Die B.Z. titelte vor kurzem provozierend „Machen die Krankentage unseren Wohlstand kaputt?“ Auslöser der Diskussion ist der recht hohe Krankenstand. So waren bei der Techniker Krankenkasse versicherte Erwerbstätige im Kalenderjahr 2023 im Durchschnitt 19,4 Tage krank. Laut Statistischem Bundesamt liegt die Zahl der Krankheitstage im Schnitt etwa bei 15.
Aber, was nicht vergessen werden darf: Auch die Einführung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist für den Anstieg der gemeldeten Krankheitszahlen verantwortlich! Denn seit ihrer Einführung werden Krankschreibungen automatisch an die Krankenkassen weitergeleitet. Vorher, in Zeiten des „gelben Scheins“, hatten die Versicherten den Zettel häufig nicht an die Krankenkasse geschickt: Warum die aktuelle Diskussion über telefonische Krankschreibungen in eine falsche Richtung führt
Wie steht es um die „Blaumacher“?
Es gibt allerdings auch Zahlen, die eine deutliche Sprache sprechen – von der „Bettkantenentscheidung“ ist hier die Rede: Nur 36 Prozent der Beschäftigten in Deutschland sagen von sich, gesund immer dem Job nachzugehen. Jeder Zehnte meldet sich „an der Bettkante“ schon mal krank, obwohl er es nicht ist. Das sind Ergebnisse der Studie „Arbeiten 2023“ der Pronova BKK. Und natürlich geht es hier ums Geld: Arbeitgeber mussten für die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall im Jahr 2023 insgesamt 76,7 Milliarden Euro aufwenden, so eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW).
Karenztage – die gab es schon!
Die Diskussion ist also aus verschiedenen Gründen aufgeheizt. Kann da die Einführung von Karenztagen die Lösung sein? Was ist das überhaupt? Karenz ist das lateinische Wort für Verzicht. Der Karenztag meint den Zeitraum, in dem bei Krankheit noch keine Zahlungen geleistet werden, also noch kein Anspruch auf Lohnfortzahlung besteht. Anders ausgedrückt: Arbeitnehmer bekommen an dem „Karenztag“ keinen Lohn(ersatz), wenn sie sich krankmelden.
Noch gibt es das nicht in Deutschland, aber diese Idee ist nicht neu. Denn was viele nicht wissen: Bis in die 1970er-Jahre gab es einen Verzicht auf Lohn. Ab 1861 erhielten kranke Angestellte ihr Gehalt weiter, Arbeiter erkämpften sich erst in den 1950er Jahren einen Zuschuss auf die Unterstützung durch den Arbeitgeber im Krankheitsfall. 1970 wurden Arbeiter und Angestellte dann gesetzlich gleichgestellt.
Weiter ging es 1996. Unter Helmut Kohl (CDU) wurde eine Reform durchgesetzt, mit der die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall auf 80 Prozent sank. Die folgende Regierung unter Gerhard Schröder machte diese Kürzung wieder rückgängig. Ohnehin sahen viele Branchentarifverträge im Krankheitsfall einen Lohnfortzahlungsanspruch in voller Höhe vor.
Würden Arbeitgeber für den ersten Krankheitstag nicht zahlen, könnten Arbeitnehmer sich dagegen wehren und die Zahlung einklagen.
Julia Windhorst, Rechtsanwältin und ifb-Referentin
Karenztage 2.0 – wäre das rechtlich möglich?
