Kein Betriebsrat mehr – was ist stattdessen?
Während man in Deutschland ganz selbstverständlich vom „Betriebsrat“ spricht, sucht man diesen Begriff in Luxemburg seit den Sozialwahlen 2019 vergeblich. Der traditionelle Betriebsrat – ob als comité d’entreprise oder comité mixte – wurde offiziell abgeschafft. Die gute Nachricht für alle Beschäftigten: Die Mitbestimmung lebt weiter – und zwar durch die Personaldelegation (délégation du personnel). Ab 15 Mitarbeitern ist sie Pflicht in jedem Privatunternehmen.
Parallel dazu sorgt die Chambre des salariés (CSL) auf nationaler Ebene für Gehör – als Interessenvertretung für alle Beschäftigten im Privatsektor, vom Azubi bis zum Rentner. Damit gehört Luxemburg zu den wenigen Ländern, in denen Arbeitnehmervertretung nicht nur im Betrieb, sondern auch auf überbetrieblicher Ebene gesetzlich verankert ist. Und das ist kein Nischenthema: Im Juni 2025 waren in Luxemburg rund 526.181 Personen beschäftigt – eine beachtliche Zahl für ein kleines Land, für die sich eine starke Stimme durchaus lohnt.
Die Personaldelegierten sind das Sprachrohr der Belegschaft im Betrieb.
Die Personaldelegation: Nah dran am Alltag
Die Personaldelegierten sind das Sprachrohr der Belegschaft im Betrieb. Sie wachen über Arbeitsbedingungen, Sicherheit, Gleichbehandlung. Ihre Kernaufgaben sind:
- Vertretung der Arbeitnehmer gegenüber der Geschäftsleitung
- Entgegennahme und Weitergabe individueller oder kollektiver Beschwerden
- Kontrolle der Einhaltung arbeitsrechtlicher Vorschriften
- Mitbestimmung bei sozialen Fragen, z. B. Arbeitszeiten, Urlaub, Gleichstellung.
Die Wahl der Personaldelegierten findet in Luxemburg alle fünf Jahre statt
Wie werden die Personaldelegierten gewählt?
Die Wahl der Personaldelegierten findet in Luxemburg alle fünf Jahre statt – zuletzt im März 2024 – also ein anderer Turnus als die Betriebsratswahlen bei uns. Sie ist in Luxemburg verpflichtend für alle Unternehmen im Privatsektor mit mindestens 15 Beschäftigten. Zuständig für die Organisation der Arbeitgeber selbst. Er muss also nicht nur die Wahl ankündigen, sondern auch die ganze Durchführung stemmen – inklusive Urnen, Wahlzetteln und Ergebnisauswertung. Wird die Wahl nicht ordnungsgemäß organisiert, drohen empfindliche Sanktionen.
Wer darf wählen?
Das aktive Wahlrecht haben alle Beschäftigten des Unternehmens, die…
- mindestens 16 Jahre alt sind,
- einen Arbeits- oder Ausbildungsvertrag haben,
- und seit mindestens 6 Monaten ununterbrochen im Unternehmen tätig sind.
Das gilt auch für Auszubildende – Hauptsache, sie stehen in einem gültigen Vertragsverhältnis.
Wer sich als Personaldelegierter zur Wahl stellen möchte, braucht etwas mehr Berufserfahrung im Betrieb.
Wer darf kandidieren?
Wer sich als Personaldelegierter zur Wahl stellen möchte, braucht etwas mehr Berufserfahrung im Betrieb. Das passive Wahlrecht haben Arbeitnehmer, die…
- mindestens 18 Jahre alt sind,
- im Jahr vor der Wahlmeldung mindestens 12 Monate ununterbrochen im Unternehmen beschäftigt waren,
- die luxemburgische Staatsbürgerschaft besitzen oder eine gültige Arbeitserlaubnis für Luxemburg haben.
Ausgeschlossen sind enge Angehörige des Arbeitgebers – etwa direkte Verwandte – und auch der Personalleiter darf sich nicht zur Wahl stellen. (Was durchaus Sinn ergibt.)
Die Wahl findet während der Arbeitszeit statt und erfolgt in der Regel als geheime Urnenwahl im Betrieb.
Wie wird gewählt?
Die Wahl findet während der Arbeitszeit statt und erfolgt in der Regel als geheime Urnenwahl im Betrieb. Für Beschäftigte, die am Wahltag z. B. krank oder im Urlaub sind, kann Briefwahl beantragt werden. Die Anzahl der zu wählenden Delegierten richtet sich nach der Unternehmensgröße. Das Wahlverfahren unterscheidet sich je nach Mitarbeiterzahl:
- In Betrieben mit 15 bis 100 Beschäftigten gilt das Majorzsystem (Mehrheitswahlrecht) – die Kandidaten mit den meisten Stimmen sind gewählt. Das ist im Grundprinzip vergleichbar mit dem vereinfachten Wahlverfahren der Betriebsratswahl.
- Ab 101 Beschäftigten kommt das Proporzsystem (Verhältniswahlrecht) zur Anwendung. Dabei können Kandidatenlisten von Gewerkschaften oder von mindestens 5 % der Belegschaft eingereicht werden. Auch das kennen wir ähnlich als normales Wahlverfahren der Betriebsratswahl.
