Wann besteht Kündigungsschutz für Ersatzmitglieder?
Für Ersatzmitglieder gelten während der Zeit der Stellvertretung alle Schutzrechte eines Betriebsratsmitglieds – so auch der Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 1 KSchG (Kündigungsschutzgesetz). Hier werden Ersatzmitglieder zwar nicht ausdrücklich erwähnt, der besondere Kündigungsschutz erstreckt sich aber trotzdem auf zeitweilig nachgerückte Ersatzmitglieder. Wichtig: Dieser Kündigungsschutz ist vor, während und nach der Zeit der Stellvertretung unterschiedlich stark ausgeprägt. Daher schauen wir uns die verschiedenen Szenarien im Folgenden genauer an.
Szenario 1: Das Ersatzmitglied war noch nicht im Einsatz
Vor dem ersten Einsatz im Betriebsrat als Ersatz für ein ausgeschiedenes oder verhindertes BR-Mitglied genießt ein Ersatzmitglied zumindest immer den nachwirkenden Kündigungsschutz eines Wahlbewerbers gemäß § 15 Abs. 3 KSchG, der bis sechs Monate nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses reicht. Außerdem greift das Benachteiligungsverbot nach § 78 S. 2 BetrVG.
Ein Beispiel: Ein Arbeitgeber darf einem Ersatzmitglied im Betriebsrat nicht kündigen, um zu verhindern, dass dieses als Nachrücker in den Betriebsrat eintritt. Diese Kündigung wäre nach § 78 S. 2 BetrVG in Verbindung mit § 134 BGB nichtig. Der besondere Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 1 KSchG, § 103 BetrVG greift zu diesem Zeitpunkt aber grundsätzlich nicht. Denn erst mit Nachrücken, also wenn ein Betriebsratsmitglied dauerhaft oder vorübergehend verhindert ist, ist das Ersatzmitglied vollwertiges Betriebsratsmitglied mit allen Rechten und Pflichten.
Aber kann das Ersatzmitglied nicht auch schon vor dem Moment des Nachrückens schutzwürdig sein?
Rechtsprechung: Genau diesem Gedanken griffen die Richter des Bundesarbeitsgerichts auf (BAG vom 17.01.1979 – 5 AZR 891/77). Sie beschlossen, dass auch wenn der Verhinderungsgrund noch nicht vorliegt, das Ersatzmitglied sich aber schon mit Betriebsratsaufgaben befasst, Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 3 KSchG, § 103 BetrVG bestehen kann. So etwa, wenn es sich auf eine Betriebsratssitzung vorbereitet, an der es aufgrund einer schon absehbaren Verhinderung teilnehmen wird (z.B., weil ein BR-Mitglied bei der nächsten Sitzung sicher im Urlaub sein wird). Dies darf jedoch nicht ausgenutzt werden. Durch eine sehr frühzeitige Ladung zu einer Sitzung könnte so der Kündigungsschutz missbräuchlich herbeigeführt werden. Daher begrenzten die Richter den Schutz auf maximal drei Tage vor der Sitzung.
Szenario 2: Das Ersatzmitglied ist aktuell im Einsatz
Wenn ein festes Mitglied des Betriebsrats verhindert ist und ein Ersatzmitglied nachrückt, steht ihm oder ihr während der Zeit des Nachrückens in den Betriebsrat der volle Kündigungsschutz des § 15 Abs. 1 KSchG, § 103 BetrVG zu (Bundesarbeitsgericht vom 27.09.12 – 2 AZR 955/11). Das ist nur konsequent, denn gem. § 25 BetrVG rückt das Ersatzmitglied kraft Gesetzes in das Betriebsratsamt nach, sobald ein Mitglied dauerhaft aus dem Betriebsrat ausscheidet oder vorübergehend verhindert ist. Die Richter des Bundesarbeitsgerichts gehen hier sehr weit: Das gilt sogar unabhängig davon, ob der Nachrücker schon Betriebsratsaufgaben erfüllt hat (Bundesarbeitsgericht vom 08.09.11 – 2 AZR 388/10).
Szenario 3: Das Ersatzmitglied ist nicht mehr im Einsatz
Scheidet ein Ersatzmitglied nach Beendigung des Vertretungsfalles wieder aus dem Betriebsrat aus, greift der nachwirkende Kündigungsschutz gem. § 15 Abs. 1 S. 2 KSchG. Auch dies erschließt sich nicht aus dem Gesetzeswortlaut, sondern beruht auf der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Bundesarbeitsgericht vom 27.09.12 – 2 AZR 955/11). Wichtig: Für die Nachwirkung kommt es darauf an, dass tatsächlich Betriebsratsarbeit verrichtet worden ist.
