Von Tito bis Tarifvertrag – wie die Mitbestimmung nach Slowenien kam
Die Geschichte der Mitbestimmung in Slowenien lief ein bisschen anders als bei uns in Deutschland. Während hierzulande nach dem Zweiten Weltkrieg die ersten Betriebsräte zum Zuge kamen, setzte man im damaligen Jugoslawien bis 1991 noch auf das sogenannte „Selbstverwaltungsmodell“. Das hieß offiziell: Der Betrieb gehört den Arbeitern. Klingt gut, aber in der Praxis war das allerdings oft mehr Wunschdenken als Realität – denn am Ende hatte dann doch meistens jemand anderes das Sagen. Über Betriebsräte hat damals keiner gesprochen. Wozu auch, wenn angeblich sowieso alle mitbestimmen durften?
Mit der Unabhängigkeit Sloweniens kam dann der Wechsel vom Sozialismus zum System der Mitbestimmung, wie wir es heute kennen. Seit 1993 regelt das Mitbestimmungsgesetz (Zakon o sodelovanju delavcev pri upravljanju) die betriebliche Beteiligung: Wer darf mitreden? Wie wird der slowenische Betriebsrat gewählt? Und was sind eigentlich seine Aufgaben?
Besonders wichtig: Die Mitbestimmung ist in Slowenien nicht nur ein Gesetz, sondern sogar in der slowenischen Verfassung verankert. Und damit war der Betriebsrat dann plötzlich Realität.
Slowenien bietet ein gut organisiertes, arbeitnehmerfreundliches Arbeitsumfeld
Zahlen, Daten, Fakten – Arbeiten in Slowenien
Bevor wir uns den Betriebsräten widmen, lohnt ein kurzer Blick auf das Arbeitsleben in Slowenien. Das Land bietet ein gut organisiertes, arbeitnehmerfreundliches Arbeitsumfeld – und das ganz nach EU-Standard. Die übliche Wochenarbeitszeit beträgt 40 Stunden, verteilt auf fünf Tage. Wer in Slowenien arbeitet, sitzt also in der Regel von 8 bis 16 Uhr oder von 9 bis 17 Uhr am Schreibtisch – das kommt ganz auf den Betrieb an. 2024 waren in Slowenien rund 1,1 Millionen Menschen erwerbstätig.Was die Gewerkschaftsquote angeht, kann sich Slowenien durchaus sehen lassen: Zwischen 25 und 30 Prozent der Beschäftigten sind gewerkschaftlich organisiert. Das ist im europäischen Vergleich eine solide Beteiligung – da haben die Betriebsräte also gleich ein gutes Fundament für die Mitbestimmung.
Der slowenische Betriebsrat darf bei vielen Themen mitreden – und bei einigen sogar mitentscheiden.
Slowenischer Betriebsrat: Was darf der eigentlich?
Kaum ins Leben gerufen, schon geht es los mit der Betriebsratsarbeit! Der slowenische Betriebsrat darf bei vielen Themen mitreden – und bei einigen sogar mitentscheiden.
So muss der Arbeitgeber den Betriebsrat über wirtschaftliche Entwicklungen, Umstrukturierungen oder neue Technologien informieren. Auch bei personellen Entscheidungen, wie Kündigungen oder Versetzungen, ist der Betriebsrat mit im Boot – zumindest beratend.
Richtig spannend wird es bei bestimmten Themen, bei denen der Arbeitgeber das Einverständnis des Betriebsrats braucht. Das gilt zum Beispiel beim Arbeitsschutz, der Urlaubsplanung oder der Verwaltung von Sozialeinrichtungen. Gibt es hier keine Einigung, geht der Fall in die Schlichtung – ähnlich wie in Deutschland über die Einigungsstelle.
Unterm Strich hat der slowenische Betriebsrat also Informations-, Anhörungs- und Zustimmungsrechte. Vor allem bei sozialen und personellen Fragen ist er ein wichtiger Partner des Arbeitgebers. Allerdings: An das deutsche Betriebsverfassungsgesetz reicht die Mitbestimmung in Slowenien nicht ganz heran.
In Slowenien können Unternehmen ab 10 Beschäftigten einen Betriebsrat wählen
Wahl des Betriebsrats – wie läuft das in Slowenien?
In Slowenien können Unternehmen ab 10 Beschäftigten einen Betriebsrat wählen – aber nur, wenn die Belegschaft das auch möchte. Die Wahl ist also freiwillig, der Betriebsrat kommt nicht automatisch ins Haus.
Die wichtigsten Eckpunkte der Wahl:
- Wahlberechtigt sind alle Arbeitnehmer im Betrieb.
