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Wahl der Hauptschwerbehindertenvertretung / SBV-Stufenvertretungen: Anwendbarkeit des vereinfachten Wahlverfahrens

Bei der Wahl der Hauptschwerbehindertenvertretung kann eine Wahl nicht im vereinfachten Verfahren durchgeführt werden, soweit hier der Zuständigkeitsbereich der Oberbehörde für ihre untergeordneten Behörden aus räumlich weit auseinander liegenden Teilen besteht.

Da das SGB IX als gesetzliche Regelung selbst abschließend regelt, wann das vereinfachte Wahlverfahren anzuwenden ist, muss § 22 Abs. 3 SchwbVWO gesetzeskonform ausgelegt werden.

Bundesarbeitsgericht vom 23.07.2014 –  7 ABR 61/12

Stand:  23.7.2014
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Das ist passiert:

Im Februar 2011 wurden beim Bundesministerium der Verteidigung eine Hauptvertrauensperson der schwerbehinderten Menschen sowie ihre sieben Stellvertreter gewählt. Zum Zeitpunkt der Wahlen waren bei dem Bundesministerium eine Schwerbehindertenvertretung und in deren Geschäftsbereich auf der Ebene der Mittelbehörden in insgesamt 16 Kommandos und Ämtern Bezirksschwerbehindertenvertretungen gewählt. Die Mittelbehörden sind bundesweit verteilt.

Die bisher amtierende Hauptschwerbehindertenvertretung lud sämtliche Bezirksvertretungen sowie die örtliche Vertrauensperson des Bundesministeriums der Verteidigung zu einer Jahresversammlung ein. In der Einladung waren gleichzeitig die Wahlen der Hauptvertrauensperson der Schwerbehinderten und ihrer Stellvertreter im vereinfachten Verfahren angekündigt.

Die Wahl der Hauptvertrauensperson und die Wahl ihrer Stellvertreter wurde gerichtlich angefochten mit der Begründung, die Wahlen seien im vereinfachten Wahlverfahren rechtlich nicht möglich gewesen.

Das sagt das Gericht:

Sowohl vor dem Arbeitsgericht als auch dem Landesarbeitsgericht hatte die Anfechtung keinen Erfolg. Anders entschied überraschend das Bundesarbeitsgericht und erklärte die Wahl der Hauptvertrauensperson der schwerbehinderten Menschen und die Wahl ihrer sieben Stellvertreter für unwirksam.

Denn nach Meinung der BAG-Richter schied im vorliegenden Fall eine Durchführung der Wahl im vereinfachten Wahlverfahren aus, weil angesichts des bundesweiten Zuständigkeitsbereichs des Bundesministeriums für Verteidigung das Erfordernis der räumlichen Nähe gemäß § 97 Abs. 7 i.V.m. § 94 Abs. 6 Satz 3 SGB IX nicht erfüllt war.

Zum Anfechtungsgrund: Falsches Wahlverfahren

Die Anfechtung war begründet. Gemäß § 97 Abs. 7 i.V.m. § 94 Abs. 6 Satz 3 SGB IX hätte die Wahl im förmlichen Wahlverfahren stattfinden müssen, weil angesichts des bundesweiten Zuständigkeitsbereichs des Bundesministeriums für Verteidigung das Erfordernis der räumlichen Nähe nicht erfüllt war.
Indem im vereinfachten Verfahren gewählt wurde, wurde gegen wesentliche Vorschriften des Wahlverfahrens verstoßen, ohne dass eine Berichtigung erfolgt wäre. Dadurch konnte das Wahlergebnis auch beeinflusst werden.

Nach § 94 Abs. 6 Satz 3 SGB IX werden die örtlichen Wahlen der Schwerbehindertenvertretung in Betrieben und Dienststellen mit weniger als 50 wahlberechtigten schwerbehinderten Menschen im vereinfachten Wahlverfahren durchgeführt, sofern der Betrieb oder die Dienststelle nicht aus räumlich weit auseinanderliegenden Teilen besteht. Eine Wahl im vereinfachten Verfahren findet danach immer und nur dann statt, wenn diese Voraussetzungen vorliegen.

Gemäß § 97 Abs. 7 SGB IX gilt für Wahlen der Hauptschwerbehindertenvertretung § 94 Abs. 6 Satz 3 SGB IX „entsprechend". Das heißt, er ist nicht in strikter und ausschließlicher Befolgung seines Wortlauts anzuwenden, sondern unter Berücksichtigung des verfolgten Zwecks der Reglung. Konkret bedeutet das:

So muss § 94 Abs. 6 Satz 3 SGB IX hier laut Bundesarbeitsgericht so gelesen werden, dass bei der Wahl der Hauptschwerbehindertenvertretung nicht auf die einzelne Dienststelle abzustellen ist, sondern auf den Zuständigkeitsbereich der Oberbehörde, auf deren Ebene die Hauptschwerbehindertenvertretung gewählt wird, für ihre untergeordneten Behörden.

Außerdem sind bei dem in § 94 Abs. 6 Satz 3 SGB IX genannten Schwellenwert von 50 Wahlberechtigten nicht die bei örtlichen SBV-Wahlen wahlberechtigten schwerbehinderten Menschen zu berücksichtigen, sondern die bei der Wahl der Hauptschwerbehindertenvertretung wahlberechtigten Bezirksschwerbehindertenvertretungen und Schwerbehindertenvertretungen der Oberbehörde (vgl. § 97 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 SGB IX).

