Gefährdungsbeurteilung Psyche: Betriebsräte in einer Schlüsselrolle

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Warum Interessenvertreter sich beim Thema psychische Belastungen gut aufstellen sollten

Arbeitsunfähigkeit, Zeitdruck, Personalmangel: Psychische Belastungen in der Arbeitswelt gibt es jede Menge. Die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen ist ein gesetzlich vorgeschriebenes Mittel, um konstruktiv gegenzusteuern. Gesundheitsmanagerin Fabia Fendt erklärt im Gespräch, warum Betriebsräte dabei eine Schlüsselrolle spielen – und wie sie diese ausfüllen können. 

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Fabia Fendt

Fabia Fendt ist Gesundheitsmanagerin mit über elf Jahren Erfahrung im Betrieblichen Gesundheitsmanagement. Nach einem Studium der Finanzwirtschaft wechselte sie bewusst auf die Gesundheitsseite und absolvierte ein Masterstudium im Gesundheitsmanagement. Sie ist in Unternehmen verschiedener Größen tätig und begleitet Organisationen beim Aufbau ganzheitlicher Strategien und Strukturen zur Förderung psychischer Gesundheit – mit einem besonderen Fokus auf die Gefährdungsbeurteilung Psyche.

Fabia, warum ist die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen so immens wichtig?

Fabia Fendt: Ganz einfach: Weil Unternehmen zunehmend feststellen, dass die Arbeitsunfähigkeitszeiten steigen, aber gleichzeitig ihre klassischen Maßnahmen zur Gesundheitsförderung wie die Rückenschule oder der Obstkorb nicht mehr greifen. Das ist so ein bisschen „Blindflug“, während die psychische Gefährdungsbeurteilung ein wunderbares Analyse-Tool ist, Ursachen aufzudecken: etwa Überlastung durch Umstrukturierung, schlechten Informationsfluss oder Dauerstress durch Personalmangel. Und genau da setzen dann wirksame Maßnahmen an.

Wie genau läuft denn so eine Gefährdungsbeurteilung, kurz GB Psyche, ab?

Fabia Fendt: Im Prinzip schauen wir präventiv und vorausschauend die Arbeitsbedingungen an: Wo gibt es Gefährdungen, die sich negativ auf die psychische Gesundheit der Beschäftigten auswirken können? Wichtig: Es ist keine Mitarbeiterbeurteilung, sondern geht immer um die Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen. Dazu setzen sich in der Planungsphase die relevanten Akteure an einen Tisch: Betriebsräte, Arbeitgeber, Personalabteilung, Betriebsärzte, Fachkräfte für Arbeitssicherheit, die SBV und – falls vorhanden – das BGM-Team. Gemeinsam wird geklärt: Welche Methode passt? Welche Fragen wollen wir stellen? Wann ist ein geeigneter Zeitraum? Gerade diese Vorüberlegungen sind entscheidend, denn es gibt nicht diese eine Methode.

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Eine GB Psyche lebt und profitiert davon, wenn sie regelmäßig durchgeführt wird und daraus tatsächlich Maßnahmen abgeleitet und umgesetzt werden.

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Wie weit sind die Unternehmen in Sachen psychischer Gefährdungsbeurteilung?

Fabia Fendt: Da sehe ich große Unterschiede. Seit 2013 ist sie Pflicht und die meisten großen Unternehmen haben sie auch eingeführt. Aber: Viele führen sie einmal durch und legen die Ergebnisse dann in die Schublade. Damit ist es natürlich nicht getan. Eine GB Psyche lebt und profitiert davon, dass sie regelmäßig durchgeführt wird und daraus tatsächlich Maßnahmen abgeleitet und umgesetzt werden. 

Was ist aus Deiner Sicht herausfordernder: Mit einem Unternehmen frisch in die GB Psyche zu starten oder eines zu „korrigieren“, das die Beurteilung nur halbherzig umgesetzt hat?

Fabia Fendt: Ganz klar Letzteres. Wenn Unternehmen sagen „Wir haben das ja gemacht“, aber bei genauerem Hinsehen stellt man fest, dass es in der Phase der Maßnahmenableitung stecken bleibt. Das ist schwieriger. Vor allen Dingen, die Betriebsräte dort zu unterstützen, dass sie dem Arbeitgeber auf die Füße treten und sagen: „Wir sind hier noch nicht fertig.“

Fabia Fendt im Seminar

Du sprichst es an: Welche Rolle spielt der Betriebsrat in dem Prozess?

