Für einen Fußballenthusiasten, ja einen Fußballromantiker wie mich sind das natürlich absolute Feiertage, die da auf uns warten. Viel mehr noch: Als würde Weihnachten und Ostern auf einen Tag fallen. Und so wünsche ich mir für die Europameisterschaft ein friedliches Fußballfest, Spitzenfußball und eine erfolgreiche deutsche Nationalmannschaft. Momentan befinde ich mich im intensiven Vorbereitungsmodus, informiere mich über alles Mögliche zur EM. Und stelle daher immer wieder mit einem Schmunzeln fest, wie sich Textschaffende an irgendwelchen Querverweisen versuchen, nur um die Europameisterschaft zum Thema zu machen. „Was das Paarungsverhalten von Meerschweinchen mit der EM zu tun hat …“ – oder so ähnlich.
Der Vergleich: Trainer vs. Betriebsratsvorsitzende
Das wollen wir doch auch mal probieren! Nur gut, dass hier im ifb ohnehin enorm viel Fußballsachverstand vorherrscht und wir unter anderem in den (Schreiber-)Reihen jemanden haben, der sich schon sein ganzes Leben mit dem runden Leder beschäftigt – unter anderem seit vielen Jahren als (ausgebildeter) Trainer. Und so möchten wir an dieser Stelle explizit nicht auf die Vorteile der „diametral abkippenden Sechs“ eingehen – das übrigens nur als Beweis, dass tatsächlich Fachwissen vorhanden ist. Sondern auf einen Vergleich, der keineswegs gekünstelt ist, für uns vielmehr auf der Hand liegt: der des Trainers mit dem Betriebsratsvorsitzenden.
Je mehr Mitglieder sich mit ihren Rollen identifizieren, desto erfolgsversprechender ist die Arbeit – auf dem Platz wie im Betriebsratsbüro.
Passenderweise hat Bundestrainer Julian Nagelsmann im Vorfeld der Europameisterschaft im Zuge der Kadernominierung immer wieder betont, wie wichtig es ist, dass jeder Spieler seine Rolle kennt. Etwas, das erfolgreiche Mannschaften ebenso wie erfolgreiche Betriebsratsgremien auszeichnet. Schließlich sollten Betriebsräte nach einer Findungsphase genau wissen, welche Aufgaben sie übernehmen. Es geht zwar nicht um die Frage, ob Stammkraft, Joker oder Ergänzungsspieler, aber eben darum, in welchen Ausschüssen man mitarbeitet oder ob man sich beispielsweise um die Öffentlichkeitsangelegenheiten kümmert. Je mehr Mitglieder sich mit ihren Rollen identifizieren, desto erfolgsversprechender ist die Arbeit – auf dem Platz wie im Betriebsratsbüro. Dabei müssen diese Rollen keineswegs in Stein gemeißelt sein, ganz im Gegenteil: Weiterentwicklungen sind immer förderlich. Eine gute Trainingseinheit, ein entscheidendes Tor oder mal das Bauchgefühl des Trainers können ausschlaggebend sein, dass sich Rollen ändern. Ähnlich ist es für Betriebsräte: Sind Sie nicht auch schon mal von einem Seminar mit einem etwas veränderten Blickwinkel in den Betrieb zurückgekehrt?
Sind Sie nicht auch schon mal von einem Seminar mit einem etwas veränderten Blickwinkel in den Betrieb zurückgekehrt?
Soll heißen: Ein guter Trainer lässt eine solche Entwicklung genauso wie ein guter Betriebsratsvorsitzender zu. Wichtig dabei ist allen voran die Kommunikation und das frühzeitige Erkennen, wo die Stärken und Schwächen jedes Einzelnen liegen, um sie entsprechend einzusetzen. Jamal Musiala ins Tor? Wäre irgendwie Blödsinn.
Längst Vergangenheit: Trainer-Patriarch und BRV-Alleinherrscher
Längst veraltet und überholt ist meines Erachtens ja das Bild des alleinherrschenden Trainers, der über allem schwebt, um im Stile eines Patriarchen die Mannschaft zu „führen“ – und da ist es völlig egal über welches sportliche Niveau wir an dieser Stelle sprechen. Kein Wunder also, dass die derzeit erfolgreichsten Trainer nahezu allesamt einen kooperativen Führungsstil pflegen. Julian Nagelsmann hat erst kürzlich angemerkt, dass er seinen gesamten Coaching-Staff (so ein schönes Wort für „Trainerstab“) in die Entscheidungsfindung miteinbezieht und er sich als absoluten Teamplayer versteht. Mitarbeiter sollen in ihren Verantwortungsbereichen eigenständig Entscheidungen treffen, dies emotionalisiert und schafft Identifikation. Genau das, und das setzt eben ein hohes Maß an Kommunikationsstärke voraus, sollten meiner Meinung nach Betriebsratsvorsitzende auch jederzeit tun. Wobei, und da wären wir bei einem gravierenden Unterschied zwischen beiden Positionen: In letzter Instanz entscheidet beim Fußball dann doch der Trainer, während sich der Betriebsratsvorsitzende vom Gremium einen Beschluss „abholt“. Damit hat dieser wiederum eine gewisse Legitimation und muss nicht „seinen Kopf hinhalten“, wie es bei Trainern im Profifußball so häufig ist. Angesichts von knapp 84 Millionen Bundestrainern, die es im Zweifel natürlich besser wissen, steht Julian Nagelsmann da keine einfache Aufgabe bevor.
Der Kampf mit den Nebenschauplätzen
Und da wären noch viele weitere Aspekte, die sich vergleichen ließen. Etwa die Sache mit den Nebenschauplätzen, schafft es Deutschland doch in einer beeindruckenden Regelmäßigkeit für Schlagzeilen zu sorgen, die eigentlich nichts mit dem Sport zu tun haben – damit zumindest nicht in das Kernkompetenzgebiet eines Trainers gehören. Stichwort: Gündoğan-Özil-Foto 2018, Kapitänsbindenstreit 2022, ARD-Doku-Umfrage 2024 …
Sicherlich geht es vielen Betriebsratsvorsitzenden da ähnlich, wenn sie sich um Dinge kümmern oder moderieren müssen, die erstmal nichts mit dem Amt zu tun haben. Oder warum sind die Papierhandtücher auf der Toilette schon wieder leer?
Ich glaube ja, wir alle können noch so manches von den Trainern und Betriebsratsvorsitzenden der Nation lernen.
Zunächst geht es erstmal darum, sich auf die Position des Trainers bzw. des Betriebsratsvorsitzenden einzulassen. Allein das bedarf bereits einer Menge Mut. Und dann gilt es, standhaft zu bleiben, gegen Widerstände anzukämpfen, seine Truppe bei Niederlagen aufzubauen, bei Siegen bescheiden zu bleiben und Respekt zu zeigen vor der Aufgabe, dem Gegenüber und allen Beteiligten. Ich glaube ja, wir alle können noch so manches von den Trainern und Betriebsratsvorsitzenden der Nation lernen. (tis)