- Kandidieren darf jeder Beschäftigte, der mindestens sechs Monate im Unternehmen arbeitet – außer er sitzt in der Chefetage.
- Auch Leiharbeitnehmer dürfen mitwählen, wenn sie mindestens sechs Monate dabei sind.
- Der Betriebsrat wird in geheimer Wahl gewählt – das läuft also ganz demokratisch.
- Amtszeit: vier Jahre.
Das kommt Ihnen bekannt vor? Es ähnelt unserem Modell der Betriebsratswahl.
Rolle der Gewerkschaften: Kein Entweder-oder
In Slowenien gibt es sowohl Betriebsräte als auch Gewerkschaften (Sindikati) – und das parallel.
Die größten Gewerkschaftsverbände in Slowenien sind:
- ZSSS (Vereinigung der unabhängigen Gewerkschaften Sloweniens – der größte Dachverband)
- KS 90 (Konföderation der unabhängigen Gewerkschaften Sloweniens ’90)
- Konfederacija sindikatov Pergam
- KSJS (Gewerkschaftsverband des Öffentlichen Dienstes)
Ca. 90 % der Beschäftigten in Slowenien arbeiten unter einem Tarifvertrag.
Zum Vergleich: In Deutschland sind es 2024 laut statistischem Bundesamt nur noch rund 49 %.
In Slowenien ist die Trennung zwischen Betriebsrat und Gewerkschaft nicht ganz so scharf gezogen wie in Deutschland.
Betriebsrat? Gewerkschaft? In Slowenien oft dasselbe in Grün.
In Slowenien ist die Trennung zwischen Betriebsrat und Gewerkschaft nicht ganz so scharf gezogen wie in Deutschland. Auf dem Papier gibt es natürlich Unterschiede: Der Betriebsrat ist für die betriebliche Mitbestimmung zuständig, die Gewerkschaft kümmert sich vor allem um Tarifverhandlungen und kämpft um bessere Arbeitsbedingungen auf Branchenebene.
In der Praxis sieht das aber oft anders aus. Viele Arbeitnehmer tragen in Slowenien gleich zwei Hüte: Sie sitzen im Betriebsrat und sind gleichzeitig in der Gewerkschaft aktiv. Das ist weit verbreitet – gerade in kleineren Betrieben gibt es häufig gar keine Trennung der Rollen.
Und was passiert, wenn gar kein Betriebsrat gewählt wird? Dann übernimmt oft die Gewerkschaft vor Ort die Vertretung der Arbeitnehmer. Das ist zwar nicht der klassische Weg, funktioniert in der Praxis aber ziemlich häufig – vor allem in kleineren Firmen, in denen sich kein eigenständiger Betriebsrat bildet.
Die Zusammenarbeit zwischen Betriebsräten und Gewerkschaften ist in Slowenien also oft ein eingespieltes Teamwork – mit fließenden Übergängen.
In slowenischen Aktiengesellschaften mit mehr als 50 Beschäftigten muss der Aufsichtsrat Arbeitnehmervertreter aufnehmen
Aufsichtsrat in Slowenien: Weniger Mitarbeiter, trotzdem Mitbestimmung
Interessant für deutsche Betriebsräte: In slowenischen Aktiengesellschaften mit mehr als 50 Beschäftigten muss der Aufsichtsrat Arbeitnehmervertreter aufnehmen – und zwar mindestens ein Drittel der Sitze. Wer die Vertreter bestimmt? Das macht der Betriebsrat.
Zum Vergleich: In Deutschland brauchen Kapitalgesellschaften (also AG, GmbH, KGaA) dafür mindestens 500 Beschäftigte, dann greift das Drittelbeteiligungsgesetz. Und erst ab 2.000 Mitarbeitern gilt das Mitbestimmungsgesetz mit paritätischer Besetzung. In Slowenien ist die Hürde also deutlich niedriger: Schon ab 51 Leuten dürfen Beschäftigte mit am großen Tisch sitzen und bei den wichtigen Entscheidungen mitreden.
Noch eine Besonderheit: In Unternehmen, die vor 1993 staatlich waren, gibt es teils Sonderregelungen mit 50:50-Besetzung im Aufsichtsrat.
Fazit: Mitbestimmung ja – aber anders gewichtet
Slowenien kennt viele Elemente des deutschen Mitbestimmungsmodells – aber nicht alles ist eins zu eins vergleichbar. Das System ist insgesamt schwächer ausgeprägt, vor allem bei der Tiefe der Mitbestimmung. Eines macht das Modell in Slowenien deutlich: Betriebsratsarbeit macht auch an den Landesgrenzen nicht halt. (sw)