Kann man den Kündigungsschutz für bestimmte Ersatzmitglieder herbeiführen?
Manch ein Betriebsratsvorsitzender mag nun auf die Idee kommen, er müsse lediglich jedes Ersatzmitglied einmal laden, damit jeder in der komfortablen Lage ist, unter den Kündigungsschutz zu fallen. Hier ist jedoch Vorsicht geboten! Ein Ersatzmitglied darf nur im echten Verhinderungsfall geladen werden. Diese Regelung dient dem Schutz des Wählerwillens. Bei den Betriebsratswahlen wurde verbindlich festgelegt, wer für die gesamte Amtszeit kraft Gesetzes nachrückt.
Dabei bleibt dem Betriebsratsvorsitzenden kein Spielraum. Es würde die Beschlussfähigkeit des Gremiums aufs Spiel gesetzt, wenn der Vorsitzende die falschen Nachrücker lädt. Zudem kann in einem solchen Fall die Berufung auf den besonderen Kündigungsschutz wegen Rechtsmissbrauchs ausgeschlossen sein. Dennoch: Im Laufe einer Amtszeit kommen häufig mehr Ersatzmitglieder zum Einsatz als anfangs vielleicht gedacht. Ob vorübergehende Verhinderung durch Urlaub, Krankheit, Montage oder Elternzeit oder dauerhafte Verhinderung wegen Amtsniederlegungen oder Arbeitsplatzwechsel – hier sind die Ersatzmitglieder gefragt, und diese kommen während der Zeit der Stellvertretung in den Genuss des Kündigungsschutzes.
Kündigungsschutz trotz außerordentlicher Kündigung?
Am Arbeitsgericht Hamm wurde ein interessanter Fall verhandelt (LAG Hamm, Urteil vom 15.04.2016 – 13 Sa 1364/15). Ein Ersatzmitglied des Betriebsrats erhielt eine außerordentliche Kündigung wegen grober Beleidigung eines Vorgesetzten, gefolgt von einer ordentlichen Kündigung. Hier der chronologische Ablauf des Geschehens:
- Im Mai erhielt der Kläger eine außerordentliche Kündigung, gegen die er Klage einreichte.Im August wurde er als Nachrücker zu einer Betriebsratssitzung geladen und nahm an dieser teil, bis der Arbeitgeber davon erfuhr und ihn des Hauses verwies.
- Im Oktober entschied das Arbeitsgericht zugunsten des Arbeitnehmers. Der Arbeitgeber zog vor das Landesarbeitsgericht Hamm.
- Im Dezember kündigte der Arbeitgeber das Ersatzmitglied betriebsbedingt zu Ende April des folgenden Jahres.
- Im Mai des folgenden Jahres bestätigte das Landesarbeitsgericht Hamm die Entscheidung des Arbeitsgerichts – die außerordentliche Kündigung war unwirksam.
Nun galt es noch, über die ordentliche Kündigung aus Dezember zu entscheiden. Zwar hätte das Ersatzmitglied aufgrund der außerordentlichen Kündigung im Mai nicht geladen werden dürfen. Es wurde jedoch entschieden, dass das Ersatzmitglied aufgrund der rechtlich komplexen Situation nicht hätte erkennen müssen, dass es tatsächlich nicht zur Vertretung berufen war. Es ergab sich auch kein Anhaltspunkt für eine bewusste Absprache, so dass kein rechtsmissbräuchliches Handeln (§ 242 BGB) vorlag. Zum Schutz des Ersatzmitglieds nach der aktiven Teilnahme an der Sitzung greift ein nachwirkender Sonderkündigungsschutz nach § 15 Abs. 1 S.2 KSchG, der eine ordentliche Kündigung für ein Jahr ausschließt. Beide Kündigungen waren damit unwirksam.
Nachrücken: Wann kommt ein Ersatzmitglied zum Einsatz?
Die nächste Betriebsratssitzung steht an und wieder kann mindestens ein Betriebsratsmitglied nicht teilnehmen. Rückt nun in jedem Fall ein Ersatzmitglied in den Betriebsrat nach? Nein! Ob der Betriebsratsvorsitzende ein Ersatzmitglied laden kann oder muss, hängt tatsächlich vom konkreten Verhinderungsgrund des dauerhaften Mitglieds ab.
Die Situation ist einfach, wenn ein Betriebsratsmitglied dauerhaft ausscheidet. Gemäß § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG rückt ein Ersatzmitglied dauerhaft nach. Dasselbe gilt gemäß § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG auch für eine sogenannte zeitweilige Verhinderung. Hierbei ist es wichtig, zwischen der rechtlichen und der tatsächlichen zeitweiligen Verhinderung zu unterscheiden.
