Aktuelle Gesetzeslage und Kommentierung
Bereits seit 2021 sind Sitzungen des Betriebsrats hybrid oder online möglich, solange die Geschäftsordnung entsprechende Regelungen vorsieht und Präsenzsitzungen weiter Vorrang haben (hier gibt’s es mehr zum Thema). Hintergrund ist das Betriebsrätemodernisierungsgesetz, in dem folgender Passus enthalten ist, der vermuten lässt, dass diese Regelung auch für den Wirtschaftsausschuss Anwendung finden soll: „Sie gelten entsprechend (…) für Sitzungen und Zusammenkünfte des Wirtschaftsausschusses nach § 108 Absatz 1, 4 und 5 BetrVG.“ Auch in der Kommentierung von Fitting zu § 108 BetrVG ist ein entsprechender Vermerk vorhanden (Rn 11a zu § 108 BetrVG, 31. Auflage).
Fragen, die sich jetzt stellen
Was heißt das jetzt in der Praxis? Wurde die Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes für den Wirtschaftsausschuss schlichtweg vergessen, obwohl es doch im Betriebsrätemodernisierungsgesetz offensichtlich vorgesehen war? Oder wurde diese Regelung für den Wirtschaftsausschuss absichtlich nicht aufgenommen, weil es aufgrund der deutschlandweiten Verteilung oft nicht möglich ist, Präsenzsitzungen den Vorrang zu geben? Und: Braucht jetzt jeder Wirtschaftsausschuss eine Geschäftsordnung?
Der „Erst-recht-Schluss“: Was für den Betriebsrat gilt, gilt „erst recht“ für seine Ausschüsse?
In der Gesetzesbegründung für das Betriebsrätemodernisierungsgesetz sind einige Argumente aufgeführt, die für den Vorrang von Betriebsratssitzungen in Präsenz sprechen: Körpersprache, Gestik und Mimik können besser wahrgenommen werden, wenn alle Betriebsratsmitglieder in einem Raum sind. Auch ein vertraulicher Austausch zwischen Einzelpersonen ist nur möglich, wenn man in Präsenz zusammentritt. Die Meinungsbildung wird erleichtert, wenn alle an einem Tisch sitzen. Argumente, die, wenn sie für den Betriebsrat gelten, „erst recht“ auch für alle seine Ausschüsse und deren Arbeit gelten sollen und besonders für den Wirtschaftsausschuss, der ja auch noch eine Beratungsleistung gegenüber dem Unternehmer erbringen soll, wichtig sind.
Der Wirtschaftsausschuss: Ein „klassischer“ Ausschuss des Betriebsrats?
Gegen diese Argumentation spricht, dass der Wirtschaftsausschuss nicht als klassischer Ausschuss des Betriebsrats nach § 28 BetrVG gesehen werden kann und deshalb nach seinen eigenen Regeln nach § 106 ff. BetrVG spielt. Und diese sprechen gegen die Anwendung einer erschwerenden Regel, in der Präsenzsitzungen Vorrang haben.
Die Bildung des Wirtschaftsausschusses nach § 106 BetrVG ist keine Möglichkeit des Betriebsrats, um die Arbeit im Gremium effektiver zu organisieren, sondern eine Pflicht bei in der Regel mehr als 100 ständig beschäftigten Arbeitnehmern. Um die oft komplexen wirtschaftlichen Themen im Unternehmen mit der Geschäftsleitung diskutieren zu können, müssen dem Wirtschaftsausschuss nicht nur ordentliche Betriebsratsmitglieder angehören. Alle Mitarbeiter des Unternehmens, die die persönliche und fachliche Eignung besitzen, können vom Betriebsrat zu Mitgliedern im Wirtschaftsausschuss bestimmt werden.
Durch den Vorrang von Präsenzsitzungen würden beide Angelegenheiten unnötig erschwert werden. Die Pflicht zur Bildung und die Suche nach geeigneten Mitgliedern sollte vielmehr durch die Möglichkeit, sich auch online auszutauschen, gefördert werden.
Dem Wirtschaftsausschuss können außerdem keine Aufgaben zur eigenständigen, abschließenden Bearbeitung übertragen werden. Das Wesen des Ausschusses ist durch das Betriebsverfassungsgesetz geregelt und umfasst die Beratung wirtschaftlicher Angelegenheiten mit dem Unternehmer und die Information des Betriebsrats darüber. Eine bindende Willensbildung oder Beschlussfassung im betriebsverfassungsrechtlichen Sinne findet im Wirtschaftsausschuss nicht statt. Daher ist auch die Anwendung der strengen Regelungen für Sitzungen nicht notwendig.
Die Praxis: So, wie es dem Gremium passt – unter Beachtung der Geheimhaltung
Wie mit diesen unterschiedlichen Ansichten jetzt in der Praxis umgehen? Eigentlich ganz einfach: Jedes Gremium kann so arbeiten, wie es ihm organisatorisch am besten passt. Legt ein Wirtschaftsausschuss Wert auf persönliche Treffen und sieht darin erhebliche Vorteile für seine Zusammenarbeit, dass sprechen die Begründungen im Betriebsrätemodernisierungsgesetzt durchaus dafür. Ist aufgrund der deutschlandweiten Verteilung eines Gremiums oder aufgrund der besseren Erreichbarkeit der Geschäftsleitung die Online-Sitzung praktikabler, dann können dafür ebenso Gründe gefunden werden.
Wichtig sind in jedem Fall zwei Dinge: Das Gremium muss mit der getroffenen Regelung einverstanden sein. Hier empfiehlt es sich, die Absprachen zu den Sitzungen im Wirtschaftsausschuss zu Beginn der Amtszeit abzustimmen und dann ggf. auch in einer Geschäftsordnung festzuhalten. Außerdem ist auch bei Online-Sitzungen die Verpflichtung zur Geheimhaltung zu berücksichtigen. Sprechen Sie also mit dem Unternehmer ab, auf welchem Wege Unterlagen zu wirtschaftlichen Angelegenheiten in diesem Fall zur Verfügung gestellt werden können. Und klären Sie auch im Gremium, welche Regeln bei Online-Sitzungen gelten sollen. Hier wäre es z. B. möglich zu vereinbaren, dass kein virtueller Hintergrund genutzt werden darf, sondern jederzeit zu sehen ist, was im Hintergrund der einzelnen Sitzungsteilnehmer passiert.
Besonderheit: Der Ausschuss für wirtschaftliche Angelegenheiten
Das Betriebsverfassungsgesetz sieht vor, dass bei Betriebsräten, die einen Betriebsausschuss bilden können, die Aufgaben des Wirtschaftsausschusses auch auf einen Ausschuss des Betriebsrats übertragen werden können. Typischerweise ist das ein „Ausschuss für wirtschaftliche Angelegenheiten“, der nach § 28 BetrVG gebildet wird, aber auch Nicht-Betriebsräte als Mitglieder haben kann. In dieser „Mischform“ empfiehlt es sich rein aufgrund der Bildung nach § 28 BetrVG, auch die Regelungen zu Online-Sitzungen, die für den Betriebsrat gelten, anzuwenden.