Kurz erklärt: die belgische Mitbestimmung
In Belgien gibt es zwei zentrale Gremien, über die Arbeitnehmer im Betrieb ihre Interessen vertreten können:
- den Betriebsrat (Conseil d’entreprise / Ondernemingsraad)
- und den Ausschuss für Prävention und Schutz am Arbeitsplatz (Comité pour la prévention et la protection au travail – CPPT)
Diese Gremien werden im Rahmen der Sozialwahlen gewählt – und zwar betrieblich organisiert, nicht unternehmensweit. Das belgische Modell ähnelt dem deutschen System in Struktur und Ziel, ist aber deutlich enger mit den Gewerkschaften verknüpft. Wer hier mitbestimmen will, kommt ohne gewerkschaftliche Unterstützung selten zum Zug.
Bereits 1948 legte Belgien den gesetzlichen Grundstein für die Mitbestimmung...
Ein Blick zurück: Belgien war früh dran
Bereits 1948 legte Belgien den gesetzlichen Grundstein für die Mitbestimmung und führte die Sozialwahlen ein – deutlich früher als viele andere europäische Länder. Seither wurde das System regelmäßig modernisiert, zuletzt durch die neue Gesetzgebung vom 11. Juni 2023.
Dabei gilt: Alle vier Jahre werden die Arbeitnehmervertretungen neu gewählt. Die Wahl erfolgt streng geregelt innerhalb eines staatlich festgelegten Wahlzeitraums, der alle wahlpflichtigen Betriebe gleichzeitig betrifft.
Wahlberechtigt sind in Belgien alle Arbeitnehmer ab 16 Jahren
Wer darf wählen – und wie läuft das ab?
Wahlberechtigt sind in Belgien alle Arbeitnehmer ab 16 Jahren, sofern sie mindestens drei Monate im Betrieb beschäftigt sind. Also auch Auszubildende und jugendliche Beschäftigte dürfen mitentscheiden. Damit zeigt sich Belgien besonders jugendfreundlich.
- Die Sozialwahlen folgen einem festen Ablauf
Die Sozialwahlen folgen einem klar geregelten Ablauf: Zunächst erfolgt die Kandidatenaufstellung – und zwar ausschließlich durch die anerkannten Gewerkschaften. Unabhängige Kandidaturen, wie sie in Deutschland möglich sind, sind in Belgien nicht vorgesehen. Wer keine gewerkschaftliche Unterstützung hat, hat praktisch keine Chance auf ein Mandat. - Geheime Abstimmung der Beschäftigten
Gewählt wird anonym über diese Listen – ähnlich wie bei einer Parlamentswahl mit Parteien. Demokratisch? Ja. Offen? Eher begrenzt, denn das System hat zwei Gesichter: Einerseits sorgt die enge Rolle der Gewerkschaften für klare Abläufe und gute Organisation, andererseits lässt das System kaum Raum für unabhängige Kandidaturen.
Ein Betriebsrat ist in Belgien ab 100 Beschäftigten verpflichtend.
Was belgische Betriebsräte dürfen – und wo ihre Grenzen liegen
Ein Betriebsrat ist in Belgien ab 100 Beschäftigten verpflichtend. Die Einrichtung ist klar im belgischen Recht verankert. Seine Aufgaben umfassen unter anderem:
- Einsicht in wirtschaftliche Unternehmensdaten
- Beratung bei Umstrukturierungen
- Kontrolle von Arbeitszeitregelungen
- Förderung von Weiterbildung und Gleichstellung
Klingt vertraut? Stimmt – viele dieser Aufgaben ähneln der deutschen Mitbestimmung. Allerdings ist der belgische Betriebsrat häufig stärker beratend als mitbestimmend tätig. Vieles wird zentral durch Tarifverträge geregelt – auf betrieblicher Ebene bleibt oft weniger Spielraum.
Im Betriebsrat sitzen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter paritätisch zusammen. Den Vorsitz übernimmt meist ein Mitglied der Geschäftsführung. Und wie in Deutschland genießen die Arbeitnehmervertreter einen besonderen Kündigungsschutz.
In sehr großen Unternehmen (z. B. mit über 1.000 Beschäftigten oder staatlicher Beteiligung) ist zudem eine Arbeitnehmervertretung im Verwaltungsrat vorgeschrieben – meist mit einem Drittel der Sitze.
Der CPPT (Ausschuss für Prävention und Schutz) ist bereits ab 50 Beschäftigten vorgeschrieben.
