EuGH: Fahrten zwischen Stützpunkt und Einsatzort als Arbeitszeit?

Der Europäische Gerichtshof hatte zu klären, ob Fahrzeiten von Beschäftigten ohne festen Arbeitsort, die zu Beginn und am Ende des Arbeitstages von einem arbeitgeberseitig festgelegten Stützpunkt gemeinsam in einem Firmenfahrzeug zum jeweiligen Einsatzort und anschließend wieder zurückgebracht werden, als Arbeitszeit im Sinne von Art. 2 Nr. 1 der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG zu bewerten sind. Hintergrund war ein Streit darüber, ob die Rückfahrten von den Einsatzorten zum Stützpunkt bislang zu Unrecht nicht als Arbeitszeit behandelt wurden.

EuGH, Urteil vom 09.10.2025, C-110/24

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Redaktion
Stand:  18.11.2025
Lesezeit:  02:45 min
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Das ist passiert:

VAERSA ist ein öffentliches Unternehmen der Region Valencia, das Naturschutzarbeiten im Rahmen des Natura-2000-Netzes ausführt. Die Beschäftigten in den Biodiversitätseinheiten verfügen über keinen festen Arbeitsort, sondern arbeiten in wechselnden Mikronaturschutzgebieten. Für jede Einheit ist ein Stützpunkt festgelegt, zu dem die Arbeitnehmer morgens eigenständig anreisen müssen. Von dort fahren sie zu einem vom Arbeitgeber bestimmten Einsatzort, gemeinsam in einem Firmenfahrzeug, das auch das notwendige Arbeitsmaterial transportiert. Die Arbeiten enden am Einsatzort, anschließend erfolgt die Rückfahrt im Firmenfahrzeug zum Stützpunkt.

Nur die Hinfahrt wurde bisher als Arbeitszeit erfasst, die Rückfahrt hingegen nicht. Die Gewerkschaft STAS-IV machte geltend, dass auch die Rückfahrt den Vorgaben des Arbeitgebers unterliegen, den Beschäftigten keine freie Verfügung über ihre Zeit erlaube und daher als Arbeitszeit zu bewerten sei. Das nationale Gericht legte dem EuGH die Frage vor, ob Hin- und Rückfahrten zwischen Stützpunkt und Einsatzort insgesamt als Arbeitszeit einzustufen sind.

Das entschied das Gericht:

Der EuGH stellt klar, dass die Richtlinie nur zwei Kategorien kennt: Arbeitszeit und Ruhezeit. Eine Zwischenform existiert nicht. Arbeitszeit liegt immer dann vor, wenn der Arbeitnehmer seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und arbeitet. Dies ist nach Auffassung des Gerichts bei Beschäftigten ohne festen Arbeitsort der Fall, wenn sie auf Weisung des Arbeitgebers zu einer vorgegebenen Uhrzeit an einem bestimmten Stützpunkt erscheinen müssen, von dort gemeinsam im Firmenfahrzeug zu wechselnden Einsatzorten gebracht werden und während dieser Fahrten keinerlei freie Disposition über ihre Zeit haben. Die Fahrten seien ein notwendiger Bestandteil der vertraglich geschuldeten Tätigkeit, untrennbar mit deren Erbringung verbunden und vollständig durch den Arbeitgeber organisiert. Daher seien sowohl die Hin- als auch die Rückfahrt zwischen Stützpunkt und Einsatzort als Arbeitszeit einzustufen. Nicht Gegenstand des Verfahrens war die Frage, ob die Wege vom Wohnsitz zum Stützpunkt oder zurück als Arbeitszeit gelten; hierzu äußerte sich der Gerichtshof nicht.

Hinweise für die Praxis:

Die Entscheidung ist für alle Bereiche relevant, in denen Beschäftigte keinen festen Arbeitsort haben und der Arbeitgeber die Fahrtmodalitäten zu wechselnden Einsatzorten vorgibt. Wird eine Zeitspanne als Arbeitszeit qualifiziert, ist sie nach deutschem Recht regelmäßig auch zu vergüten. Die EuGH-Entscheidung betrifft zwar nur die Frage des Arbeitszeitbegriffs nach dem Arbeitszeitrecht der EU, in Deutschland hat diese Einordnung aber regelmäßig unmittelbare Konsequenzen für die Vergütung, die Arbeitszeitkonten, die Bewertung von Überstunden und die Einhaltung täglicher und wöchentlicher Ruhezeiten. Für mobil Beschäftigte ohne festen Arbeitsort ist daher zu erwarten, dass betrieblich organisierte Fahrten zwischen einem arbeitgeberseitig festgelegten Treffpunkt und den Einsatzorten als Arbeitszeit zu berücksichtigen sind. Betriebsräte sollten auf eine korrekte Erfassung dieser Zeiten achten, da sich hieraus Auswirkungen auf Arbeitszeitgrenzen, Überstundenzuschläge, Dienstplangestaltung und Ruhezeiten ergeben können. Zudem können sich für zurückliegende Zeiträume Ansprüche auf Nachzahlung ergeben, wobei Ausschlussfristen und Verjährung im Blick zu behalten sind. (al)