Das Interview führte Gisela Scholz (Bildungsreferentin für das Thema SBV beim ifb)
Frau Lenz, Sie sind seit knapp drei Jahren Inklusionsbeauftragte bei Accenture Deutschland. Können Sie uns Ihr Unternehmen und Ihre dortige Tätigkeit in wenigen Worten vorstellen?
Anke Lenz: Accenture ist weltweit in über 120 Ländern tätig und unterstützt Unternehmen, Regierungen und andere große Organisationen, einen digitalen Geschäftskern aufzubauen, ihren Betrieb zu optimieren, das Umsatzwachstum zu beschleunigen und Bürgerdienste zu verbessern. Als Inklusionsbeauftragte vertrete ich Accenture Deutschland in allen Angelegenheiten schwerbehinderter Mitarbeitender und unterstütze bei der Einhaltung gesetzlicher Verpflichtungen.
Mein Fokus liegt dabei nicht allein auf Rechten und Pflichten, sondern vor allem auf den Chancen, Gestaltungsspielräumen und der Frage, wie wir Inklusion wirksam im Unternehmen leben können. Zu meinen zentralen Aufgaben gehören die Sensibilisierung, Beratung und Unterstützung rund um die Inklusion von Mitarbeitenden mit Behinderungen sowie im Kontext der Neuro-Inklusion. Ich arbeite daran, Barrieren zu identifizieren und abzubauen, unterstütze bei der Ausstattung von Arbeitsplätzen mit assistiven Technologien und bei der Gestaltung inklusiver Prozesse. Ich wirke in Personalentscheidungen und BEM-Prozessen mit und pflege ein aktives Netzwerk mit internen Akteuren und externen Organisationen. Auch Öffentlichkeitsarbeit und interne Kommunikation rund um das Thema Inklusion gehören zu meinen Tätigkeiten.
Als großes Unternehmen haben wir auch ein großes Wirkungspotenzial
Welche Ziele haben Sie sich für Ihre Arbeit als Inklusionsbeauftragte gesetzt?
Anke Lenz: Als großes Unternehmen haben wir auch ein großes Wirkungspotenzial – und damit die Chance, für viele Menschen spürbare positive Veränderungen zu bewirken. Genau dieses Potenzial möchte ich in meiner Rolle als Inklusionsbeauftragte nutzen. Mein Ziel ist es, Barrieren abzubauen – dazu gehören unter anderem der Abbau baulicher, technischer, digitaler und kommunikativer Barrieren – und vor allem auch der Abbau von Barrieren, die oft unsichtbar sind und in den Köpfen bestehen.
Es geht mir darum, Teilhabe und Chancengleichheit aktiv zu fördern und ein inklusives Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem sich alle Mitarbeitenden wohlfühlen, ihre Stärken einbringen und sich weiterentwickeln können. Dabei denke ich entlang des gesamten Mitarbeiterlebenszyklus – vom Recruiting über den Arbeitsalltag bis hin zur Weiterentwicklung im Unternehmen.
Diese Ziele lassen sich jedoch nur durch enge Zusammenarbeit und kontinuierliche Netzwerkarbeit erreichen – sowohl intern mit Kolleg:innen aus verschiedenen Bereichen des Unternehmens als auch extern mit Organisationen, die sich für Inklusion engagieren. Der Austausch ermöglicht gegenseitiges Lernen, fördert neue Perspektiven und unterstützt dabei, gemeinsam nachhaltige Veränderungen zu gestalten.
Was würden Sie als Ihre bisherigen größten Erfolge ansehen?
Anke Lenz: Einen meiner größten Erfolge sehe ich in der erfolgreichen Umsetzung einer globalen Accenture-Initiative, mit der Mitarbeitenden über ein zentrales Tool gezielt Unterstützung für ein effizientes und barrierefreies Arbeiten bereitgestellt wird. In einem inklusiven Arbeitsumfeld sollen Mitarbeitende ihre bestmögliche Leistung erbringen können.
In sogenannten „Accessibility Centern“ können sie sich individuell beraten lassen, um die bedürfnisgerechte und individuell passende ergonomische oder technologische Unterstützung zu erhalten. Ein spezialisiertes Supportteam sorgt anschließend für eine zeitnahe Bereitstellung – ohne aufwändige administrative oder budgetäre Hürden. Damit konnten wir die Arbeitsfähigkeit und -zufriedenheit vieler Mitarbeitenden spürbar verbessern.
Als weiteren großen Erfolg werte ich die Etablierung einer sehr guten, konstruktiven Zusammenarbeit im Inklusionsteam insbesondere mit der SBV. Von unserer HR-Seite habe ich die Rückmeldung erhalten, dass sich das Miteinander seit der Übernahme meiner Rolle deutlich positiv entwickelt hat – ein Zeichen für Vertrauen und funktionierende, partnerschaftliche Zusammenarbeit.