Nach der Wahl beginnt das Mandat der neuen Personaldelegation mit einer gesetzlich festgelegten Frist und läuft für fünf Jahre. Während dieser Zeit genießen die Delegierten umfassenden Kündigungs- und Vertragsschutz – schließlich sollen sie ihre Aufgabe unabhängig und ohne Angst vor Repressalien ausüben können.
Die CSL-Wahlen unterscheiden sich grundlegend von den Wahlen zur Personaldelegation – sowohl in Organisation als auch im Umfang.
Wie wird die Chambre des salariés (CSL) gewählt?
Die CSL-Wahlen unterscheiden sich grundlegend von den Wahlen zur Personaldelegation – sowohl in Organisation als auch im Umfang. Während die Delegierten auf betrieblicher Ebene gewählt werden, erfolgt die CSL-Wahl auf nationaler Ebene.
Die CSL-Wahlen finden ebenfalls alle fünf Jahre statt, allerdings wird hier per Briefwahl abgestimmt. Die Wahltermine werden vom luxemburgischen Arbeitsministerium festgelegt, die Organisation übernimmt jedoch die CSL selbst.
Wer darf wählen?
Das Wahlrecht zur CSL haben:
- alle Arbeitnehmer, Auszubildenden, Rentner und Arbeitsuchenden
- die nicht im öffentlichen Dienst tätig sind
- und in Luxemburg im privaten Sektor beschäftigt oder zuletzt beschäftigt waren.
Damit ist der Wahlkreis deutlich breiter gefasst als bei den Personaldelegiertenwahlen – selbst Menschen, die aktuell nicht arbeiten, aber vormals im Privatsektor tätig waren, dürfen mitbestimmen.
Kandidaten für die CSL-Wahl werden in der Regel über Gewerkschaftslisten aufgestellt.
Wer stellt Kandidaten?
Kandidaten für die CSL-Wahl werden in der Regel über Gewerkschaftslisten aufgestellt. Die Wahl erfolgt nach Branchenzugehörigkeit, denn die CSL besteht aus 60 Sitzen, die auf neun Berufsgruppen verteilt werden – von der Stahlindustrie bis zum Gesundheitswesen. Die genaue Sitzverteilung richtet sich nach der Anzahl der Beschäftigten in den jeweiligen Gruppen.
Nach der Wahl werden die gewählten Vertreter Teil des Plenums der CSL. Dieses wählt wiederum den Vorstand und bildet verschiedene Ausschüsse zu sozial-, wirtschafts- und bildungspolitischen Themen. Auch hier gilt: Das Mandat läuft für fünf Jahre.
Wer zahlt die Wahl?
Die CSL finanziert sich größtenteils über Mitgliedsbeiträge, die automatisch vom Lohn abgezogen werden und je nach Einkommen zwischen 4 € und 31 € jährlich liegen. Der Staat übernimmt rund 50 % der Wahlkosten – ein Modell der geteilten Verantwortung zwischen Arbeitnehmern und Staat.
Auch wenn die Personaldelegation und die Chambre des salariés gesetzlich geregelt sind, spielen Gewerkschaften in Luxemburg nach wie vor eine zentrale Rolle
Und wo bleiben die Gewerkschaften?
Wer jetzt denkt, die luxemburgischen Arbeitnehmervertretungen kommen ganz ohne Gewerkschaften aus, liegt daneben. Denn auch wenn die Personaldelegation und die Chambre des salariés gesetzlich geregelt sind, spielen Gewerkschaften in Luxemburg nach wie vor eine zentrale Rolle – im Betrieb und auf nationaler Ebene.
Sie stellen in vielen Unternehmen Kandidatenlisten für die Personaldelegiertenwahl, unterstützen die gewählten Delegierten bei ihrer Arbeit und sind häufig die treibende Kraft hinter Tarifverhandlungen. In Luxemburg gibt es zahlreiche branchenspezifische Tarifverträge, und deren Inhalte werden maßgeblich von den Gewerkschaften verhandelt. Außerdem bringen sie sich über Listen auch in die CSL-Wahlen ein und prägen damit die Politik der Arbeitnehmerkammer mit.
Die größten Gewerkschaften wie OGBL (Onofhängege Gewerkschaftsbond Lëtzebuerg) und LCGB (Lëtzebuerger Chrëschtleche Gewerkschaftsbond) verfügen über viel Erfahrung, rechtliche Expertise – und nicht zuletzt über ein gutes Gespür für den politischen Wind. Braucht ein Arbeitnehmer Unterstützung bei einem arbeitsrechtlichen Konflikt oder will einfach wissen, was im Tarifvertrag wirklich steht, dann ist er bei ihnen an der richtigen Adresse.
Fazit: Zwei Kammern, ein Königreich?
Ob im Betrieb oder im ganzen Land – Luxemburgs System der Arbeitnehmervertretung ist komplex, aber durchdacht. Personaldelegierte sorgen für Mitbestimmung vor Ort und genießen dabei gesetzlich verankerten Schutz. Die CSL hingegen ist das große Sprachrohr für arbeitsmarktpolitische Themen und sorgt dafür, dass Gesetze nicht nur von oben herab gemacht werden, sondern auch mal von unten mitgedacht.
Klar, der klassische Betriebsrat fehlt – aber in Luxemburg haben die Arbeitnehmer zwei andere, starke Pfeiler im Rücken. Ganz nach dem Motto: Doppelt hält besser.(sw)