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Wie ist das bei Amazon und seinen Betriebsräten?

© Betriebsrat Amazon-Logistikzentrum Pforzheim
Stand:  11.7.2023
Lesezeit:  04:30 min
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Christos Kalpakidis, Betriebsrat des Logistikzentrums Pforzheim, im Gespräch

Immer wieder tauchen Medienberichte auf, die von Schwierigkeiten an verschiedenen Amazon-Standorten berichten: Es geht um schlechte Arbeitsbedingungen oder Kündigungen von Betriebsräten. Christos Kalpakidis kann die negativen Schlagzeilen nicht bestätigen, auch wenn er nur für „sein“ Logistikzentrum in Pforzheim spricht. Der 44-Jährige sitzt seit Gründung des Betriebsrats dort im Gremium und berichtet von einigen positiven Entwicklungen: „Das Unternehmen ist erwachsen geworden.“ Aber, klar: Auch er sieht noch Verbesserungspotenzial.

Christos Kalpakidis | © Betriebsrat Amazon-Logistikzentrum Pforzheim

Christos Kalpakidis

Christos Kalpakidis hat bei Amazon vor elf Jahren in Bad Hersfeld angefangen. Hier wurden rund 60 Leute eingestellt und ausgebildet, um dann im damals neuen Logistikzentrum in Pforzheim die Aufgaben von Spezialkräften zu übernehmen und wiederum auszubilden. Bereits im Juni 2013 wurde in Pforzheim ein Betriebsrat gegründet. Christos Kalpakidis gehörte zu den Gründungsmitgliedern und wurde sogleich zum Betriebsratsvorsitzenden gewählt. Seit der Wahl im Frühjahr 2022 ist der 44-Jährige freigestelltes Betriebsratsmitglied eines 15er-Gremiums.

Christos, mediale Aufmerksamkeit erlangte kürzlich die Kündigung eines Amazon-Betriebsratsvorsitzenden wegen Arbeitszeitbetruges – wie blickt Ihr auf solche Ereignisse?

Christos Kalpakidis: Wir fragen natürlich nach, aber es ist situationsabhängig. Mal ist man auf der Seite des Betriebsrats, mal kann man Entscheidungen nachvollziehen. In jedem Fall sollte sich kein Betriebsrat mehr erlauben als andere Mitarbeiter. Ich bin jetzt elf Jahre dabei, bei uns wurde jedenfalls noch kein Betriebsrat gekündigt.

Die Medien berichten generell häufiger von Problemen mit Betriebsräten bei Amazon: Wie sieht es bei Euch aus?

Christos Kalpakidis: Es ist wie überall, der eine Standort hat sicherlich mehr Probleme, der andere weniger. Die Aktivitäten bei Amazon sind halt weitaus mehr als bei kleineren Firmen. Das sehen wir beispielsweise bei Kündigungen. Aber im Großen und Ganzen gibt es meiner Meinung nach bei Amazon keine Probleme mit Betriebsräten. Es ist nicht immer alles so, wie es in der Presse dargestellt wird. Das zeigen unsere Netzwerktreffen, bei denen wir alle zusammenkommen.

Gibt es keinen Gesamt- oder Konzernbetriebsrat?

Christos Kalpakidis: Das haben wir häufiger versucht, anzustoßen – es gab sogar einen gerichtlichen Versuch. Aber das gibt das Gesetz leider nicht her, da wir in einzelne GmbHs aufgeteilt sind und die „Mutter“ in Luxemburg sitzt. Dennoch haben wir uns vernetzt und der Arbeitgeber akzeptiert das. Wir tauschen uns aus, treffen uns zweimal im Jahr. Es ist der Versuch, vieles zu vereinfachen, jedoch ohne gesetzlichen Rückhalt.

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Wir können Ideen klauen, wenn ein anderes Betriebsratsgremium beispielsweise eine bestimmte Betriebsvereinbarung ausgehandelt hat.

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Diese Netzwerktreffen helfen Euch also in Eurer täglichen Betriebsratsarbeit?

Christos Kalpakidis: Sie bringen auf jeden Fall etwas. Wir können Ideen klauen, wenn ein anderes Betriebsratsgremium beispielsweise eine bestimmte Betriebsvereinbarung ausgehandelt hat. Es ist außerdem von Vorteil für unsere Verhandlungen, wenn wir sagen können, dass dies oder jenes anderswo bereits umgesetzt wurde. Und natürlich gibt es gemeinsame Interessen. Stehen bei den anderen Lohnerhöhungen an? Gibt es Personalabbau oder Personalaufbau? Wir bekommen dadurch Infos, die wir sonst vielleicht nicht bekämen.

Amerikanischen Unternehmen ist die deutsche Form der Mitbestimmung häufig fremd … 

Christos Kalpakidis: Das stimmt, aber das Unternehmen wird auch erwachsen. Es hat gemerkt, dass es in Europa und vor allem in Deutschland gesetzlich anders ist als in den USA. Und daran halten sie sich auch.

Christos Kalpakidis in einer angeregten Diskussion.

Die Arbeitsbedingungen bei Amazon stehen hier und da in der Kritik – eine schwere Aufgabe für den Betriebsrat?