Die Grundlage für unsere erfolgreiche Zusammenarbeit wurde von Anfang an durch die offene und unterstützende Haltung der SBV gelegt.
Und welchen Anteil hatte dabei die SBV?
Anke Lenz: Die Grundlage für unsere erfolgreiche Zusammenarbeit wurde von Anfang an durch die offene und unterstützende Haltung der SBV gelegt. Ich konnte viel von der Erfahrung und dem Wissen der SBV lernen und sie hat mir den Raum gegeben, in meine Rolle hineinzuwachsen. Ihr vertrauensvoller Umgang, ihre Bereitschaft zum Dialog – auch bei schwierigen Themen – und der klare Wille, konstruktiv zusammenzuarbeiten, haben wesentlich dazu beigetragen, dass wir im Inklusionsteam heute wirksam agieren können.
Wie gestaltet sich die innerbetriebliche Zusammenarbeit?
Anke Lenz: Die innerbetriebliche Zusammenarbeit zur Förderung von Inklusion umfasst viele unterschiedliche Bereiche. Neben der Schwerbehindertenvertretung arbeite ich mit der Personalabteilung, der Rechtsabteilung, Workplace Services, der IT, dem Gesundheitsmanagement, mit unseren lokalen Mitarbeitenden-Netzwerken und unserem globalen Disability Inclusion Leadership zusammen – ebenso mit Projektleitungen und Führungskräften aus dem Business. Je nach Thema erfolgt das in Projekten, regelmäßigen Abstimmungen oder Einzelgesprächen.
Inklusion erfordert ein abgestimmtes Vorgehen und funktionierende Schnittstellen. Das läuft nicht immer reibungslos, aber wir machen spürbare Fortschritte.
Sie betrifft unmittelbar den betrieblichen Alltag – besonders dort, wo Führungskräfte und Projektleitungen im operativen Geschäft Entscheidungen über Arbeitsbedingungen und Aufgabenverteilung treffen. Sie sind daher entscheidende Partner in der Umsetzung.
Was die SBV immer interessiert: Wie bewältigt man als Inklusionsbeauftragte den Spagat zwischen Arbeitgebervertretung einerseits und gleichzeitiger „Überwachung des Arbeitgebers“ andererseits, wie es das Gesetz in § 181 SGB IX formuliert?
Anke Lenz: Der § 181 SGB IX beschreibt eine Doppelrolle, die auf den ersten Blick widersprüchlich wirken kann: Einerseits vertrete ich den Arbeitgeber, andererseits bin ich verpflichtet, auf die Einhaltung der Regelungen zugunsten schwerbehinderter Menschen zu achten. Für mich ist das kein Widerspruch, sondern eine spannende Vermittlerrolle: Ich sehe mich als Brückenbauerin zwischen den rechtlichen Anforderungen, den Interessen des Unternehmens und den Bedürfnissen der Mitarbeitenden. Ich verstehe meine Rolle als Impulsgeberin und auch als Mahnerin, wenn es notwendig ist. So wird aus dem vermeintlichen Spagat eine Balance – mit dem gemeinsamen Ziel, Barrieren abzubauen und Inklusion im Arbeitsalltag nachhaltig zu verankern.
Zurück zu Ihren Anfängen: Haben Sie sich um das Amt der Inklusionsbeauftragten „beworben“ oder wurden Sie angesprochen?
Anke Lenz: Im Sommer 2022 wurde ich von unserer Geschäftsleitung angesprochen, und mir wurde das Amt der Inklusionsbeauftragten für Accenture Deutschland angeboten. Unserer CEO Christina Raab war es ein besonderes Anliegen, diese Rolle zu besetzen, sowohl im Rahmen der strategischen Verankerung von Inclusion & Diversity als auch aus persönlicher Überzeugung.
Ich habe dieses Amt als eine spannende Möglichkeit gesehen, mich in einem neuen Themenfeld fachlich wie persönlich weiterzuentwickeln.
Was war Ihre Motivation, dieses Amt zu übernehmen?
Anke Lenz: Ich habe dieses Amt als eine spannende Möglichkeit gesehen, mich in einem neuen Themenfeld fachlich wie persönlich weiterzuentwickeln. Gleichzeitig betrachte ich es als eine anspruchsvolle und sinnstiftende Aufgabe – insbesondere in einem so großen, performance-orientierten Unternehmen wie Accenture. Darüber hinaus sehe ich darin eine persönliche Mission, aktiv zu mehr Chancengleichheit und gesellschaftlicher Teilhabe beizutragen.