Wäre es für Arbeitgeber denn heutzutage einfach möglich, „Karenztage“ – also Tage ohne Lohnfortzahlung im Krankheitsfall – einzuführen? Nein, sagt Rechtsanwältin und ifb-Referentin Julia Windhorst:
„Arbeitgeber würden damit gegen ein Gesetz verstoßen: Ist der Arbeitnehmer arbeitsunfähig krank, so sichert ihm § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz (EntgFG) einen Anspruch gegen seinen Arbeitgeber auf Entgeltfortzahlung für einen Zeitraum bis zu sechs Wochen. Diese Vorschrift soll die Existenz des Arbeitnehmers für diese Zeit sichern und die Krankenkassen entlasten. Würden Arbeitgeber für den ersten Krankheitstag nicht zahlen, könnten Arbeitnehmer sich – wenn nötig, auch vor Gericht – dagegen wehren und die Zahlung einklagen. Aber Achtung: Den Anspruch auf Lohnfortzahlung haben Arbeitnehmer erst nach vierwöchiger ununterbrochener Dauer des Arbeitsverhältnisses. Erst wenn das Gesetz geändert würde und ein Karenztag im neuen Gesetz stünde, würde die Lohnfortzahlung am ersten Krankheitstag entfallen.“
Erst wenn das Gesetz geändert würde und ein Karenztag im neuen Gesetz stünde, würde die Lohnfortzahlung am ersten Krankheitstag entfallen.
Julia Windhorst, Rechtsanwältin und ifb-Referentin
Sinn oder Unsinn – am Ende leiden alle Arbeitnehmer
Eine solche Änderung hätte allerdings eine fatale Signalwirkung. Denn letztlich brächte sie im Zweifel viele Kranke dazu, sich trotz Fieber, Übelkeit und Co. zur Arbeit zu schleppen – aus Sorge vor dem Einkommensverlust. Und hier kommt der Betriebsrat ins Spiel: Denn es geht um das Thema Gesundheit, sagt Julia Windhorst:
„Eine Möglichkeit, Druck aufzubauen, haben Arbeitgeber jetzt schon. Sie dürfen – ohne besondere Begründung – ab dem ersten Krankheitstag eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung verlangen (§ 5 EntgFG). Gerade Arbeitnehmer, die abends oder am Wochenende arbeiten, kann eine solche Anweisung sehr belasten. Sie müssen lange Wartezeiten bei Notdiensten auf sich nehmen, statt sich schnell auszukurieren. Verlangt der Arbeitgeber die Bescheinigung ab dem ersten Tag von allen Beschäftigten oder von Gruppen (zum Beispiel von einer ganzen Abteilung, von allen, die schon drei Mal krank waren oder allen, die samstags arbeiten) kann ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 und Abs. 7 BetrVG greifen. Ohne Zustimmung des Betriebsrats darf der Arbeitgeber die Bescheinigung dann nicht ab dem ersten Tag verlangen.“
Ursache der Krankheitstage: Es geht auch um die Psyche!
Für den Arbeitgeber haben Karenztage sogar noch einen Pferdefuß: Selbst wer sich krank zur Arbeit schleppt, wird keine gute Leistung bringen und kann andere anstecken. Außerdem wird das Verschleppen von anfänglich kleinen Beschwerden langfristig die Krankenquoten erhöhen. Zudem sind es gerade psychische Belastungen, die zu immer mehr Fehlzeiten führen. Hier sollten alle Arbeitgeber mehr investieren. Denn Gesundheitsprävention und die Schaffung gesundheitsförderlicher Arbeitsbedingungen sind die Basis, um die Leistungsfähigkeit der Beschäftigten nachhaltig zu sichern.
Mit einem guten betrieblichen Gesundheitsmanagement und einem Arbeitsumfeld, wo jeder gerne zur Arbeit kommt, wird am Ende mehr gewonnen, als durch Karenztage jemals eingespart werden könnte. Übrigens: Ein Schelm, wer Böses dabei denkt – aber würde die Einführung von Karenztagen nicht das Geschäft desjenigen ankurbeln, der es gerade lauthals fordert? Denn vielleicht gäbe es hier schnell eine Zusatzversicherung zur Absicherung der Karenztage, auch aus dem Hause Allianz? Aber das ist natürlich nur Spekulation. Aus der Politik wird sowieso nur abgewunken. Gesetzesänderung und Abschaffung von Arbeitnehmerrechten? Ein viel zu heißes Eisen im Wahlkampf um die bevorstehende Bundestagswahl ... (cbo)