Übereinstimmenden Medienberichten zufolge haben Führungskräfte des Tesla-Werks in Grünheide häufiger krankgeschriebene Mitarbeiter zuhause aufgesucht. Der Grund für diese unangekündigten Besuche sei der enorm hohe Krankenstand gewesen, der im August auf 17 Prozent angestiegen sein soll. Das wollte die Führung so nicht akzeptieren. „Wir haben 200 Mitarbeiter festgestellt, die sich in der Lohnfortzahlung befinden, aber in diesem Jahr noch gar nicht arbeiten waren. Sie bringen mindestens alle sechs Wochen neue Krankmeldungen“, wird Grünheide-Werksleiter André Thierig auf tagesschau.de zitiert.
Gewerkschaft kritisiert hohe Arbeitsbelastung
Thierig halte Hausbesuche für nichts Ungewöhnliches, verweist dabei auf andere Unternehmen und spricht sogar von einer breiten Zustimmung in der Belegschaft, nachdem diese auf der Betriebsversammlung über das Vorgehen informiert wurden. Rund 25 Personen (andere Quellen sprechen von 30) sollen im Zuge der Hausbesuche von Fertigungs- und Personalleiter aufgesucht worden sein – die meisten waren nicht zuhause, andere hätten wohl teils sehr aggressiv reagiert.
Die nächste abwegige Aktion gegen den seit Langem deutlich überdurchschnittlichen Krankenstand in der Gigafactory.
Dirk Schulze, Bezirksleiter der IG Metall Berlin-Brandenburg-Sachsen im „Handelsblatt“
Die IG Metall wiederum kritisiert die hohe Arbeitsbelastung im Tesla-Werk in Grünheide. Dirk Schulze, Bezirksleiter der IG Metall Berlin-Brandenburg-Sachsen bezeichnet das Ganze im „Handelsblatt“ als „die nächste abwegige Aktion gegen den seit Langem deutlich überdurchschnittlichen Krankenstand in der Gigafactory“ (wir berichteten). Schulze kritisiert, dass Tesla die Kranken unter Druck setze, wenn Personal fehle und gesunde Mitarbeiter mit zusätzlicher Arbeit überlaste.
Sind Krankenbesuche vom Chef erlaubt?
Die Frage, die sich viele angesichts der Geschichte stellen und nun befürchten, dass bei jeder längeren Krankmeldung der Chef vor der Haustür stehen könnte: Ist das überhaupt erlaubt? Markus Brandt, ifb-Bildungsreferent und Jurist, mit einer Einschätzung:
Es ist derzeit oft zu lesen, dass der Arbeitgeber das ohne Weiteres darf – das würde ich so nicht unterschreiben.
Markus Brandt, ifb-Bildungsreferent und Jurist
„Nun, es ist derzeit oft zu lesen, dass der Arbeitgeber das ohne Weiteres darf – das würde ich so nicht unterschreiben. Der wahre Zweck ist ziemlich offensichtlich nicht nur eine Kontrolle – die alleine würde aus meiner Sicht schon einen konkreten Verdacht voraussetzen –, sondern eine Einschüchterung der gesamten Belegschaft. Deswegen wird das Ganze auch mit einem riesigen Tamtam breitgetreten. Darum sind diese ‚Besuche‘ meiner Rechtsauffassung nach unzulässig. Indem der einzelne Mitarbeiter zum Teil einer öffentlichen Kampagne ‚besucht‘ wird, macht der Arbeitgeber ihn zum Objekt einer beabsichtigten Vorbeugung von Krankfeiern und verletzt damit seine Fürsorgepflichten im Arbeitsverhältnis und das Persönlichkeitsrecht des besuchten Mitarbeiters. Statt die Mitarbeiter einzuschüchtern, sollte sich Tesla lieber überlegen, warum die Krankenstände höher sind als anderswo. Das ist zumindest meine Sicht der Dinge.“
Das darf man im Krankenstand
Und wie verhalte ich mich während meiner Krankschreibung richtig? Was ist alles erlaubt? Markus Brandt dazu: „In keinem Fall muss der Kranke zuhause seinem Chef die Tür öffnen oder am Telefon mitteilen, was ihm fehlt. Er muss noch nicht einmal zuhause anzutreffen sein. Denn selbstverständlich muss er zur Apotheke oder in den Supermarkt gehen können. Auch Spaziergänge an der frischen Luft sind in der Regel erlaubt. Also eigentlich alles, was die Genesung nicht verzögert oder gefährdet.“
Der Betriebsrat, der seit März 2024 in Grünheide im Amt ist und um dessen Wahl es die eine oder andere Irritation gab, hat sich noch nicht öffentlich zur Angelegenheit geäußert. (tis)