Volkswirte haben bereits begriffen, welche Bedeutung das Produktionswissen der arbeitenden Bevölkerung (Human Capital genannt) für die Wirtschaftsentwicklung hoch entwickelter Weltzonen hat. Doch Betriebswirte und Bilanzprofis anderer Ausbildungsrichtungen trauen sich nicht, das zu durchdenken. Nehmen wir dazu folgendes Beispiel:
Alle Jahre wieder… flattert Betriebsräten und Mitgliedern des Wirtschaftsausschusses der Jahresabschluss auf den Tisch – natürlich von den Wirtschaftsprüfern als korrekt bestätigt. Und wenn der Betriebsrat einen Wirtschaftsausschuss ins Leben gerufen hat, wird der Jahresabschluss in einer gemeinsamen Sitzung von WA und BR von der Geschäftsführung erläutert. So jedenfalls der § 108 (5) BetrVG.
Wenn das gut läuft, ist das Vermögen gestiegen, das Eigenkapital gewachsen und die Eigenkapitalquote – hoffentlich größer als 30 % der Bilanzsumme - vielleicht auch. Das Unternehmen ist stabil, die Arbeitsplätze sind sicher.
Was wird da auf der Aktivseite der Bilanz beschrieben? Das Vermögen des Unternehmens; der Wert des immateriellen Vermögens, der Sachanlagen, der Beteiligungen, der Vorräte, der Forderungen und der Bestand der Zahlungsmittel.
Das Vermögen wird als Anhäufung der Werte der eingesetzten Hilfsmittel beschrieben – nicht beschrieben wird das tatsächliche Leistungsvermögen des Unternehmens.
Denn dies bestimmt sich nach dem Produktionswissen der Mitarbeiterschaft: Eine Maschine zur Papierherstellung – mit einer Investition von 30 Mio. Euro – zu fahren, setzt 3 ½ Jahre Ausbildung und nicht unter drei Jahren Erfahrung mit dem Umgang der Maschine voraus, bevor ein Mitarbeiter sie fahren kann. Und wir alle wissen, dass es ohne Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Unternehmen nicht geht. Was daran überraschend ist? Dass niemand von einer Bilanz erwartet, dass sie dieses Human Capital ausweist.
Die Erkenntnis daraus liegt auf der Hand: Das Leistungsvermögen des Unternehmens wird in der Bilanz nicht abgebildet.
Noch auffälliger ist das, wenn man sich die Bilanz eines Know-how-Unternehmens ansieht, zum Beispiel bei einem Unternehmen aus der Beratungsbranche. Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Software-Unternehmen. Die Büros und die Rechnerausstattung sind notwendig für die Leistungserstellung und selbstverständlich wird ihr Wert in der Bilanz ausgewiesen. Doch mit dem Ausweis ihres Leistungsvermögens haben diese Daten nichts zu tun.
Volkswirtschaftswissenschaftler, Brüder im Geiste der Betriebswirtschaft, haben das seit Mitte der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts zur Kenntnis genommen. Das, was sie als Wachstumstheorie bezeichnen, kommt ohne den Rückgriff auf den Wissensstand der gesamten arbeitenden Bevölkerung nicht mehr aus: Er erklärt – neben anderen, eher traditionellen Ursachen wie die Kapitalausstattung – wesentlich die Entwicklung der wirtschaftlichen Leistung einer Volkswirtschaft. Und das ist eben der weltweit akzeptierte Wissensstandard.
Ebenso hinken Betriebswirte und die Institutionen, die die Vorschriften zur Bilanzierung setzen, solchen Erkenntnissen hinterher. Zur Ehrenrettung dieser Wissensabteilung muss man auf die eine oder andere Ausnahme hinweisen: Unter dem schönen Titel ‚Human Ressource Accounting‘, also Buchhaltung des (sog.) Human Capital, hat Eric Flamholtz 1999 immerhin die dritte Auflage seines Buches veröffentlicht; 1982 hat sich Herbert Schmidt mit der Herausgabe eines 700-seitigen Sammelbandes ‚Humanvermögensrechnung‘ verdient gemacht. Einen Durchbruch des Denkens haben beide nicht erreicht.
Zugegeben: Die Folgen einer Bilanzierung des Wissens einer Belegschaft als immaterielles Vermögen sind umstürzend. Insbesondere für wissensbasierte Unternehmen, also die Zukunft unserer Wirtschaftsentwicklung. Warum zählen wir Human Capital nicht zum Wert eines Unternehmens? Als Wirtschaftsausschuss oder Betriebsrat sitzen Sie an der geeigneten Stelle, um solche Denkanstöße bei der Geschäftsführung anzuregen.