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Arbeitnehmervertretung in Polen

Von Solidarność bis Arbeitnehmerrat - so funktioniert Mitbestimmung bei unseren Nachbarn

Danzig, 1980. Auf den Werften rumort es – nicht nur wegen der Maschinen, sondern auch wegen der Stimmung. Tausende Arbeiter legen die Arbeit nieder. Mittendrin: ein Elektriker mit Schnurrbart und Vision – Lech Wałęsa. Was daraus entsteht, ist mehr als nur eine Gewerkschaft: Solidarność, die erste unabhängige Arbeitnehmervertretung im Ostblock. Doch wie sieht die Welt der Mitbestimmung in Polen heute aus? Werfen wir gemeinsam einen Blick auf das polnische Modell.

Stand:  5.8.2025
Lesezeit:  02:45 min
Mitbestimmung in Polen | © AdobeStock | lukszczepanski

Gibt es Betriebsräte in Polen?

Einen Betriebsrat nach deutschem Vorbild? Fehlanzeige! Und das bei aktuell etwa 17,2 Millionen Arbeitnehmern in Polen (Stand: 1. Quartal 2025). Stattdessen liegt die Vertretung der Arbeitnehmerinteressen traditionell in den Händen der Gewerkschaften. Die spielen eine zentrale Rolle – sowohl auf betrieblicher Ebene als auch im nationalen Tarifsystem. Und die Gründung geht vergleichsweise schnell: Bereits ab zehn Beschäftigten kann eine betriebliche Gewerkschaftsorganisation ins Leben gerufen werden. Zum Vergleich mit Deutschland: Laut § 1 des BetrVG kann ein Betriebsrat gegründet werden,  wenn im Betrieb normalerweise mindestens fünf wahlberechtigte Arbeitnehmer arbeiten, von denen drei auch gewählt werden können.

Die bekannteste Gewerkschaft ist zweifellos NSZZ „Solidarność“, die in den 1980er-Jahren eine politische Bewegung auslöste. Doch daneben gibt es weitere Dachverbände, etwa das Allpolnische Gewerkschaftsbündnis OPZZ sowie das Forum der Gewerkschaften (Forum ZZ). Insgesamt gibt es in Polen rund 100 registrierte Gewerkschaftsorganisationen – darunter viele branchenspezifische oder regional aktive Gruppen. Insgesamt gibt es auf betrieblicher Ebene sogar etwa 25.000 einzelne Betriebsgewerkschaften, aber die Dachverbände bündeln viele davon. Eine sehr bunte Mitbestimmungslandschaft!

Trotz dieser Vielfalt ist der gewerkschaftliche Organisationsgrad in Polen eher niedrig: Nur etwa zehn bis zwölf Prozent der Beschäftigten sind Mitglied einer Gewerkschaft. In der Privatwirtschaft ist der Anteil noch geringer. Das liegt unter anderem daran, dass gewerkschaftliches Engagement in manchen Betrieben als unbequem gilt – und gesetzlicher Kündigungsschutz für Gewerkschaftsmitglieder zwar existiert, aber in der Praxis nicht immer konsequent durchgesetzt wird.
Doch nicht jeder Betrieb hat eine aktive Gewerkschaft – besonders in kleineren oder privaten Unternehmen ist das eher die Ausnahme. Und was passiert dann? Kommt trotzdem jemand zu Wort, wenn der Arbeitgeber Veränderungen plant?

Ein Arbeitnehmerrat kann in Unternehmen mit mindestens 50 Beschäftigten auf Initiative der Belegschaft gewählt werden

Arbeitnehmerräte – Mitsprache auf Sparflamme

In genau solchen Fällen kommt der sogenannte Arbeitnehmerrat (Rada Pracowników) ins Spiel. Dieses Gremium kann in Unternehmen mit mindestens 50 Beschäftigten auf Initiative der Belegschaft gewählt werden – vor allem dann, wenn keine Gewerkschaft vorhanden ist. Seine Mitglieder werden direkt von allen Arbeitnehmern gewählt.

