Liebe Nutzer,

für ein optimales und schnelleres Benutzererlebnis wird als Alternative zum von Ihnen verwendeten Internet Explorer der Browser Microsoft Edge empfohlen. Microsoft stellt den Support für den Internet Explorer aus Sicherheitsgründen zum 15. Juni 2022 ein. Für weitere Informationen können Sie sich auf der Seite von -> Microsoft informieren.

Liebe Grüße,
Ihr ifb-Team

Lexikon
Billiges Ermessen

Billiges Ermessen

ifb-Logo
Redaktion
Stand:  9.6.2023
Lesezeit:  01:00 min

Kurz erklärt

Billiges Ermessen kennzeichnet einen Maßstab, an dem Entscheidungen auszurichten sind. Diesen bildet das natürliche Gerechtigkeitsempfinden. Es handelt sich um eine Auslegungsregelung. Diese greift, wenn in einem Vertragsverhältnis einer Vertragspartei die Ausübung einer vertraglichen Befugnis unabhängig vom Einverständnis der davon betroffenen anderen Vertragspartei zusteht.  Die Grenzen dieser vereinbarten Befugnis werden am Maßstab des billigen Ermessens ermittelt. Dieser Grundsatz dient im Arbeitsrecht häufig als Ansatz für eine Missbrauchskontrolle. 

 

Kostenlose ifb-Newsletter

Abonnieren Sie unsere Newsletter

Bleiben Sie auf dem Laufenden mit unseren Newslettern für Betriebsräte, SBV und JAV.
Jetzt abonnieren

Begriff

Billiges Ermessen bildet eine Auslegungsregel zur Ermittlung des Umfangs der Befugnis einer Vertragspartei, deren Rechte und Pflichten im Vertrag unvollständig oder bewusst offenbleibend geregelt sind. Die Lücke ist durch eine billigem Ermessen entsprechende Regelung zu schließen.

Erläuterung

Ein wirksamer Vertrag setzt die Bestimmung oder wenigstens Bestimmbarkeit der wechselseitigen Leistungspflichten voraus. Eine hinreichende Bestimmbarkeit ist auch gegeben, wenn die Bestimmung der Leistung oder Befugnisse des anderen Vertragspartners diesem vorbehalten wird. Das folgt aus § 315 BGB. Darin heißt es: " Soll die Leistung durch einen der Vertragsschließenden bestimmt werden, so ist im Zweifel anzunehmen, dass die Bestimmung nach billigem Ermessen zu treffen ist."  Es handelt sich dabei um einen auch für das Arbeitsrecht geltenden Auslegungsmaßstab.

Die Bestimmung wird damit nicht in das freie Belieben oder freie Ermessen des z.B. Arbeitgebers gestellt. Würde sie sogar eine willkürliche Entscheidung zulassen, würde der Vertrag nach § 138 BGB nichtig sein. Die Bestimmung ist unverbindlich, wenn sie nicht der Billigkeit entspricht. Sie wird dann durch das Gericht getroffen. Damit wird einem Missbrauch der eingeräumten Gestaltungsmacht ein Riegel vorgeschoben. 

Für das Arbeitsrecht ist dieser Auslegungsgrundsatz von großer Bedeutung. Denn die lange Laufzeit dieses Vertragstyps erfordert die Möglichkeit seiner Anpassung an neue Entwicklungen. Diese vorhersehbar notwendige Anpassung soll ohne die Notwendigkeit des Ausspruches einer Änderungskündigung oder Vereinbarung dem Arbeitgeber zugebilligt werden. Jedoch müssen dabei Grenzen gesetzt werden. Dies ist in dem nach § 6 GewO anwendbaren § 106 GewO durch die Bindung der Anpassungsmöglichkeit an das billige Ermessen geschehen.  
Danach kann der Arbeitgeber auf der Grundlage seines Direktionsrechts Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen einseitig näher bestimmen. Das gilt natürlich nur, soweit eine vertragliche Regelung darüber fehlt. Diese hat nach dem Grundsatz der Vertragsfreiheit Vorrang. Deshalb heißt es in § 106 GewO einschränkend, " soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind". 
In betriebsratslosen Betrieben kann der Arbeitgeber auch per Weisungsrecht Regelungen zur Ordnung und dem Verhalten der Arbeitnehmer im Betrieb vorgeben. Diese müssen dann billigem Ermessen entsprechen. Ein willkürliches Kopftuchverbot würde diesem Maßstab nicht gerecht werden.  Es dürfte missachtet werden. 
Bei der Ausübung des Ermessens hat der Arbeitgeber auch auf Behinderungen des Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen (§ 106 GewO). Diese Rücksichtnahmepflicht kann auch aus § 241 Abs. 2 BGB abgeleitet werden. Sie gilt für viele Entscheidungen des Arbeitgebers. Dieser muss z.B. auch bei der Umsetzung eines Arbeitnehmers in eine andere Schicht auf deren Einfluss auf die Möglichkeit der Kinderbetreuung Rücksicht nehmen.  Geschieht dies nicht, ist die per Weisung mögliche Maßnahme unbillig und damit unbeachtlich.