Welch umfassende Bedeutung Inklusion hat, wurde mir besonders durch das Erlebnis eines Kollegen bewusst, der infolge eines Betriebsunfalls sein Augenlicht verloren hat. Ich habe miterlebt, wie wichtig es für ihn war, seinen Arbeitsplatz zu behalten – und mit ihm sein vertrautes Umfeld, seine Kolleg:innen, die Wertschätzung, das Einkommen sowie die Möglichkeit, sich in einem angepassten Arbeitsumfeld weiterzuentwickeln.
Das Leben zeigt, dass jede und jeder jederzeit durch Krankheit oder Unfall eine Behinderung oder Einschränkung erfahren kann. Inklusion ist deshalb kein Nischenthema – sie betrifft uns alle.
Wir haben uns 2022 kennengelernt, als Sie sich nach Schulungen für Inklusionsbeauftragte erkundigt und im Nachgang das Seminar „SBV- Teil II“ als Vorbereitung für Ihre Aufgabe als Inklusionsbeauftragte besucht hatten. Für wie wichtig halten Sie eine fundierte Schulung für Ihr Amt?
Anke Lenz: Ich halte eine fundierte Schulung für absolut essenziell – gerade, weil das Amt der Inklusionsbeauftragten fachlich anspruchsvoll und mit einer großen Verantwortung verbunden ist – und nicht zuletzt wegen der persönlichen Haftung, die mit der Rolle einhergeht.
Umso überraschender fand ich, dass es kaum Angebote für Arbeitgebervertreter gibt, während SBV und Betriebsräte umfassend geschult werden. Die Empfehlung des ifb, am Seminar ‚SBV – Teil II‘ teilzunehmen, war daher sehr wertvoll, da es mir einen ersten Überblick über das Aufgabenspektrum und die rechtlichen Grundlagen gegeben hat.
Besonders wertvoll war auch der Austausch mit den anderen Teilnehmenden...
Die Schulung „Schritt für Schritt zur praxisgerechten Inklusionsvereinbarung“ hatten Sie im Nachgang gemeinsam mit der SBV besucht, eine gute Entscheidung?
Anke Lenz: Ja, es war definitiv eine gute Entscheidung, die Schulung zu besuchen – und das auch gemeinsam mit unserer SBV. Inhaltlich war sie eine gute Mischung aus fachlicher Information, Interaktion, Diskussionen und praxisnahen Beispielen, die den Transfer in den Arbeitsalltag erleichtert haben. Besonders wertvoll war auch der Austausch mit den anderen Teilnehmenden, die ihre Perspektiven und Erfahrungen als Arbeitnehmervertreter eingebracht haben.
Es war interessant zu erfahren, welche großen Konflikte in vielen Unternehmen zwischen Betriebsrat und Schwerbehindertenvertretung auf der einen Seite und den Arbeitgebervertretern wie HR oder Inklusionsbeauftragten auf der anderen Seite bestehen. Accenture hob sich in der Gruppe deutlich positiv ab.
Als einzige Arbeitgebervertreterin in der Runde befand ich mich in einer besonderen, exponierten Situation, die ich jedoch eher als bereichernd denn als unangenehm empfand.
Seit 2025 bieten wir im ifb erstmals ein Seminarangebot speziell für Inklusionsbeauftragte an. Würden Sie Vertrauenspersonen empfehlen, sich mit dem Angebot direkt an Ihre Inklusionsbeauftragten bzw. die HR- Abteilung zu wenden, um auf diese Schulung aufmerksam zu machen?
Anke Lenz: Ja, das würde ich durchaus empfehlen. Vertrauenspersonen nehmen typischerweise regelmäßig an ifb-Schulungen teil, um ihre Rolle professionell auszufüllen, und sind dadurch oft näher an den aktuellen Bildungsangeboten des ifb dran. Es ist daher naheliegend und hilfreich, wenn sie gezielt auf die Inklusionsbeauftragten oder die HR-Abteilung zugehen. Das stärkt die gegenseitige Unterstützung und fördert die konstruktive Zusammenarbeit im Unternehmen.
Unternehmen ohne Inklusionsbeauftragte sind leider keine Seltenheit, sondern oftmals traurige Realität. Mit welchen Argumenten können Schwerbehindertenvertretungen ihre Arbeitgeber überzeugen, dieses Amt zu besetzen?
Anke Lenz: Folgende Argumente sprechen klar für die Besetzung der Rolle der Inklusionsbeauftragten:
- Starkes Signal nach innen und außen: Die Besetzung zeigt, dass das Unternehmen Inklusion ernst nimmt – das stärkt das Vertrauen der Mitarbeitenden und wirkt sich positiv auf das Unternehmensimage aus.