Was deutsche Betriebsräte kennen – echte Mitbestimmung z.B. bei Einstellungen, Kündigungen oder Arbeitszeitregelungen – sucht man in Polen meist vergeblich.

Mitbestimmung in Polen: Viel Information, wenig Einfluss

Was deutsche Betriebsräte kennen – echte Mitbestimmung z.B. bei Einstellungen, Kündigungen oder Arbeitszeitregelungen – sucht man in Polen meist vergeblich. Die Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmervertretungen sind im europäischen Vergleich eher zurückhaltend ausgeprägt.
Das bedeutet: Gewerkschaften und Arbeitnehmerräte haben in der Regel keine Entscheidungsbefugnis, sondern in erster Linie Informations- und Anhörungsrechte. Der Arbeitgeber muss also mitteilen, was er vorhat, aber nicht zwingend fragen, ob es den Beschäftigten passt.

Gewerkschaften haben gesetzlich geregelte Rechte, zum Beispiel:

  • Informationsrechte über die wirtschaftliche Lage des Unternehmens,
  • Mitsprache bei Fragen der Arbeitszeit, Entlohnung und Urlaubsregelung,
  • das Recht zur Aushandlung von Tarifverträgen,
  • und – zumindest theoretisch – das Mittel des Arbeitskampfes.

Allerdings hängt der tatsächliche Einfluss stark davon ab, wie stark die Gewerkschaft im Unternehmen vertreten ist – und wie kooperativ der Arbeitgeber agiert.
Arbeitnehmerräte hingegen dürfen sich zu wirtschaftlichen Themen äußern – etwa bei geplanten Umstrukturierungen oder Betriebsänderungen –, haben aber keine direkte Handhabe, Entscheidungen zu beeinflussen. Ein „Danke für Ihre Meinung, wir machen’s trotzdem“-Modell, wenn man so will. Naja, aber auch deutschen Betriebsräten kommt dieses beliebte Modell der Arbeitgeberseite trotzt Mitbestimmungsgesetzen sicher bekannt vor. 
In Polen gibt oder besser gab es Ausnahmen bei einzelnen ehemaligen staatlichen Unternehmen oder solchen mit besonderer gesetzlicher Regelung. Dort kann es vorkommen, dass Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat des Unternehmens sitzen – ähnlich wie bei der Mitbestimmung in deutschen Kapitalgesellschaften. Diese Fälle sind jedoch selten und historisch bedingt.

Ein Blick auf die formalen Hürden zeigt: In Polen ist der Weg zur Arbeitnehmervertretung unkompliziert.

Einfache Gründung – mit Antrag statt Antragsmarathon

Ein Blick auf die formalen Hürden zeigt: In Polen ist der Weg zur Arbeitnehmervertretung unkompliziert. Egal ob Gewerkschaft oder Arbeitnehmerrat – die rechtlichen Voraussetzungen für die Gründung sind niedrig.
Für einen Arbeitnehmerrat genügt es zum Beispiel, wenn eine bestimmte Anzahl der Beschäftigten – meist rund zehn Prozent – die Wahl offiziell beantragt. Der Arbeitgeber ist dann verpflichtet, das Verfahren in Gang zu setzen. Auch bei der Gründung einer betrieblichen Gewerkschaftsorganisation reichen – wie erwähnt – bereits zehn Beschäftigte aus.

Zum Vergleich: In Deutschland fühlt sich die Einleitung einer Betriebsratswahl inklusive Gesetzeslektüre, Wahlordnung, Aushangpflichten und Formalien über Formalien  deutlich komplizierter an. In Polen hingegen reicht oft ein formloser Antrag.

Fazit: andere Länder, andere Mitbestimmung

Was einst mit den Streiks auf den Werften von Danzig begann, ist heute ein eher leiseres Kapitel der Mitbestimmung. In Polen läuft vieles anders – und mit deutlich weniger Einfluss als bei uns in Deutschland. Statt eines Betriebsrats nach deutschem Muster setzen die Polen vor allem auf Gewerkschaften oder, wenn nötig, auf den Arbeitnehmerrat. Doch am Ende gilt: Mitbestimmung hat eben viele Gesichter.

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