Irrtum oder vorsätzlich fehlerhafte Arbeitszeiterfassung?

Bei der Arbeitszeiterfassung großzügig sein und mal 30 Minuten mehr verbuchen? Das ist ein Arbeitszeitbetrug, der auch ohne Abmahnung zur Kündigung führen kann. So hat das jetzt auch das Landegericht Mecklenburg-Vorpommern entschieden.  Der Arbeitgeber muss sich auf die korrekte Arbeitszeiterfassung durch die Beschäftigten verlassen können, insbesondere bei Tätigkeiten außerhalb der Dienststelle, bei denen die Arbeitszeit schwer zu kontrollieren sei. 

LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 09.09.2025, 5 SLa 9/25

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Redaktion
Stand:  16.12.2025
Lesezeit:  03:30 min
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Das ist passiert:

Die Arbeitnehmerin streitet mit ihrem Arbeitgeber, dem Land Mecklenburg-Vorpommern, unter anderem über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung, die auf den Vorwurf einer fehlerhaften Arbeitszeiterfassung gestützt wird.

Die Arbeitnehmerin arbeitete beim Land Mecklenburg-Vorpommern als Sachbearbeiterin Maschinenbau/Technische Gebäudeausrüstung. Die Arbeitszeit ist elektronisch mit einem personengebundenen Chip an den Datenterminals in den Dienstgebäuden zu buchen. Die Nacherfassung von Fehlzeiten, beispielsweise bei einer “Dienstreise stundenweise“, bedarf der Genehmigung des Vorgesetzten. Bei Dienstreisen beginnt die Reisezeit mit dem Verlassen der Wohnung bzw. der Dienststelle.

Unter anderem am 12.10.2023 ging die Arbeitnehmerin zu Fuß von ihrer Wohnung aus direkt zum Innenministerium (rund 1,5 km), um dort an einer Bauberatung teilzunehmen. Laut Wachbuch des Innenministeriums hielt sich die Arbeitnehmerin von 08:15 bis 09:45 Uhr dort auf. Vom Innenministerium aus ging die Arbeitnehmerin zu Fuß zu ihrer rund 1,5 km entfernten Dienststelle und buchte sich dort um 10:05 Uhr am Terminal ein. Um 10:25 Uhr desselben Tages beantragte die Arbeitnehmerin bei ihrem Vorgesetzten eine Kommen-Buchung auf 07:00 Uhr mit der Begründung “Direkt zum Innenministerium“ und eine Gehen-Buchung auf 07:01 Uhr als “Dienstreise stundenweise“ mit der Begründung “Bauberatung Innenministerium“. Die Dienststelle buchte die Zeiten wie beantragt.

Einige Tage später bat der Vorgesetzte die Arbeitnehmerin um eine kurze, stichpunktartige Mitteilung zu den erledigten Aufgaben während der letzten drei Vor-Ort-Termine am 12.10.,19.10. und 20.10.2023. 

Daraufhin nahm die Arbeitnehmerin mit der für die Arbeitszeiterfassung zuständigen Sachbearbeiterin Kontakt auf, um eine Korrektur des Arbeitszeitbeginns am 12.10.2023 von 07:00 Uhr auf 07:30 Uhr bzw. des Dienstgangs von 07:01 Uhr auf 07:31 Uhr vornehmen zu lassen. Zur Begründung berief sich die Arbeitnehmerin auf einen Irrtum.

Es folgte ein Personalgespräch wegen der Arbeitszeiterfassung an den drei oben genannten Tagen. Zu dem Protokoll des Personalgesprächs reichte die Arbeitnehmerin eine Gegendarstellung ein. Unter anderem führt die Arbeitnehmerin aus, die am 12.10.2023 falsch eingetragene Zeit habe sie erst am Freitag, 20.10.2023, bei der Kontrolle des Zeitkontos bemerkt. 

