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Das erste Mal Standing Ovations

© 1. FFC Eibinsel
Stand:  22.1.2024
Lesezeit:  05:15 min
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Cordula Radtke: Schwerbehindertenvertreterin, Gründerin eines Fußballvereins, Preisträgerin der „Goldenen BILD der Frau“

Cordula Radtke ist seit über 13 Jahren Schwerbehindertenvertreterin eines mittelständischen Unternehmens. Sie ist Vorständin einer Arbeitsgemeinschaft von Vertrauenspersonen. Und hat einen Fußballverein für Mädchen und Frauen mit Migrationshintergrund gegründet, fungiert hier als Vorsitzende, Trainerin und „Mädchen für alles“. Ihre Arbeit im Sportverein führte zur Auszeichnung „Goldene BILD der Frau“, die ihr im Herbst 2023 Kai Pflaume und Laura Wontorra überreichten. Cordula Radtke, ein echtes Vorbild für soziales Engagement!

Es ist ein verregneter Herbstabend, an dem Cordula Radtke wie so oft als Trainerin auf dem Fußballplatz steht. Plötzlich kommt eine Fernsehkamera auf sie zu. Schnell bemerkt sie, dass da auch Sportmoderatorin Laura Wontorra dabei ist. Noch in Trainingskleidung fährt Cordula mit in die Neue Flora, eine Veranstaltungshalle in Hamburg-Altona. Ihre Kinder – so erfährt sie später – haben festliche Sachen zusammengepackt, damit sie sich umziehen kann. Einige hundert Menschen warten bereits auf sie, unter anderem Moderator Kai Pflaume, als sie auf die Bühne geführt wird. Dort bekommt Cordula den Sonderpreis „Goldenen BILD der Frau“ überreicht.  Die „Goldene Bild der Frau“ ist Deutschlands wichtigster Frauenpreis, mit der die Funke-Mediengruppe Frauen prämiert, die sich sozial-gesellschaftlich engagieren. Und den hat kaum jemand so verdient wie Cordula. Warum? Dafür muss man ein wenig ausholen.

Schwerbehindertenvertreterin seit 2010   

Geboren ist Cordula Radtke nicht in Hamburg, wie ihr Dialekt unschwer erkennen lässt. Sie kommt aus Dresden, ist kurz nach der Jahrtausendwende in die Hansestadt gezogen, da ihre ältere Tochter dort eine Ausbildungsstelle gefunden hatte. Ein Neustart, der kaum holpriger hätte sein können: Ein Arbeitsvertrag platzte kurzfristig, sie stand mit ihren Kindern allein und ohne Job da. Zur Kalorimeta GmbH, ein Dienstleister für die Immobilienwirtschaft und Partner für die smarte Energiewende in der Wohnimmobilie, kam Cordula dann eher zufällig. Um überhaupt Geld zu verdienen, sortierte sie zunächst Akten, ehe sie im Abrechnungsbereich landete.

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Ich habe gesagt, das würde ich machen, ohne genau zu wissen, was man eigentlich machen muss.

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2008 kandidierte sie erstmals für den Betriebsrat und wurde Ersatzmitglied. 2010 sprach sie dann der damalige Schwerbehindertenvertreter an, ob sie nicht als Stellvertreterin in der SBV mitarbeiten wolle: „Ich habe gesagt, das würde ich machen, ohne genau zu wissen, was man eigentlich machen muss“, erinnert sich Cordula mit einem Schmunzeln. Nachdem die Vertrauensperson plötzlich erkrankte, wurde sie ins sprichwörtlich kalte Wasser geschmissen. Sie bildete sich fort, lernte sukzessive dazu. Es war auch die Zeit, in der sie ihr BR-Amt niederlegte. „Ich wollt mich auf eins konzentrieren.“ Und das ist ihr gelungen: In den vergangenen 13 Jahren hat sie sich rund um die Schwerbehindertenvertretung enorm viel Wissen angeeignet, das sie mittlerweile als Vorstand der Arbeitsgemeinschaft „Vertrauenspersonen der Hamburger Wirtschaft“ weitergibt. „Wir machen kollektive Beratung für Amtskollegen und -kolleginnen, kooperieren dabei mit vielen Institutionen und Partnern im Bereich Inklusion.“

Die Medaille für treue Arbeit im Dienste des Volkes: Cordula Radtke und Dr. Peter Tschentscher, Hamburgs Bürgermeister

Gesetzeskenntnisse, Offenheit, aber kein Helfersyndrom   

 

Cordulas Hauptaufgaben in der Schwerbehindertenvertretung bei Kalorimeta: Beratung zu Anträgen auf Schwerbehinderungen und Gleichstellungen, außerdem „ist uns das Thema Prävention extrem wichtig“, wie sie betont. Daher sitzt sie auch im Arbeitsschutzausschuss, ist zudem CDMP (Certified Disability Management Professional). Um ihre Kollegen – 22 von insgesamt 540 Mitarbeiter sind schwerbehindert oder gleichgestellt – unterstützen zu können, braucht es laut Cordula in jedem Fall fundierte Rechtskenntnisse und ein gutes Networking. „Das Wichtigste ist allerdings Einfühlungsvermögen, offen zu sein, zuhören und auch gut formulieren zu können. Und bloß nicht in ein Helfersyndrom zu verfallen.“ Das passiere im sozialen System leider häufiger, aber: „Man kann sich nur dann gut für andere einsetzen, wenn man selbst fit ist.“

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Man kann sich nur dann gut für andere einsetzen, wenn man selbst fit ist.