Rechtliche zeitweilige Verhinderung
Rechtlich verhindert ist ein Betriebsratsmitglied, wenn es von einer Entscheidung des Betriebsrats unmittelbar betroffen ist (z.B. Kündigung, Versetzung des Betriebsratsmitglieds). In diesem Fall darf es beim entsprechenden Tagesordnungspunkt nicht mit beraten und entscheiden.
Tatsächliche zeitweilige Verhinderung
Eine tatsächliche Verhinderung liegt in den folgenden Fällen vor:
- Krankheit
Krankheit ist ein Verhinderungsgrund. Sobald ein Betriebsratsmitglied meldet, dass es krank ist, tritt ein Ersatzmitglied an seine Stelle. Allerdings gibt es auch Krankheiten, bei denen die Betriebsratstätigkeit trotz der Krankheit ausgeübt werden kann – beispielsweise bei einem gebrochenen Bein. Da derartige Krankheiten allerdings nicht so häufig vorkommen, gilt die Regel: Der Vorsitzende lädt ein Ersatzmitglied, sobald sich ein ordentliches Mitglied krankgemeldet hat. Teilt das erkrankte Betriebsratsmitglied jedoch mit, dass es an der Betriebsratssitzung teilnehmen wird, dann ist dies möglich, so dass insoweit kein Ersatzmitglied für die Teilnahme an der Sitzung zu laden ist. - Urlaub
Bei Urlaub gilt dasselbe: Sobald ein Betriebsratsmitglied im Urlaub ist, ist es vorübergehend verhindert und ein Ersatzmitglied wird geladen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn das Betriebsratsmitglied mitteilt, dass es trotz des Urlaubs an der Betriebsratssitzung teilnehmen wird. - Elternzeit
Sind Betriebsratsmitglieder in Elternzeit, so muss geklärt werden, ob der Wunsch besteht, das Betriebsratsamt in dieser Zeit auszuüben. Wird dies nicht gewünscht, dann liegt eine vorübergehende Verhinderung vor und ein Ersatzmitglied rückt nach. In der Praxis wird dies in der Elternzeit oft anders gelöst. Häufig wird mit dem Arbeitgeber eine Teilzeitbeschäftigung vereinbart, so dass die Betriebsratstätigkeit weitergeführt wird, nicht aber die eigentliche berufliche Tätigkeit. - Schulung/Verpflichtungen aus dem Betriebsratsamt
Verpflichtungen, die sich aus dem Betriebsratsamt ergeben, können ebenfalls zu einer vorübergehenden Verhinderung führen. Zu denken ist etwa an eine Seminarteilnahme, an die Wahrnehmung eines Termins im Gesamt- bzw. Konzernbetriebsrat, an die Hinzuziehung als ehrenamtlicher Richter an einer Sitzung des Arbeitsgerichts sowie an die eigene Betroffenheit von Betriebsratsbeschlüssen. In all diesen Fällen ist ein Ersatzmitglied zu laden.
Achtung:
Keine Verhinderung liegt vor, wenn ein festes BR-Mitglied im Homeoffice arbeitet. Und auch wenn Sie Ihre Betriebsratssitzung digital abhalten: Die Verhinderungsgründe bleiben die gleichen.
Vorübergehende Verhinderung wegen dringender Arbeit?
Wie sieht es bei Absagen von Betriebsratsmitgliedern wegen Arbeitsüberlastung, dringender Projekte oder wichtiger Kundenbesuche aus? Und was passiert, wenn Mitglieder einer Sitzung einfach unentschuldigt fernbleiben?
Grundsätzlich gilt: Betriebsratsarbeit geht vor (§ 37 Abs. 2 BetrVG). Daher dürfte in den genannten Fällen keine Unzumutbarkeit der Teilnahme an einer Betriebsratssitzung vorliegen. Entsprechend darf der Betriebsratsvorsitzende auch kein Ersatzmitglied laden. Der Betriebsrat muss in derartigen Situationen in reduzierter Besetzung tagen und Beschlüsse fassen, denn die rechtswidrige Ladung eines Ersatzmitglieds würde Beschlüsse unwirksam machen. Jedoch kann in Einzelfällen die Verhinderung eines Betriebsratsmitglieds auch dann gegeben sein, wenn sich das betroffene Betriebsratsmitglied in einem Interessenkonflikt zwischen Amts- und Arbeitspflicht befindet.