Dasselbe gilt für sonstige einseitige Bestimmungsrechte wie die Erteilung von Sonderurlaub und der Gewährung von Ersatzfreizeit für außerhalb der Arbeitszeit erbrachte Betriebsratsarbeit nach § 37 Abs. 3 BetrVG. Auch ein Antrag auf Verlängerung einer Elternzeit muss unter Anwendung billigen Ermessens beschieden werden (BAG v. 18.10.2011-9 AZR 315/10 in NZA 2012,262).

Der Grundsatz des billigen Ermessens ist beispielsweise auch verletzt, wenn ein Arbeitnehmer durch eine Anordnung in einen vermeidbaren Gewissenskonflikt gerät, ohne sachlichen Grund ungleich behandelt wird oder schikanöse Anordnungen befolgen soll (BAG v. 20.12.1984 - 2 AZR 436/83).
Eine Leistungsbestimmung ist für den Arbeitnehmer nur verbindlich, wenn sie der Billigkeit entspricht (§ 315 Abs. 3 S. 1 BGB). Die Leistungsbestimmung eines Arbeitgebers entspricht dann billigem Ermessen, wenn die wesentlichen Umstände des Falles abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt worden sind. Bei der vorzunehmenden Abwägung ist die Interessenlage der Parteien im Zeitpunkt der Ausübung des Direktionsrechts zu berücksichtigen (BAG v. 23.9.2004 - 6 AZR 567/03).

Hält eine Leistungsbestimmung dem Maßstab billigen Ermessens nicht stand, braucht der Arbeitnehmer diese unbillige Anweisung des Arbeitgebers nicht zu befolgen. Dazu heißt es in der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 18.10.2017 - 10 AZR 330/16 in NZA 2017,1452 im Leitsatz 4:" Ein Arbeitnehmer ist nach § 106 Satz 1 GewO, § 315 BGB nicht - auch nicht vorläufig -an eine Weisung des Arbeitgebers gebunden, die die Grenzen billigen Ermessens nicht wahrt.  Sanktionen können von Seiten des Arbeitgebers an die Nichtbefolgung einer solchen unbilligen Weisung nicht geknüpft werden. 
Seine gegenteilige frühere Rechtsprechung hat das Bundesarbeitsgericht ausdrücklich aufgegeben (BAG v. 14.9.2017 - 5 AS 7/17 in NZA 2017,1452).

Für die Bestimmung der Höhe der für die Arbeit geschuldeten Vergütung kann dem Arbeitgeber eine Festsetzung nach billigem Ermessen vertraglich eingeräumt werden. Das gilt z.B. für den Widerruf der gemäß § 308 Nr. 4 BGB wirksam unter Widerrufsvorbehalt gewährten Privatnutzung eines Dienstwagens. Dieser Widerruf ist an die Beachtung billigen Ermessens gebunden. Der Ausspruch des vorbehaltenen Widerrufs anlässlich einer ordentlichen Kündigung mit sofortiger Wirkung entspricht nicht billigem Ermessen. Er ist daher unwirksam (BAG v. 21.3.2012 - 5 AZR651,10 in NZA 2012, 616 Rn. 21 ff).  

