Allianz-Chef Oliver Bäte hatte Anfang des Jahres öffentlich gefordert, die Lohnfortzahlung am ersten Krankheitstag zu streichen und damit den sogenannten Karenztag wieder einzuführen (hier weiterlesen). Bei der Tesla Gigafactory in Grünheide bekam der eine oder andere Mitarbeiter im Herbst 2024 einen Hausbesuch vom Chef (hier weiterlesen). Andere Arbeitgeber wie Mercedes-Chef Ola Källenius monieren, dass es in Deutschland zu einfach sei, sich krankzumelden – und kritisieren damit die Möglichkeit der telefonischen Krankschreibungen zumindest indirekt. In jedem Fall lodert in Deutschland längst eine Debatte rund um den Krankenstand und die Auswirkungen auf die Wirtschaft, die immer wieder neu entflammt wird. Ein Unternehmen aus dem Maschinenbau wollte einen anderen Weg gehen und den Krankenstand durch Belohnungen senken.
Drei Mal 800 Euro wurden verlost
Die Idee: Eine Verlosung von Prämien exklusiv für Mitarbeiter, die im gesamten Jahr 2024 keinen Tag wegen Krankheit gefehlt hatten. Drei Mal 800 Euro wurden verlost. „Wir wollen eben nicht verfolgen und bestrafen, sondern wir wollten wirklich Wertschätzung denen gegenüber ausdrücken, die wirklich ohne einen einzigen Fehltag letztes Jahr ihren Dienst verrichtet haben,“ wird der Firmenchef in den Medien zitiert. Er betonte zwar, dass sich Mitarbeiter nicht krank zur Arbeit schleppen müssen, „aber wir haben ja Arbeitszeitmöglichkeiten und auch üppige Urlaubsansprüche, wo man gegebenenfalls ja auch mal ausgleichen kann.“ Der Betriebsrat des Unternehmens war Medienberichten zufolge ganz und gar nicht angetan von der Idee, sie sei „antiquiert” und „ein Schlag ins Gesicht“ für Kollegen, die von einer schweren Krankheit betroffen sind oder waren.
Der Fall macht Schlagzeilen – aber wäre eine solche Regelung eigentlich rechtlich erlaubt? Das haben wir ifb-Bildungsreferenten und Juristen Markus Brandt gefragt.
So schätzt ein Jurist die Aktion ein
„Nicht umsonst macht eine solche Vorgehensweise Schlagzeilen, sorgt sie doch automatisch für ein gewisses Unbehagen. Dieses rührt daher, weil hier verschiedene Dinge miteinander vermischt werden. Da ist zum einen die innerbetriebliche Verlosung, die unter Beachtung von Gewinnspielregelungen ähnlich zulässig sein dürfte wie Tombolas auf Betriebsfeiern. Die Gewinner werden sich nur fragen müssen, ob der Geldgewinn nicht lohnsteuerpflichtiger Arbeitslohn ist. Zum anderen ist da die Prämierung von Arbeitnehmern ohne Krankheitstage in Form der exklusiven Teilnahme an dieser Verlosung. Für sich genommen kann es rechtlich zulässig sein, solch eine Sondervergütung zu gewähren – das ergibt sich aus § 4a EntgFG, der die Kürzung solcher Vergütungen bei Krankheit regelt. Darin liegt also keine Verletzung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes. Wie jede Vergütungsregelung braucht es hierfür jedoch eine klare rechtliche Grundlage durch Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag. Für die Verlosungsteilnahme gab es höchstwahrscheinlich nichts dergleichen. Und somit war vermutlich auch der Betriebsrat nicht beteiligt.“
Der Betriebsrat nannte die Aktion ‚antiquiert‘, ich würde noch ergänzen: ‚überflüssig väterlich‘.
Markus Brandt, ifb-Bildungsreferent und Jurist
Deshalb kritisiert Markus Brandt: „Da vom Arbeitgeber mit dieser Verlosungsaktion derselbe Zweck verfolgt wird wie mit einer rechtlich ordentlich auszugestaltenden Sondervergütung, werden aus meiner Sicht die rechtlichen Vorgaben für die Prämierung von Anwesenheit gezielt umgangen. Abgesehen davon ist die Zweckerreichung ohnehin fraglich: Wenn nur der Zufall entscheidet, ob man als ein Gewinner von vielen Arbeitnehmern im Betrieb hervorgeht, fühlen sich die Nicht-Gewinner vielleicht erst recht ermutigt, beim nächsten Schnupfen daheim zu bleiben. Der Betriebsrat nannte die Aktion ‚antiquiert‘, ich würde noch ergänzen: ‚überflüssig väterlich‘.“ (tis)
Das Thema Krankenstand wird wohl auch zukünftig für Diskussionen sorgen. Gibt es bei Ihnen im Unternehmen Aktionen, die dafür sorgen sollen, dass die Mitarbeiter weniger krank sind? Schreiben Sie uns gerne.