Christos Kalpakidis: Im Laufe der Zeit konnten wir viele Dinge verbessern. Angefangen bei der Lohnentwicklung. Außerdem wird die Arbeit durch entsprechende Automatisierung immer weiter erleichtert. Da ist das Unternehmen sehr aktiv. Ist ein Kollege mal im Urlaub, gibt es nach seiner Rückkehr sicherlich wieder etwas Neues. Ganz davon abgesehen kennen wir es im Betriebsrat eigentlich nicht, dass Seminare abgelehnt werden. Vielleicht, wenn ich einen Töpferkurs beantragen würde. (lacht)

Seit elf Jahren bist Du jetzt im Amazon-Betriebsrat. Was konntet Ihr alles erreichen?

Christos Kalpakidis: Es gibt eine Betriebsvereinbarung, auf die wir besonders stolz sind: und zwar zur AU-Auflage. Es geht darum, dass jeder Mitarbeiter dreimal im Jahr drei Tage ohne Krankenschein krank zuhause bleiben kann. Wenn jemand beispielsweise Migräne hat und weiß, dass er nur ein, zwei Tage Ruhe braucht, dann muss er sich nicht extra ins Wartezimmer hocken, um den Krankenschein zu holen. Das haben nicht viele Standorte.

Wo siehst Du im Gegensatz noch Nachholbedarf?

Christos Kalpakidis: Ändern kann man immer etwas! Ich würde vielleicht bei der Lohnstruktur ansetzen. Da gibt es eine Lücke zwischen zwei Levels, allerdings Aufgaben, die dazwischen liegen. Da sind wir immer wieder dran, stoßen bisher nicht auf den ganz großen Änderungswillen. Wobei die örtlichen Verantwortlichen durchaus zustimmen. Aber darüber gibt es ja noch jemanden.

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Der Vorteil an der Größe des Unternehmens ist, dass es keine Vetternwirtschaft gibt.

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Du vertrittst die Interessen von rund 1.600 Mitarbeitern: Was sind das für Menschen?

Christos Kalpakidis: Bei uns am Standort haben über 95 Prozent einen Festvertrag. Die Gerüchte, die da gelegentlich aufkommen, stimmen nicht. Wir sind Mitarbeiter aus etwa 70 Nationen, das ist also eine kleine Welt für sich. Im Grunde arbeiten alle gut miteinander, egal ob sehr jung oder älter. In der Kantine gibt es subventioniertes Essen, die Getränke sind umsonst. Außerdem kann man sich gut weiterentwickeln, zum Vorarbeiter, zur Führungskraft oder zum Trainer. Ich habe da alles schon miterlebt: Einfache Versandmitarbeiter, die mittlerweile Operations Manager sind, was für einen externen Bewerber ohne Studium unmöglich wäre. Der Vorteil an der Größe des Unternehmens ist, dass es keine Vetternwirtschaft gibt. Da wird nicht der Cousin oder Freund genommen. Hier kann sich jeder intern bewerben und der Beste wird genommen. 

Ist die Sprache bei 70 Nationen eine Barriere?

Christos Kalpakidis: Wir haben hilfsbereite Kollegen, da finden wir im Zweifel immer einen Dolmetscher. Aber das kommt gar nicht so oft vor, da Englisch- oder Deutschkenntnisse Voraussetzung sind. Hauptsächlich wegen des Sicherheitsaspektes. Hier fahren 350 Stapler durch die Gegend, da sollten die Hinweise verstanden werden.

Der Sicherheitsaspekt dürfte für Euch im Betriebsrat generell eine große Rolle spielen.

Christos Kalpakidis: Wir sind stolz, dass bei dieser Größe in all den Jahren kein größerer Unfall passiert ist. Gott sei Dank! Das Unternehmen ist ja weltweit tätig und wenn irgendwo was passiert, werden überall sofort Maßnahmen ergriffen. Unsere Eingangsdrehtore sind alle gepolstert – wahrscheinlich hat sich jemand mal verletzt.

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Von der Ausbildung zum Mediator hat jeder etwas: ich, der Betriebsrat, die Mitarbeiter und Amazon.

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Du hast Dich zum Mediator ausbilden lassen, warum?

Christos Kalpakidis: Ich habe öfters Streitigkeiten geschlichtet, ohne den Arbeitgeber involvieren zu müssen. Das habe ich ein paar Mal ganz gut gelöst, auch mal innerhalb einer Abteilung. Dann bin ich mit dem Vorschlag, eine Ausbildung zu machen, zu den Geschäftsführern – und die haben eingewilligt. Die Ausbildung hat sehr viel Spaß gemacht und wirklich etwas gebracht. Und es hat jeder was davon: ich, der Betriebsrat, die Mitarbeiter und Amazon.

Gibt es den einen Grund, warum Du Dich als Betriebsrat engagierst?

Christos Kalpakidis: Es gibt mehrere Gründe: Ich habe einfach ein ausgeprägtes Helfersyndrom und einen großen Gerechtigkeitssinn. Ich gehe leidenschaftlich gerne Themen an und versuche, diese zu klären, bevor sie größer werden. In den elf Jahren habe ich viele Betriebsräte kommen und gehen sehen. Von den Gründungsmitgliedern bin nur noch ich dabei und es ist der klare Anspruch, bei der nächsten Wahl wieder dabei zu sein. Aber vom Nichtstun ist noch nie einer wiedergewählt worden. Man muss aktiv sein, nur so klappt es. (tis)

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