Wenn das Arbeitsverhältnis zur Zumutung wird: Fast 70.000 Euro Abfindung nach Machtmissbrauch durch Geschäftsführer

„Gaaaaaaaanz wichtig: Nichts unter dem Rock anziehen“ – so lautete eine der WhatsApp-Nachrichten, die der Geschäftsführer einer Bank an seine Mitarbeiterin schickte. Das Arbeitsverhältnis wurde letztendlich aufgelöst und das LAG Köln sprach der Klägerin eine hohe Abfindung zu, da die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses wegen sexistischer, übergriffiger und entwürdigender Äußerungen des Geschäftsführers unzumutbar sei. 

Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 09.07.2025, 4 SLa 97/25
Vorinstanz: Arbeitsgericht Bonn, Urteil vom 14.11.2024, 1 Ca 456/24

Stand:  23.9.2025
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Das ist passiert

Die 32 Jahre alte Klägerin war rund viereinhalb Jahre bei ihrem Arbeitgeber beschäftigt. Zuletzt betrug ihr Monatsgehalt 7.744,75 Euro brutto. Als ein Kundentermin anstand, schrieb ihr der Geschäftsführer per WhatsApp mehrere Nachrichten mit anzüglichem Inhalt: Er forderte sie auf, bei diesem Kundentermin „rockmäßig was kurzes und dekolteemäßig irgendwie was“ anzuziehen, sich die Nägel rot zu lackieren und High-Heels zu tragen. Später ergänzte er: „Gaaaaaaaanz wichtig: Nichts unter dem Rock anziehen.“

Nachdem die Klägerin sich weigerte, reagierte er mit ausfallenden und beleidigenden Nachrichten, schickte sie ins Home-Office, drohte mit Gehaltskürzungen, verlangte die Rückgabe von Geschenken sowie die Herausgabe ihres Dienstwagens und der Tankkarte.

Später sollte sie dann doch wieder ins Büro kommen. Dort fand sie auf ihrem Schreibtisch einen Blumenstrauß mit einer Einladung des Geschäftsführers für einen gemeinsamen Thermenbesuch. Sie schlug die Einladung aus – es folgte die Kündigung.

Gegen diese Kündigung ging die Arbeitnehmerin gerichtlich vor. Außerdem verlangte sie die Ausstellung eines qualifizierten Arbeitszeugnisses und beantragte die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung. Im Anschluss an die Güteverhandlung kam es noch zu weiteren Vergleichsgesprächen. Als sie jedoch zur Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit aufgefordert wurde, erkrankte die Klägerin.

Das sagt das Gericht

Das Arbeitsgericht Bonn gab der Klage in weiten Teilen statt (Urteil vom 14.11.2024, Az. 1 Ca 456/24). Diese Entscheidung wurde vom Landesarbeitsgericht Köln im Kern bestätigt. Das Landesarbeitsgericht stellte klar, dass die Kündigung wegen des unzumutbaren Verhaltens des Geschäftsführers als sozialwidrig einzustufen sei. Die wiederholten Belästigungen und die Eskalation des Konflikts führten zu einer Situation, in der eine Fortführung des Arbeitsverhältnisses ausgeschlossen war. Darüber hinaus entwickelte die Klägerin aufgrund der erheblichen Belastungen eine posttraumatische Belastungsstörung. Nach Auffassung des Gerichts war daher nicht anzunehmen, dass das zerstörte Vertrauensverhältnis in absehbarer Zeit wiederhergestellt werden könnte.

Bei der Bemessung der Abfindung nach § 10 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) orientieren sich Gerichte üblicherweise an der gängigen Formel von 0,5 Monatsgehältern pro Beschäftigungsjahr. Angesichts der besonderen Umstände wich das Landesarbeitsgericht Köln hiervon jedoch ab und legte einen deutlich höheren Faktor zugrunde – und zwar einen Gesamtabfindungsfaktor von 2 Monatsgehältern pro Beschäftigungsjahr. Ausschlaggebend waren die Schwere der Persönlichkeitsverletzungen, die gesundheitlichen Folgen sowie das bewusste Ausnutzen der Machtstellung durch den Geschäftsführer. In diesem Sinne sollte die Abfindung – vergleichbar mit einem Schmerzensgeld bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen – auch eine Genugtuungsfunktion erfüllen. Das Gericht hielt daher eine Zahlung in Höhe von 68.153,80 Euro brutto für angemessen.

Hinweise für die Praxis

Diese Entscheidung hat Signalwirkung! Bemerkenswert ist in arbeitsrechtlicher Hinsicht vor allem die Höhe der Abfindung. Damit setzt das Landesarbeitsgericht ein deutliches Zeichen, dass Machtmissbrauch schmerzhafte finanzielle Konsequenzen nach sich ziehen kann.

Das Gericht hat mit dieser Entscheidung klargestellt, dass übergriffiges Verhalten nicht einfach mit Argumenten abgetan werden kann, wie „es herrsche ein äußerst gutes und familiäres Betriebsklima“, es seien nur „spaßige Bemerkungen“ gewesen oder eben ein „vertrauter Umgang untereinander“.  Und es hat gezeigt, dass das Arbeitsrecht wirksame Instrumente bereithält, um die Persönlichkeitsrechte von Beschäftigten zu schützen und untragbare Arbeitssituationen zu beenden: § 9 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) erlaubt Gerichten, das Arbeitsverhältnis aufzulösen, wenn die Kündigung zwar unwirksam, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses dem Arbeitnehmer aber nicht zuzumuten ist. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) wiederum schützt Beschäftigte vor Diskriminierung und sexueller Belästigung. Der Begriff der sexuellen Belästigung umfasst grundsätzlich jedes unerwünschte, sexuell bestimmte Verhalten, das die Würde der betroffenen Person verletzt. (sh)

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