- Brückenbauer und zentraler, qualifizierter Ansprechpartner: Die Rolle vermittelt zwischen den verschiedenen Beteiligten innerhalb einer Organisation sowie mit externen Stellen - wie Integrationsamt oder Arbeitsagentur. Dies verbessert die Zusammenarbeit, reduziert Konflikte und führt zu wirksameren Ergebnissen.
- Rechtliche Verpflichtung: Die Benennung einer Inklusionsbeauftragten ist gesetzlich vorgeschrieben (§ 181 SGB IX).
Es kann durchaus sinnvoll sein, wenn sich eine SBV im Vorfeld Gedanken macht, wer für die Rolle der Inklusionsbeauftragten geeignet sein könnte
Wäre es aus Ihrer Sicht taktisch klug, sich als SBV selbst „auf die Suche zu machen“ und potenziell geeignete Kolleginnen oder Kollegen anzusprechen oder sollten Vertrauenspersonen dies dem Arbeitgeber überlassen?
Anke Lenz: Es kann durchaus sinnvoll sein, wenn sich eine SBV im Vorfeld Gedanken macht, wer für die Rolle der Inklusionsbeauftragten geeignet sein könnte – insbesondere, wenn sie bereits mit Kolleg:innen im Austausch steht, die für das Thema ein echtes Interesse mitbringen. Eine informelle Ansprache kann Impulse geben und erste Bereitschaft wecken. Wichtig ist allerdings, dass dabei die Rollen klar getrennt bleiben: Die Entscheidung über die Besetzung liegt beim Arbeitgeber. Die SBV sollte hier eher unterstützend und beratend wirken – mit Fingerspitzengefühl, um nicht als einmischend wahrgenommen zu werden. So kann eine konstruktive Zusammenarbeit entstehen, die zu einer guten Besetzung beiträgt.
Sie sind Mitglied im UnternehmensForum, einem Zusammenschluss von Inklusionsbeauftragen in Deutschland. Inwieweit profitieren Sie von der Mitgliedschaft in diesem Verband?
Anke Lenz: Als mir die Rolle der Inklusionsbeauftragten angeboten wurde, habe ich erst mal recherchiert, was diese Rolle beinhaltet. Dabei bin ich schnell auf das UnternehmensForum gestoßen und habe direkt Kontakt zu einzelnen Mitgliedern aufgenommen, die mir offen und hilfsbereit meine Fragen beantwortet haben. Dies habe ich als sehr unterstützend und ermutigend erlebt.
Da sich das UnternehmensForum als ideale Netzwerk- und Austauschplattform für Inklusionsbeauftragte darstellte, sind wir schnell Mitglied geworden. Ich schätze den praxisnahen Austausch, das Teilen von Erfahrungen und das große Engagement aller Mitglieder sehr - auch deshalb, weil einige Schwerbehindertenvertretungen Mitglied sind und wir so voneinander profitieren können.
Eine gute Zusammenarbeit zwischen der SBV und der Inklusionsbeauftragten gelingt am besten, wenn beide Seiten das gemeinsame übergeordnete Ziel im Blick behalten
Oft berichten Vertrauenspersonen von Konflikten in der Zusammenarbeit mit ihren Inklusionsbeauftragten. Haben Sie Tipps, wie die Zusammenarbeit zwischen Schwerbehindertenvertretung und Inklusionsbeauftragten (besser) gelingen kann?
Anke Lenz: Eine gute Zusammenarbeit zwischen der Schwerbehindertenvertretung und der Inklusionsbeauftragten gelingt am besten, wenn beide Seiten das gemeinsame übergeordnete Ziel im Blick behalten: die bestmögliche Teilhabe und Unterstützung von Menschen mit Behinderungen im Arbeitsumfeld – und damit letztlich auch die Sicherung der Leistungserbringung im Unternehmen.
Dafür ist es wichtig, sich immer wieder in die Perspektive des Gegenübers hineinzuversetzen und offen sowie vorurteilsfrei miteinander in den Austausch zu gehen. Gegenseitige Wertschätzung und die Grundannahme, dass beide Seiten mit positiver Intention handeln, sind dabei entscheidend. Die Zusammenarbeit sollte unpolitisch und lösungsorientiert sein – es geht nicht um Macht oder Positionierung, sondern um partnerschaftliches Miteinander auf Augenhöhe.
Was die Zusammenarbeit besonders stärkt, ist das gemeinsame Handeln im Alltag: konkrete Fälle gemeinsam begleiten, Erfolge teilen und sich im Rahmen der jeweiligen Zuständigkeiten gegenseitig unterstützen. So entsteht Vertrauen – nicht nur durch Worte, sondern durch gelebte Kooperation.