… und der Arbeitsschutz?
Der CPPT (Ausschuss für Prävention und Schutz) ist bereits ab 50 Beschäftigten vorgeschrieben. Er kümmert sich um Themen wie:
- Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz
- Prävention von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten
- Maßnahmen zur Förderung des Wohlbefindens
- Beratung bei betrieblichen Gesundheitsfragen
Man könnte sagen: Während der Betriebsrat eher bei dem wirtschaftlichen Kurs auf dem betrieblichen Schiff mitredet, sorgt der CPPT dafür, dass auf dem Weg niemand über Bord geht.
Positiv ist sicherlich Belgiens Bereitschaft, ihre Gesetzgebung bezgl. der Mitbestimmung ständig anzupassen.
Neu ab 2024: Das brachte die Reform der Sozialwahlen
Positiv ist sicherlich Belgiens Bereitschaft, ihre Gesetzgebung bezgl. der Mitbestimmung ständig anzupassen. Etwas, was wir uns in Deutschland schon lange wünschen! Die Reform von 2024 hat u.a. das Wahlsystem modernisiert und praxisnäher gestaltet.
- Digitalisierung: Erstmals kann die Stimmabgabe auf freiwilliger Basis auch vollständig elektronisch erfolgen. Belgien hat digitalisiert, während in Deutschland der Wahlvorstand noch den Briefwahlumschlag sortiert.
- Wahlrechtliche Klarstellungen: Die Vorschriften zur Anfechtung von Wahlergebnissen wurden präzisiert.
- Definition der Schwellenwerte: Die Berechnung der Beschäftigtenzahlen, die über die Pflicht zur Einrichtung von Gremien entscheiden, wurde klarer gefasst.
Die Vorbereitungsphase beginnt rund 150 Tage vor dem eigentlichen Wahltag – mit klar geregelten Fristen und Veröffentlichungen. Wer hier nicht auf Zack ist, verpasst wichtige Stichtage. Klingt bekannt? Ja, auch deutsche Betriebsratswahlen sind ein Fest der Fristen.
Gewerkschaften in Belgien – die großen Drei
In Belgien dominieren drei große Dachverbände die Gewerkschaftslandschaft:
- Christliche Gewerkschaft (CSC/ACV)
- Sozialistische Gewerkschaft (FGTB/ABVV)
- Liberale Gewerkschaft (CGSLB/ACLVB)
Jeder Arbeitnehmer kann unabhängig vom Beruf Mitglied werden. Die Gewerkschaften übernehmen in Belgien eine zentrale Rolle – nicht nur bei Tarifverhandlungen, auch in der Betriebsratsarbeit und sogar bei der Verwaltung von Arbeitslosengeld.
Im Gegensatz zu Deutschland, wo Betriebsräte auch unabhängig agieren können, sind belgische Gremien nahezu vollständig gewerkschaftlich organisiert.
Mitbestimmung findet in Belgien nicht nur im Betrieb statt, sondern auch auf höheren Ebenen.
Sozialer Dialog auf mehreren Ebenen
Mitbestimmung findet in Belgien nicht nur im Betrieb statt, sondern auch auf höheren Ebenen:
- Überbetrieblich: z. B. im Nationalen Arbeitsrat
- Sektoral: in paritätischen Kommissionen für Branchen
- Betrieblich: über Betriebsrat und CPPT
Der sogenannte soziale Dialog – also der Austausch zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite – ist tief in der belgischen Arbeitskultur verankert. Hier wird nicht einfach durchgesetzt, hier wird verhandelt, beraten und gemeinsam geregelt.
Fazit: Belgien macht’s anders – und einiges richtig
Belgien hat ein Mitbestimmungssystem, das traditionsreich, gewerkschaftlich stark verwurzelt und inzwischen sogar digital gut aufgestellt ist. Die Reformen von 2024 zeigen: Hier wird nicht an alten Strukturen festgeklebt, sondern modernisiert – ohne die Grundwerte zu verlieren.
Für deutsche Betriebsräte, aber auch für den Gesetzgeber lohnt sich also der Blick über die Grenze. Und falls es bei uns mit der Gesetzesänderung zu den Online-Sitzungen nicht so schnell klappt: Vielleicht sorgen Sie bei der nächsten Betriebsratssitzung einfach für ein paar knackige belgische Pralinen auf dem Tisch. Süße Versuchung teilen geht halt nur in Präsenz! (sw)