Da sitzt du vorm Arzt, weil du dich mies fühlst, und was macht der Arzt? Untersucht dich, nimmt dir Blut ab, aber sagt kaum was. Wehrt deine Fragen ab, vertröstet dich auf nächste Woche. Und schickt dich mit irgendeinem Rezept nach Hause. Und du denkst: Was hab' ich bloß? Warum sagt der nichts? Ist es womöglich ernst? Wenn's nicht ernst wäre, würde er mich doch beruhigen.
Jeder hat das so oder so ähnlich schon erlebt, und fast jeder geht zu so einem Arzt nicht ein zweites Mal. Wir wollen schließlich mündige Patienten sein. Es geht doch um uns!
Verschwiegene Ärzte glauben sogar, sie handelten vernünftig. „Ich will den Patienten nicht unnötig beunruhigen!", sagen sie – und beunruhigen uns damit erst recht. „Ich will beim Patienten keine falschen Erwartungen wecken!" Prima, Ungewissheit finden wir ja bekanntlich besser als Aufklärung. „Die Sache ist kompliziert und schwer zu verstehen." Na dann erklär's uns doch so, dass wir's verstehen! „Nein", sagen diese Ärzte, „ich warte lieber ab, bis ich eindeutige Ergebnisse habe." Bis dahin dürfen wir uns verrückt machen, weil wir uns – natürlich – das Schlimmste ausmalen.
Und regen uns mächtig auf: über den Arzt!
Verständlich: Da ist einer für uns zuständig, soll sich um uns kümmern, unsere Interessen vertreten – und lässt uns im Unklaren über unseren Zustand, unsere Situation, unsere Zukunft. Zum Glück gibt es solche Ärzte nur noch selten. Und auch wir würden das natürlich ganz anders machen, wenn wir Arzt wären. Oder Anwalt. Oder Politiker. Oder Betriebsrat. Stimmt's?
Denn wir wissen doch: Man kann nicht nicht kommunizieren. Oder einfacher gesagt: Schweigen ist auch Kommunikation, eine besonders starke sogar. Wer nichts sagt, hat etwas zu verbergen. Das muss zwar nicht stimmen, aber so empfinden wir es.
Apropos Betriebsrat. Man stelle sich bloß mal folgende irrwitzige Situation vor: Ein Unternehmen strukturiert sich neu. Alle 1.000 Mitarbeiter wissen das. Mehr aber wissen sie nicht. Also verbreiten sich Gerüchte: Neue Schichtzeiten würden kommen, neue Produktionsabläufe, Zuständigkeiten würden neu verteilt, zwei Standorte würden zusammengelegt, Stellen würden gestrichen, Personal würde abgebaut. Leute würden ihren Job verlieren.
Niemand weiß eben Genaues – außer vermutlich der Betriebsrat. Schließlich verhandelt der seit Wochen mit der Geschäftsführung. Aber er berichtet nichts! Die Unruhe unter den 1.000 Mitabeitern nimmt zu, Angst greift um sich.
„Sagt uns was", fordern die Kolleginnen und Kollegen ihren Betriebsrat auf.
Und der sagt: „Wir wollen euch nicht unnötig beunruhigen!" „Wir wollen bei euch keine zu hohen Erwartungen wecken." „Die Sache ist kompliziert und schwer zu verstehen."
„Aber wir wollen endlich wissen, was mit uns passiert?", haken die Kolleginnen und Kollegen nach.
Und der BR antwortet: „Das sagen wir euch, wenn eindeutige Ergebnisse feststehen?"
Was würde man von solch einem Betriebsrat wohl halten?
Obwohl: Es soll ja tatsächlich Betriebsräte geben, die ein Image-Problem haben, die als zu wenig informativ gelten, als intransparent, als vertrauensunwürdig gar – obwohl sie im Verborgenen womöglich einen tollen Job machen. So wie ein maulfauler Arzt ein hervorragender Mediziner sein kann. Aber wie heißt es so schön: Tue Gutes und rede darüber. Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch: Wer nicht redet, tut nichts Gutes! In diesem Fall gilt eben: Reden ist Gold, Schweigen ist Blech.