In der Folgezeit kündigte das Land Mecklenburg-Vorpommern nach Anhörung des Personalrats das Arbeitsverhältnis der Arbeitnehmerin wegen Arbeitszeitbetrugs unter anderem mit Schreiben vom 13.08.2024 ordentlich zum 30.09.2024. Die Arbeitnehmerin reichte beim zuständigen Arbeitsgericht eine Kündigungsschutzklage ein. Zur Begründung erklärte sie weiterhin, dass es sich bei der Fehlbuchung am 12.10.2023 nur um einen versehentlichen Irrtum gehandelt habe, der korrigiert worden sei. 

Das zuständige Arbeitsgericht hielt die Kündigung für wirksam. Mit der Berufung verfolgt die Arbeitnehmerin die Kündigungsschutzklage weiter.

Das entschied das Gericht:

Die ordentliche Kündigung vom 13.08.2024 sei wirksam, so das Gericht.

Der vorsätzliche Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Verpflichtung, die abgeleistete, vom Arbeitgeber nur schwer zu kontrollierende Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren, sei an sich geeignet, einen verhaltensbedingten Grund zur außerordentlichen wie auch zur ordentlichen Kündigung darzustellen. Das gelte für den vorsätzlichen Missbrauch von Stempeluhren ebenso wie für das wissentliche und vorsätzlich falsche Ausfüllen entsprechender Formulare. 

Auf eine strafrechtliche Würdigung käme es dabei nicht an, sondern auf den mit der Pflichtverletzung verbundenen schweren Vertrauensbruch. Der Arbeitgeber müsse auf eine korrekte Dokumentation der Arbeitszeit seiner Arbeitnehmer vertrauen können. Übertrage er den Nachweis der geleisteten Arbeitszeit den Arbeitnehmern selbst und fülle ein Arbeitnehmer die dafür zur Verfügung gestellten Formulare wissentlich und vorsätzlich falsch aus, so stelle dies in der Regel einen schweren Vertrauensmissbrauch dar. Der Arbeitnehmer verletze damit in erheblicher Weise seine Pflicht zur Rücksichtnahme im Sinne von § 241 Abs. 2 BGB gegenüber dem Arbeitgeber.

Die Arbeitnehmerin hätte am 12.10.2023 wissentlich und vorsätzlich eine falsche Zeit für den Arbeitsbeginn erfassen lassen und dadurch vorgetäuscht, eine halbe Stunde mehr gearbeitet zu haben, als dies tatsächlich der Fall war. Sie hätte dadurch ihre arbeitsvertraglichen Pflichten schwerwiegend verletzt, was selbst als einmaliger Vorfall grundsätzlich geeignet ist, eine Kündigung zu rechtfertigen. Ein Irrtum bei der Arbeitszeiterfassung sei auszuschließen. Die Arbeitnehmerin hätte die Nachbuchung bereits etwas später als zwei Stunden nach der Dienstaufnahme im Innenministerium beantragt, weshalb ihr der bisherige Tagesablauf nach einer solch kurzen Zeitspanne noch gegenwärtig gewesen wäre. Zudem hätte sie den Arbeitszeitbeginn zweimal falsch angegeben, sowohl bei der Kommen-Buchung als auch bei der Gehen-Buchung. 

Soweit die Arbeitnehmerin diese Buchung elf Tage später hätte korrigieren lassen, ergeben sich daraus keine Anhaltspunkte für ein Versehen. Vielmehr hätte die Arbeitnehmerin die falsche Arbeitszeitangabe erst eingeräumt, nachdem der Vorgesetzte sie am Freitag zuvor aufgefordert hatte, ihre Tätigkeiten während der letzten drei Vor-Ort-Termine stichwortartig darzustellen. Da sich die Arbeitnehmerin auch zu diesem Zeitpunkt noch an die korrekte Zeit erinnern konnte, könne die fehlerhafte Arbeitszeitangabe jedenfalls nicht auf einem lückenhaften Erinnerungsvermögen beruhen. 
Die zeitliche Differenz zwischen angegebener und tatsächlicher Arbeitszeit habe einen Umfang, der sich nicht mit einem Flüchtigkeitsfehler, Rundungsdifferenzen oder einer Ungenauigkeit der verwendeten Uhr erklären ließe.

