereinbarungen. Deren Abschluss ist zulässig, aber nicht durch einseitige Anrufung der Einigungsstelle durchsetzbar.
Rang 7: Die Arbeitsverträge und die betriebliche Übung
Auf der vorletzten Stufe der arbeitsrechtlichen Normenpyramide stehen gleichberechtigt der Arbeitsvertrag und die betriebliche Übung.
Der Arbeitsvertrag ist ein Unterfall des allgemeinen in § 611 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) geregelten Dienstvertrages. Gegenstand von Arbeitsverträgen und Dienstverträgen können Dienste jeder Art sein. Einen Dienstvertrag schließen Sie zum Beispiel bei der Beauftragung eines Rechtsanwalts ab. Im Unterschied zu einem Dienstleister bei einem Dienstvertrag ist bei einem Arbeitsvertrag der Arbeitnehmer von seinem Vertragspartner, dem Arbeitgeber, persönlich abhängig. Der Arbeitnehmer kann seine Tätigkeit im Wesentlichen nicht selbst gestalten, vielmehr ist er in die Arbeitsorganisation des Arbeitgebers eingegliedert und unterliegt typischerweise den Weisungen des Arbeitgebers, was Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit angeht. Da der Arbeitsvertrag ein privatrechtlicher Vertrag ist, finden auf ihn auch viele weitere Paragrafen des Bürgerlichen Gesetzbuches Anwendung.
Durch die so genannte betriebliche Übung kann aus einer freiwilligen Leistung des Arbeitgebers eine Pflicht zur Erbringung der Leistung entstehen. Gewährt ein Arbeitgeber vorbehaltlos und regelmäßig eine bestimmte Leistung, so darf der Arbeitnehmer darauf vertrauen, dass er diese auch zukünftig erhält. Er erwirbt dann einen Anspruch auf diese Leistung und kann sie einfordern. Bei jährlichen Leistungen reicht hierfür eine dreimalige, vorbehaltlose Leistungsgewährung.
Rang 8: Das Direktionsrecht des Arbeitgebers
Auf der untersten Stufe des Arbeitsrechts steht das Direktionsrecht des Arbeitgebers. Dieses beinhaltet das Recht, einem Arbeitnehmer Weisungen zu erteilen hinsichtlich seiner Leistungspflichten oder seines Verhaltens im Betrieb. Das Weisungsrecht darf aber nur die Lücken ausfüllen, die alle darüberstehenden Rechtsquellen offen gelassen haben. Gemäß § 315 BGB ist das Direktionsrecht nach billigem Ermessen auszuüben. Das heißt, der Arbeitgeber muss zwischen seinen eigenen Interessen und denen des Arbeitnehmers gut abwägen. Berührt die Weisung ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats, so ist dieser zu beteiligen. Wenn die Beteiligung unterbleibt, obwohl sie notwendig gewesen wäre, dann ist eine für den Arbeitnehmer nachteilige Weisung unwirksam.
Fazit: Die wichtigsten Rechtsquellen für Betriebsräte kennen Sie jetzt. Erfahren Sie jetzt, wie diese zueinander im Verhältnis stehen.
Das Verhältnis der Rechtsgrundlagen zueinander
Nachdem Sie nun alle Rechtsquellen des deutschen Arbeitsrechts kennen gelernt haben, geht es in einem zweiten Schritt um das Verhältnis dieser Regelungen zueinander. Denn Sie müssen wissen, welche Regelung im Einzelfall gilt, wenn zu einer Fragestellung in verschiedenen Vorschriften jeweils etwas Unterschiedliches festgelegt sein sollte. Hierfür benötigen Sie vier Prinzipien, die im nächsten Schaubild („Rangfolge der Rechtsquellen“) dargestellt sind.
Rangprinzip
Nach dem Rangprinzip geht eine ranghöhere Regelung einer rangniederen vor. Jede Vorschrift muss sich an allen über ihr stehenden Vorschriften messen lassen. Ist eine rangniedere Regelung mit einer höherrangigen nicht vereinbar, dann ist sie unzulässig.
Von diesem Grundsatz gibt es allerdings zwei Ausnahmen: Zum einen, wenn die ranghöhere Rechtsnorm eine Abweichung ausdrücklich erlaubt. Zum anderen bildet das so genannte Günstigkeitsprinzip eine Ausnahme vom Rangprinzip.
Günstigkeitsprinzip
Das Arbeitsrecht dient grundsätzlich dem Schutz der Arbeitnehmer. Der Arbeitgeber hat für gewöhnlich eine wesentlich „stärkere“ Stellung gegenüber den Arbeitnehmern, denn diese sind wirtschaftlich und persönlich abhängig von ihrem Arbeitgeber. Wenn nun aber eine niederrangige Regelung zugunsten der Arbeitnehmer von einer höherrangigen abweicht, dann müssen die Arbeitnehmer nicht vor ihr geschützt werden. Die günstigere niederrangige Vorschrift ist dann trotz der Abweichung zulässig. Dies bezeichnet man als Günstigkeitsprinzip. Mehr Urlaub als im Gesetz steht kann daher in einem Tarifvertrag vereinbart werden; und der Arbeitsvertrag darf auch noch ein paar Tage drauflegen.
Spezialitätsprinzip
Das Spezialitätsprinzip gilt nur zwischen ranggleichen Regelungen. Es besagt, dass die Regelung greift, die genauer auf das jeweilige betriebliche Problem passt, also spezieller ist. Existiert für einen Betrieb zum Beispiel ein Haustarifvertrag, so ist er für den betreffenden Betrieb spezieller und damit vorrangig anwendbar vor einem etwa für die gesamte Branche abgeschlossenen Flächentarifvertrag.
Ordnungsprinzip
Das Ordnungsprinzip gilt ebenfalls nur auf einer gleichen Rangebene. Nach diesem Prinzip müssen Sie sich immer auf die aktuell geltende Rechtsgrundlage berufen; das heißt, die jüngere Vorschrift verdrängt die ältere. Deshalb ist es auch so wichtig, bei Gesetzesänderungen immer am Ball zu bleiben.
Fazit: Wenn Sie als Betriebsrat diese Systematik kennen und verstanden haben, ist jetzt klar: Ohne die aktuellen Entwicklungen mitzuverfolgen laufen Sie Gefahr, nicht aufgrund der aktuell geltenden Vorschriften zu argumentieren.
Woher erfahre ich von neuen Gesetzen und von Änderungen?
Überblick auf unserer Wissensseite www.betriebsrat.de:
Auf unserer Wissensseite betriebsrat.de gibt es eine spezielle Rundblickseite, auf der Gesetze und ihre Änderungen augeführt sind:
Rundblick zum Thema Gesetze
Wer gern schon die Referentenentwürfe und Gesetzesentwürfe im Original mitverfolgen möchte, findet diese auf der Seite des BMAS (Bundesministeriums für Arbeit und Soziales).
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