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Schlechte Ausstattung, eingeschleuste Kandidaten und angedrohte Kündigungen: Der Weg zum ersten Betriebsrat bei Lieferando war steinig. Ein klarer Fall von Union Busting? Wir haben mit dem Anwalt des mittlerweile gewählten Gremiums, Martin Bechert, gesprochen. Darüber, warum Start-ups scheinbar generell ein Problem mit Arbeitnehmervertretungen haben, wie man sich schützen kann und was er von der Politik fordert.
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Martin Bechert: Ich habe den Eindruck, dass bei Lieferando von Seiten des Arbeitgebers so ziemlich jede Möglichkeit genutzt worden ist, die Betriebsratswahl zu erschweren und das Procedere in die Länge zu ziehen.
Martin Bechert: Die Ausstattung hat lange auf sich warten lassen und war alles in allem grausig. Der Wahlvorstand hat erst nach Monaten und dank anwaltlicher Hilfe Büroarbeitsplätze zur Verfügung gestellt bekommen. Bis zum Schluss war es so, dass kein ausreichend großer Raum für die Sitzungen des Wahlvorstandes zur Verfügung gestellt worden ist. Hinzu kamen weitere Probleme: Etwa ein defekter Drucker, den der Wahlvorstand bekam. Im Grunde konnte die Betriebsratswahl nur deswegen stattfinden, weil die Mitglieder des Wahlvorstandes bestimmte Dinge aus eigener Tasche bezahlt haben, beispielsweise Fotokopien, Briefumschläge und so weiter. Es passt ins Bild, dass diese Auslagen durch Lieferando bis heute nicht ausgeglichen wurden.
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Martin Bechert: Es geht um einen angeblichen Arbeitszeitbetrug von November 2021 bis August 2022. Die ganze Zeit will das Management nichts gewusst haben, obwohl der Wahlvorstand die Zeiten immer rechtzeitig angegeben hat. Der Arbeitgeber tritt gegen die ehemaligen Mitglieder des Wahlvorstandes nach. Meinem Eindruck nach hat Lieferando dafür gesorgt, dass das Wahlverfahren länger als nötig gedauert hat. Jetzt wird diese lange Dauer von Lieferando zum Vorwand genommen, um Kündigungen auszusprechen.
Martin Bechert: Stimmt! Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts macht es Arbeitgebern zu leicht: Verdachtskündigung wegen Arbeitszeitbetrug. Aus meiner Sicht ist es mittlerweile bei Arbeitgebern in Mode gekommen, solche außerordentlichen Kündigungen auszusprechen, sobald die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers nicht ständig überprüfen werden kann – und das ist ja die absolute Ausnahme. Dann wird halt einfach ein Verdacht konstruiert. Die meisten dieser Kündigungen halten der Überprüfung durch das Arbeitsgericht in einem Kündigungsrechtsstreit zwar nicht stand, aber erstmal ist der Arbeitnehmer eben aus dem Betrieb und damit aus der Gehaltszahlung raus.
Martin Bechert: Bei vielen Start-ups – also auch Hellofresh, N26, Gorillas, Flink und anderen – geht es darum, möglichst alle Entscheidungen mittels Algorithmen durch Computer fällen zu lassen. Soziale Belange der Beschäftigten spielen keine Rolle mehr. Es sollen nur noch unternehmerische beziehungsweise betriebswirtschaftliche Ziele in die Entscheidungsprozesse einfließen. Für mich ist das ein Trend hin zu einer „entmenschlichten Arbeitswelt“. Dagegen steht der Betriebsrat, der ja gerade die sozialen Belange der Belegschaft verwirklicht. Kurz gesagt: Lieferando will, wie andere Lieferdienste auch, nicht verpflichtet sein, die sozialen Belange der Belegschaft zu berücksichtigen.
Martin Bechert: In meiner Praxis habe ich festgestellt, dass der partnerschaftliche Umgang immer weniger gelebt wird. Die Methoden der Lieferdienste gegen Betriebsräte sind sicherlich rüder, aber beispielsweise auch in der Chemiebranche, die früher als Hochburg der Partnerschaft galt, gehen Arbeitgeber meinem Eindruck nach immer mehr auf Konfrontation.
Martin Bechert: Meine Forderung an die Politik ist klar: Es braucht einen noch besseren Schutz der Aktiven im Betrieb vor der Schikane des Arbeitgebers. Das betrifft insbesondere den Schutz vor Kündigungen sowie dem Auslaufenlassen von Befristungen, den Entgeltschutz und den Schutz vor Benachteiligung bei der Berufs- und Gehaltsentwicklung.
Martin Bechert: Die Gründung eines Betriebsrats ist das gute Recht der Arbeitnehmer. Wenn es zu Problemen kommt, sollte wirklich schnell ein Anwalt eingeschaltet werden. Vieles lässt sich im Vorfeld klären.
Martin Bechert: Ganz ehrlich: Ich verstehe die Abneigung junger Unternehmen und Start-ups gegenüber Betriebsräten überhaupt nicht. Es besteht kein Grund, sich vor Betriebsräten zu fürchten. Einzige Voraussetzung ist, dass man auch als junges Unternehmen nicht vorhat, die sozialen Belange der Belegschaft in Gänze zu übergehen. Unternehmen, die tatsächlich ein Interesse an einem fairen Umgang mit ihren Mitarbeitern haben, werden den Betriebsrat nutzen, um einen angemessenen Ausgleich zu finden.
Martin Bechert: Ich kenne keinen Fall, bei dem es sich nicht gelohnt hätte. Etwa bei Gorillas Berlin wurde eines der Warenhäuser geschlossen. Der Betriebsrat konnte einen Interessenausgleich und Sozialplan aushandeln. Die Arbeitnehmer hatten danach die Wahl: Sie konnten in einem anderen Warenhaus weiterarbeiten oder gegen eine Abfindung das Arbeitsverhältnis beenden. Ohne Betriebsrat wären die Arbeitnehmer wohl einfach auf die Straße gesetzt worden. (tis)
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