Beispiel aus der Praxis: Landesarbeitsgericht Hamm, Beschluss vom 08.12.2017, 13 TaBV 72/17
Ein Betriebsratsvorsitzende nahm im Mai 2017 an einer Schulung teil. Der Entsendebeschluss zu diesem Seminar wurde in einer Betriebsratssitzung gefasst, bei der sieben von insgesamt neun Mitgliedern anwesend waren. Ein Betriebsratsmitglied war krank. Das geladene Ersatzmitglied und ein weiteres Betriebsratsmitglied hatten sich wegen erhöhten Arbeitsaufkommens telefonisch von der Sitzung abgemeldet. Der Betriebsratsvorsitzende war der Ansicht, dass die Nichtteilnahme an der Sitzung wegen des hohen Arbeitsaufkommens keine Verhinderung im Sinne des § 25 Abs. 1 S. 2 BetrVG darstelle und hatte keine Ersatzmitglieder geladen. Der Arbeitgeber hielt den Beschluss zur Seminarteilnahme deshalb für unwirksam und verweigerte die Kostenübernahme für die Schulung. Dagegen ging der Betriebsrat gerichtlich vor. Ohne Erfolg.
Das Gericht entschied: Eine zeitweilige Verhinderung eines Betriebsratsmitglieds liegt vor, wenn es aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht in der Lage ist, die anstehenden Amtsgeschäfte wahrzunehmen. Dies kann im Einzelfall auch dann der Fall sein, wenn das Betriebsratsmitglied in seiner Stellung als Arbeitnehmer unabkömmlich ist, weil die geschuldete Arbeitsleistung unbedingt sofort erbracht werden muss. Das Betriebsratsmitglied muss unter Beachtung seiner Verpflichtung zur gewissenhaften Amtsführung darüber entscheiden, welcher Pflicht es den Vorrang einräumt. Somit hätte der Betriebsratsvorsitzende ein Ersatzmitglied laden müssen. Da er dies nicht getan hat, ist der Entsendebeschluss zu der Schulung unwirksam.
Wenn sich das Betriebsratsmitglied bei einem Interessenkonflikt zwischen Amts- und Arbeitspflicht für die Arbeit entscheidet, muss der Betriebsratsvorsitzende regelmäßig davon ausgehen, dass ein Verhinderungsfall vorliegt. Nur wenn Anhaltspunkte für eine pflichtwidrige Entscheidung des Betriebsratsmitglieds vorliegen, muss er den genannten Hinderungsgrund prüfen und ggf. auf die Ladung eines Ersatzmitglieds verzichten.
Im gerade vorgestellten Fall wäre es also Aufgabe des Betriebsratsvorsitzenden gewesen, darzulegen, welche konkreten Anhaltspunkte für ein pflichtwidriges Verhalten der beiden Betriebsratsmitglieder ihn dazu veranlasst hatten, auf die Ladung der Ersatzmitglieder zu verzichten.
Fazit: Ein Betriebsratsmitglied darf sich nicht ohne zwingenden Grund vertreten lassen und eine Stellvertretung nicht gezielt herbeiführen. Nur wenn eine rechtliche oder tatsächliche vorübergehende Verhinderung vorliegt, darf ein Ersatzmitglied geladen werden.
Sie sollten im Gremium besprechen – und eventuell in der Geschäftsordnung festhalten – wie mit Absagen wegen hoher Arbeitsbelastung oder dringender Termine umgegangen wird. Es sollte keinesfalls zum Normalfall werden, dass die Betriebsratsarbeit hintenangestellt wird. Dennoch ist es wichtig zu wissen, dass die Ladung eines Ersatzmitgliedes in Betracht kommt, wenn eine gewissenhafte Prüfung des wegen dringender Arbeit verhinderten Betriebsratsmitglieds stattgefunden hat.
Die richtige Reihenfolge: Als Ersatzmitglied wissen, wann ein Einsatz ansteht
Wer nachrückt, das ist durch Wahlverfahren und Geschlechterquote festgelegt. Ist ein Mitglied des Betriebsrats vorübergehend verhindert, muss der Betriebsratsvorsitzende ein Ersatzmitglied laden, damit das Gremium wirksame Beschlüsse fassen kann. Die große Frage ist nun, welches Ersatzmitglied nachrückt. Dafür ist sowohl das Wahlsystem, nach dem der Betriebsrat gewählt wurde (also Verhältniswahl oder Mehrheitswahl), als auch die Geschlechterzusammensetzung wichtig.