Der Widerruf einer unter Widerrufsvorbehalt gewährten Zulage kann nicht nach freiem Ermessen oder gar freiem Belieben erfolgen. Es bedarf dazu des Eintritts eines nach billigem Ermessen den Widerruf rechtfertigenden Anlasses. 
Die vorübergehende Übertragung einer höherwertigen Tätigkeit kann nicht beliebig zeitlich ausgedehnt oder eingeschränkt werden.

Von großer Bedeutung ist die vereinbarte Festsetzung von Zielvorgaben durch den Arbeitgeber. Die Vorgaben müssen unter Einhaltung der vereinbarten Arbeitszeit erreichbar sein.  Sie müssen unter Berücksichtigung des Ausmaßes der Anstrengung und des Zeitaufwandes sowie weiterer Aspekte wie deren Nutzen für den Arbeitgeber billigem Ermessen entsprechen.  Unterlässt der Arbeitgeber die geschuldete Vorgabe oder Vereinbarung von Zielen, bildet die für den Fall der Zielerreichung zugesagte variable Vergütung die Grundlage für die Schätzung ihrer Höhe. Es ist davon auszugehen,  dass der Arbeitnehmer die vorgegebenen oder zu vereinbarenden Ziele voll erreicht hätte (BAG v. 19.2.2025 - 10 AZR 57/24 in NZA 2025, 702).  
Ist nach den Regelungen einer Betriebsvereinbarung über eine zusätzliche variable Vergütung vom Arbeitgeber ein Bonuspool festzulegen, hat die Festsetzung nach billigem Ermessen gemäß § 315 BGB zu erfolgen, soweit die Betriebsvereinbarung nicht selbst Vorgaben enthält (BAG v. 12.10.2011 - 10 AZR 649/10 in NZA 2012, 464). 

Die Beweislast für die Billigkeit einer einseitig vom Arbeitgeber getroffenen Leistungsbestimmung trägt der Arbeitgeber. Erstrebt ein Arbeitnehmer eine Leistungsbestimmung durch Urteil nach § 315 Absatz 3 Satz 2 BGB, muss er in seinem Leistungsantrag zumindest allgemein die Größenordnung kennzeichnen, die er für angemessen hält (BAG v. 8.9.2021 - 10 AZR 11/19 in NZA 2022, 261).

Bezug zur Betriebsratsarbeit

Soweit der Betriebsrat Beteiligungsrechte wahrnimmt, hat auch er nach billigem Ermessen zu handeln. Insbesondere hat er ebenso wie der Arbeitgeber darüber zu wachen, dass alle im Betrieb tätigen Personen nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit behandelt werden (§ 75 Abs. 1 BetrVG).

Rechtsquellen

§ 315 BGB, § 106 GewO, § 75 Abs. 1 BetrVG

Seminare zum Thema:
Billiges Ermessen
Mitbestimmung beim Außendienst
Geheimhaltungspflicht, Haftung des Betriebsrats und Arbeitnehmerhaftung
Betriebsverfassungsrecht Teil I
Diese Lexikonbegriffe könnten Sie auch interessieren
Aktuelle Videos zum Thema
Das könnte Sie auch interessieren

Mitsprache im Job und gute Arbeitsbedingungen stärken die Demokratie

Betriebliche Mitbestimmung sorgt dafür, dass Beschäftigte in einem Betrieb unter besseren Bedingungen arbeiten. Eine aktuelle Studie des WSI (Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut) zeigt, dass Arbeitsbedingungen sogar europaweit signifikanten Einfluss auf die Einstellung zur D ...
Mehr erfahren

Zwingende Mitbestimmung des Betriebsrats bei sozialen Angelegenheiten

Als Ersatzmitglied springen Sie oft ganz kurzfristig für Ihre verhinderten Kollegen im Gremium ein. Und sind in den Betriebsratssitzungen dann gleich an wichtigen Diskussionen und Entscheidungen mit beteiligt. Ein ganz zentraler Bereich sind dabei die sozialen Angelegenheiten. Denn hier ha ...
Mehr erfahren
Können einzelne Betriebsratsmitglieder auch ohne Beschluss des Gremiums im eigenen Namen vom Arbeitgeber die Überlassung von Sachmitteln für die Betriebsratstätigkeit verlangen? Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen sagt: Ja, wenn sie „eigenverantwortlich“ handeln.