Zudem vertritt das Bundesarbeitsgericht die Auffassung, dasstrotz der bei der Wahl von SBV-Stufenvertretung nur „entsprechenden" Anwendung des § 94 Abs. 6 Satz 3 SGB IX das Erfordernis der „räumlichen weit auseinander liegenden Teile" für das richtige Wahlverfahren zu berücksichtigen sei.Das heißt, laut Bundesarbeitsgericht kann bei der Wahl der Hauptschwerbehindertenvertretung eine vereinfachte Wahl nicht durchgeführt werden, soweit hier der Zuständigkeitsbereich der Oberbehörde für ihre untergeordneten Behörden aus räumlich weit auseinander liegenden Teilen besteht.

Zur Begründung führt das Bundesarbeitsgericht an, dass der bei den örtlichen SBV-Wahlen verfolgte gesetzliche Zweck der „räumlichen Nähe" genauso auch für die Wahlen der Hauptschwerbehindertenvertretungen gilt.

Bei den örtlichen SBV-Wahlen in Betrieben und Dienststellen liegt der Zweck in  dem Erfordernis der räumlichen Nähe darin, das vereinfachte Wahlverfahren nur dann vorzusehen, wenn die Wahlberechtigten die gleichen Kenntnisse über die Wahlbewerber erlangen können, wie diese im förmlichen Wahlverfahren vermittelt werden. Die Möglichkeit für die Wahlberechtigten, sich über die Wahlbewerber zu informieren und sich ein Bild von diesen zu machen hat vor allem deshalb Bedeutung, weil nicht nur die Wähler gewählt werden können, sondern (auf örtlicher Ebene) grundsätzlich alle im Betrieb/in der Dienststelle Beschäftigten.  Diese Informationsmöglichkeit besteht aber typischerweise nur, wenn die Kandidaten entweder rechtzeitig vor der Wahl bekannt gemacht werden oder den Wahlberechtigten ohnehin bekannt sind. Im förmlichen Verfahren gibt es die Informationsmöglichkeit durch die gesetzlich vorgeschriebene Bekanntmachung der Kandidaten eine Woche vor der Stimmabgabe. Im vereinfachten Verfahren werden jedoch die Kandidaten erst in der Wahlversammlung benannt und unmittelbar darauf wird gewählt. Daher haben hier die Wahlberechtigten nicht die Möglichkeit, sich über Kandidaten zu informieren, die erst in der Wahlversammlung vorgeschlagen werden. Deshalb wird durch das  Erfordernis der räumlichen Nähe der Betriebs- oder Dienststellenteile für die Anwendbarkeit des vereinfachten Verfahrens bei den örtlichen SBV-Wahlen dafür gesorgt, dass die Wahlberechtigten die vorgeschlagenen Kandidaten typischerweise bereits kennen (können). Ohne diese räumliche Nähe ist das nicht der Fall.
Das gilt gleichermaßen für die Wahl der Hauptschwerbehindertenvertretung (§ 22 SchwbVWO). Auch hier müssen die Wahlberechtigten eine realistische Möglichkeit haben, sich über die Wahlbewerber zu informieren. Eine Wahl ohne vorherige Bekanntgabe der Wahlbewerber erscheint daher auch nur dann gerechtfertigt, wenn das Erfordernis der räumlichen Nähe erfüllt ist.

Danach schied im vorliegenden Fall eine Durchführung der Wahl im vereinfachten Wahlverfahren aus. Angesichts des bundesweiten Zuständigkeitsbereichs des Bundesministeriums für Verteidigung ist von räumlich weit auseinanderliegenden Teilen dieses Zuständigkeitsbereichs auszugehen.

Weiterhin führt das Bundesarbeitsgericht zur Begründung seiner Entscheidung an, dass das vereinfachte Wahlverfahren auch nicht nach § 22 Abs. 3 SchwbVWO möglich war.

Nach § 22 Abs. 3 Satz 1 SchwbVWO kann dann, wenn rechtzeitig vor Ablauf der Amtszeit der Hauptschwerbehindertenvertretung eine Versammlung der Bezirksvertrauenspersonen stattfindet, die Wahl im Rahmen dieser Versammlung durchgeführt werden. § 22 Abs. 3 Satz 2 SchwbVWO ordnet die entsprechende Anwendung von § 20 SchwbVWO an, welcher die Durchführung der Wahl im vereinfachten Verfahren regelt.

Aus Sicht des Bundesarbeitsgerichts  ist § 22 Abs. 3 SchwbVWO aber nicht zu entnehmen, wann das vereinfachte Wahlverfahren anzuwenden ist. Denn erstens kann nicht davon ausgegangen werden, dass SchwbVWO vom SGB IX abweichende Regelungen enthält. Denn als „bloße" Rechtsverordnung ist die SchwbVWO grundsätzlich eine gegenüber dem SGB IX als Gesetz niederrangige Rechtsnorm. Zweitens regelt das SGB IX bereits abschließend, wann das vereinfachte Wahlverfahren anzuwenden ist. Insofern muss § 22 Abs. 3 SchwbVWO gesetzeskonform ausgelegt werden. Das bedeutet: Satz 1 dieser Bestimmung stellt lediglich klar, dass die Wahl der Hauptschwerbehindertenvertretung auch im Rahmen der Versammlung der Bezirksschwerbehindertenvertretungen stattfinden kann. Die Bestimmung in Satz 2 regelt durch ihre Verweisung auf § 20 SchwbVWO nur, wie beim vereinfachten Wahlverfahren - sei es im Rahmen einer derartigen Versammlung oder sonst - vorzugehen ist.

 

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