Fabia Fendt: Eine ganz zentrale Rolle. Grundlage ist § 87 Absatz 1 Nr. 7 BetrVG, dort steht, dass bei Regelungen zum Gesundheitsschutz mitzubestimmen ist. Die GB Psyche ist im Arbeitsschutzgesetz verankert, also ganz klar Arbeitgeberpflicht, allerdings mit breitem Gestaltungsspielraum. Und genau dieser ist mitbestimmungspflichtig. Betriebsräte sind also von Anfang an mit dabei, vor allem in der Planungsphase, bei der Methodenauswahl, bei den Fragen, der Abstimmung, bis hin zur Maßnahmenableitung. In der Praxis bekomme ich oft mit, dass Betriebsräte mit einer fertigen GB Psyche konfrontiert werden und vielleicht noch in die Ergebnisse reingucken dürfen und das war es dann. Aber das passt nicht, Betriebsräte sind an allen Schritten zu beteiligen. 

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Betriebsräte sind an allen Schritten zu beteiligen.

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Was wäre Dein Tipp, um sich entsprechend aufzustellen?

Fabia Fendt: Betriebsräte teilen sich ja oft ihre Arbeit in Arbeitskreise auf. Und im Gesundheitsausschuss sind dann meist Menschen mit einer gewissen Affinität für das Thema. Wenn ich aber nur mit gesundem Menschenverstand in die Verhandlung mit einem Arbeitgeber gehe, werde ich wahrscheinlich nicht die Punkte durchsetzen können, die mir zustehen. Deshalb ist es gut, vorher ein Seminar zu besuchen oder sich mal einen Experten ins Haus zu holen. Je mehr Grundwissen und Sicherheit ich habe, desto selbstbewusster kann ich natürlich in die Verhandlungen gehen.

Dass der einzelne Mitarbeiter von der GB Psyche profitiert, ist klar. Aber wie profitieren Unternehmen, wenn sie das Thema ernst nehmen?

Fabia Fendt: Ein Beispiel: In einem Unternehmen zeigte sich bei der Beurteilung, dass Mitarbeiter furchtbar unter Lärm litten und keine Rückzugsmöglichkeiten mehr hatten – ein Ergebnis der Umstellung auf offene Arbeitsbereiche. Durch die Ergebnisse der GB Psyche, die nun auf dem Tisch lagen, konnte man zielgerichtet reagieren: Es wurden Telefonzellen und ruhige Arbeitsecken eingerichtet. Das waren Maßnahmen, die sehr gut angekommen sind. Wichtig ist Verlässlichkeit auf beiden Seiten. Dass die Mitarbeiter wissen, die GB Psyche findet alle zwei oder drei Jahre statt. Wenn alle wissen, hinterher passiert etwas und es ist etabliert, dann haben Unternehmen gute Chance auf eine hohe Beteiligung – und Akzeptanz. 

Die psychische Gefährdungsbeurteilung

Erleben Sie unsere Referentin Fabia Fendt live auf dem Online-Symposium „Die psychische Gefährdungsbeurteilung“. Sie gibt uns Einblicke in den Prozess der GBU und praktische Tipps, was zu bedenken und beachten ist. Ihre Chance: Gestalten Sie aktiv mit, dass die psychische Gefährdungsbeurteilung sinnvoll, unter der Beteiligung von - und im Sinne der Beschäftigten verläuft!  

Auch eine gute Kommunikation dürfte für eine gelungene GB Psyche entscheidend sein …

Fabia Fendt: Absolut! Die Umfrage oder der Workshop darf nicht einfach aus dem Nichts auftauchen. Ideal ist ein gemeinsames Auftreten und Informieren von Arbeitgeber und Betriebsrat. Das sorgt für Transparenz und Vertrauen.

Was sind typische Belastungsthemen, die immer wieder auftauchen?

Fabia Fendt: Zeitdruck wird immer wieder genannt. Dann folgen unklare Schnittstellen – ich muss zum Beispiel auf eine Zuarbeit warten, habe aber selbst eine Deadline und kann nicht agieren. Außerdem Personalmangel und Umstrukturierungen, die zu Verunsicherung führen. Auch das Verhalten von Führungskräften spielt eine wesentliche Rolle. Spannend ist: Der Teamzusammenhalt wird in den meisten Fällen positiv angemerkt.

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In informellen Gesprächen bekommt man viel mit und kann dann gezielt Angebote ins Bewusstsein rufen.

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Hast Du abschließend noch Tipps für Mitarbeiter und Betriebsräte, auf die psychische Gesundheit zu achten?

Fabia Fendt: Für Mitarbeiter ist Selbstfürsorge ein wichtiger Punkt: Eigene Grenzen erkennen, auch mal Nein sagen, Pausen einbauen, Stress-Signale erkennen und ernst nehmen. Und für Betriebsräte: Das Ohr bei den Kollegen haben. In informellen Gesprächen bekommt man viel mit und kann dann gezielt Angebote ins Bewusstsein rufen, die es womöglich schon gibt: EAP-Programme, Stressmanagement-Kurse oder Coachings. Oft geht es nur darum, diese Möglichkeiten wieder ins Gedächtnis zu rufen und als Ansprechpartner präsent zu sein. (tis) 

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