Eine vorherige Abmahnung war entbehrlich. Für die Arbeitnehmerin war erkennbar, dass das der Arbeitgeber auch eine erstmalige bewusste Falschangabe zur Arbeitszeit nicht hinnehmen könne. Die Redlichkeit der Beschäftigten bei der Erfassung der Arbeitszeit sei für den Arbeitgeber von besonderer Bedeutung, da sich hiernach der Vergütungsanspruch richte. Das sei der Arbeitnehmerin bewusst. Der Arbeitgeber könne eine bewusste Täuschung über die geleistete Arbeitszeit keinesfalls dulden. 

Eine Weiterbeschäftigung der Arbeitnehmerin über die Kündigungsfrist hinaus sei dem Arbeitgeber in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile nicht zumutbar. Unter Berücksichtigung der Beschäftigungszeit von rund 3,5 Jahren und fehlenden Unterhaltspflichten überwiege das schützenswerte Interesse des Arbeitgebers daran, nur tatsächlich geleistete bzw. aus anderen Gründen anrechenbare Arbeitszeiten zu vergüten. Es muss nicht das drohende Risiko einer Bezahlung nicht geleisteter Arbeitszeit in Kauf nehmen. Vom Arbeitgeber kann nicht erwartet werden, die angegebenen Arbeitszeiten der Beschäftigten stets und ständig engmaschig zu kontrollieren. Der damit verbundene Personal- und Kostenaufwand sei angesichts der gebotenen effizienten Verwendung öffentlicher Mittel nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss sich der Arbeitgeber auf die Angaben der Beschäftigten verlassen können. Das gelte erst recht bei Beschäftigten, die auch außerhalb der Dienststelle tätig seien.

Praxishinweis:

Aufgrund der Vorkommnisse rund um die Arbeitszeiterfassung wollte der Arbeitgeber, das Land Mecklenburg-Vorpommern, das Arbeitsverhältnis mit der Arbeitnehmerin eigentlich schon durch die Kündigung vom 12.02.2024 beenden. Auch diese Kündigung war Teil des Kündigungsschutzprozesses. Sowohl das zuständige Arbeitsgericht als auch das LAG Mecklenburg-Vorpommern als Berufungsgericht hielten die Kündigung gemäß § 68 Abs. 7 PersVG MV für unwirksam, da der Hauptpersonalrat nicht ordnungsgemäß angehört worden sei. Der Arbeitgeber hätte den Hauptpersonalrat nicht ausreichend unterrichtet. 

Die im Rahmen der Anhörung erforderliche Unterrichtung solle dem Personalrat die Möglichkeit eröffnen, sachgerecht zur Kündigungsabsicht Stellung zu nehmen. Im vorliegenden Fall hätte der Hauptpersonalrat aber nicht genügend Angaben zum Sachverhalt gehabt, um die Stichhaltigkeit und Gewichtigkeit der Kündigungsgründe prüfen und sich eine eigene Meinung bilden zu können. Der Arbeitgeber hätte sich bei der Anhörung des Hauptpersonalrats zwar auf die Stellungnahme (Gegendarstellung) der Arbeitnehmerin mit Schreiben vom 23.11.2023 bezogen, dieses Schreiben jedoch weder beigefügt noch inhaltlich näher dargestellt. Da der Arbeitgeber die Stellungnahme der Arbeitnehmerin gegenüber dem Hauptpersonalrat erwähnt hatte, wäre diese für den Kündigungsentschluss offenbar von Bedeutung gewesen. Mangels einer zumindest sinngemäßen Kenntnis des Inhalts dieses Schreibens hätte allerdings der Hauptpersonalrat das Gewicht der Vorwürfe seinerseits nicht bewerten und hierzu abschließend Stellung nehmen können. Dass er dennoch der Kündigung zugestimmt hat (!!!), ändere daran nichts, so die Meinung der Gerichte. (sf)