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Seit 2018 gehört Cordula wieder dem Betriebsrat an, war vier Jahre im Konzernbetriebsrat und ist mittlerweile stellvertretende Sprecherin des Wirtschaftsausschusses. Betriebsrat und gleichzeitig SBV – funktioniert das? „Man muss halt immer wissen, welchen Hut man gerade aufhat“, sagt Cordula.  

Kaum vorstellbar, dass es Cordulas letzte Amtsperiode sein wird – 2027 verabschiedet sie sich in den Ruhestand. Bis dahin werden in ihrem Unternehmen vor allem der laufende Transformationsprozess und die Digitalisierung große Themen bleiben. Es ist wie so oft: Arbeitsdruck und -anforderungen steigen, dazu meint Cordula: „Viele kommen gar nicht mehr mit. Hilfestellung und Motivation zu geben ist hier immens wichtig.“

Cordula Radtke hier bei der Verleihung zur „Goldenen BILD der Frau“

Gründung des 1. FFC Elbinsel – Integration in Perfektion  

 

Cordulas Engagement in der SBV ist allein schon aller Ehren wert. Der Sonderpreis „Goldene BILD der Frau“ wurde ihr allerdings für ein Vereinsprojekt verliehen. 2006 gründete sie mit einigen Mitstreitern den „1. Frauen-Fußball Club Elbinsel Hamburg-Wilhelmsburg v. 2006 e. V.“. Das Ziel: Frauen und Mädchen das gemeinsame Fußballspielen zu ermöglichen und gleichzeitig eine multiethnische Mitgliederstruktur aufzubauen. Heute, 17 Jahre später, tummeln sich regelmäßig Frauen und Mädchen aus rund 35 Nationen auf dem Sportplatz „Rotenhäuser Damm“. Cordula fungiert dabei als Vorständin, Trainerin, im Grunde als „Mädchen für alles“. 

 

Wie kommt jemand eigentlich auf die Idee, einen Fußballverein zu gründen? „Meine jüngere Tochter hat mit Jungs gespielt. Das war irgendwann nicht mehr möglich, also habe ich einen Verein für sie gesucht. Und dann kam eins zum anderen.“ Ein Schwerpunkt liegt heute auf der Aufnahme migrantischer Mädchen – der Fußball mit seiner integrativen Kraft dient als Mittel zum Zweck. „Wir unterstützten bei der Schulbildung, damit sie einen ordentlichen Abschluss machen. Damit sie nicht irgendwann auf Leistungen vom Staat angewiesen sind. Wir versuchen, ihnen Wege aufzuzeigen und gleichberechtigte Teilhabe zu ermöglichen.“ Integration in Perfektion durch das Erleben einer Gemeinschaft. Und so entwickelte sich das Projekt in all den Jahren weiter, eine Vielzahl an Auszeichnungen (inklusive mehrerer Imagefilme des DFB) folgten. Eigentlich unfassbar, dass es dennoch Menschen gibt, die damit ein Problem haben. So berichtet Cordula von einigen Schmutzkampagnen, darunter systematisch zerstochene Autoreifen.  

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Es lief ja alles wie im Film ab. Ich habe es erst geschnallt, als Kai Pflaume neben mir stand.

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Den Abend, an dem ihr der Sonderpreis „Goldene BILD der Frau“ überreicht wurde, konnte Cordula nur bedingt genießen: „Es lief ja alles wie im Film ab. Ich habe es erst geschnallt, als Kai Pflaume neben mir stand. Ich dachte noch hinter der Bühne, ich sei der Überraschungsgast für jemanden aus meinen Netzwerken.“ Jede Menge Adrenalin pumpte durch den Körper als „ich das erste Mal in meinem Leben Standing Ovations bekommen habe“, wie Cordula immer noch sichtlich bewegt zurückblickt. Erst als sie sich ein paar Tage später die aufgezeichnete Gala im Fernsehen anschaute, realisierte sie, was da eigentlich passiert ist. Am meisten freut es sie, heute Teil des Netzwerks der sozial engagierter Preisträgerinnen zu sein. Im neu gegründeten Verein „GOLDENE BILD der FRAU hilft e.V.“ werden Kontakte und Informationen geteilt, Kompetenzen gebündelt, um noch mehr zu erreichen. Als Preisträgerin wird sie die nächste Gala aus einer ruhigeren Perspektive erleben. Und gerade die Welle an Wertschätzung unter anderem von Prominenten, die sie eigentlich nur aus dem Fernseher kannte, haben ihr „Motivation und Kraft“ gegeben.  

„Gerade in dieser Zeit, in der sich so viel schnell verändert, so viel Ungewissheit herrscht und die Gesellschaft auseinanderdriftet, ist es wichtig, dass es Menschen gibt, die für andere da sind“, sagt Cordula. Wie gut, dass es Menschen wie sie gibt. (tis) 
 

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