Ermittlung des nachrückenden Ersatzmitgliedes in der Verhältniswahl
Bei der Verhältniswahl (Betriebsratswahl auf Grund mehrerer Vorschlagslisten) rücken die Ersatzmitglieder grundsätzlich in der Reihenfolge nach, in der sie auf der Liste stehen, der das ausgeschiedene oder verhinderte Mitglied angehört. Dabei ist die Geschlechterquote zwingend zu beachten (vgl. § 15 Abs. 2 BetrVG). Falls das Ausscheiden des regulären Mitglieds zu einer Unterschreitung der Quote führt und auf der Liste, die zum Nachrücken eigentlich an der Reihe wäre, kein Minderheitengeschlecht verfügbar ist, rückt ein Mitglied einer anderen Liste nach (sogenannter Listensprung).
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Wenn nun von Liste 1 das weibliche Mitglied Clarissa (rot markiert) verhindert ist, würde eigentlich das nächste Mitglied der Liste 1, also Dieter, nachrücken. Wegen der gem. § 15 Abs. 2 BetrVG zu berücksichtigenden Minderheitenquote wird aber in diesem Fall eine Frau als Ersatzmitglied benötigt. Auf Liste 1 ist neben Dieter nur noch Erwin übrig, daher muss auf einer anderen Liste nach einer Frau gesucht werden. Es kommt nun zu einem Listensprung zu der Liste mit der nächsten freien Höchstzahl.
In unserem Beispiel ist das Liste 3 mit der Höchstzahl 12. Hier würde eigentlich Kai nachrücken. Da auch Kai ein männlicher Kandidat ist, und die Minderheitenquote hier noch nicht erfüllt ist, rückt allerdings nicht er, sondern die nächste weibliche Kandidatin der Liste 3 nach, hier also Laura. Wäre auf Liste 1 oder 2 schon eine weitere Frau festes Mitglied im Betriebsrat, wäre von vornherein das nächste Mitglied von Liste 1, also Dieter, nachgerückt, da die Minderheitenquote bereits erfüllt gewesen wäre.
Ermittlung des nachrückenden Ersatzmitgliedes in der Mehrheitswahl
Bei der Mehrheitswahl (Betriebsratswahl aufgrund nur einer Vorschlagsliste oder im vereinfachten Wahlverfahren) rückt für das verhinderte oder ausgeschiedene Betriebsratsmitglied als Ersatzmitglied der Wahlbewerber mit der nächsthöchsten Stimmenzahl nach. Auch hier ist die Minderheitenquote zu berücksichtigen und es rückt unter Umständen der Bewerber mit der nächsthöheren Stimmenzahl, der dem Minderheitengeschlecht angehört, nach.
Die Mitglieder Antonia (w, 60 Stimmen), Christian (m, 36 Stimmen), Günther (m, 45 Stimmen), Hans (m, 66 Stimmen) und Ingo (m, 33 Stimmen) sind in diesem Beispiel aufgrund der auf sie entfallenden Stimmen feste Mitglieder im Betriebsrat. Ist nun Antonia verhindert, würde eigentlich Dieter mit der nächsthöheren Stimmzahl von 30 nachrücken. Wegen des Minderheitengeschlechts muss aber vorliegend mindestens eine Frau im Betriebsrat vertreten sein, so dass hier Frida (w, 21 Stimmen), das Mitglied des Minderheitengeschlechts mit der nächsthöchsten Stimmzahl nachrückt.
Schritt für Schritt zur richtigen Reihenfolge
Es ist sehr wichtig, immer einen gedanklichen Schritt nach dem anderen zu machen. Zunächst gilt es, die Höchstzahl bzw. die höchste Stimmzahl zu ermitteln und erst im zweiten Schritt – soweit es nötig ist – das Minderheitengeschlecht zu berücksichtigen. So gelingt das Aufspüren des richtigen Ersatzmitglieds für Ihr Betriebsratsgremium.
Tipp: Wenn kein Kandidat mehr übrig ist, der das Minderheitengeschlecht vertreten kann, kann die Quote auch nicht berücksichtigt werden.
Weiterbildung: Schulungsanspruch für Ersatzmitglieder im Betriebsrat
Als Ersatzmitglied können Sie unverhofft in den Betriebsrat nachrücken und müssen dann unter Umständen bei weitreichenden Beschlüssen mitentscheiden. Dafür ist Fachwissen unerlässlich. Deshalb sieht das Bundesarbeitsgericht unter bestimmten Voraussetzungen auch für Ersatzmitglieder einen Schulungsanspruch vor. Es kommt allerdings immer auf den konkreten Fall an.
Dauerhaftes Ausscheiden eines festen Mitglieds
Wenn ein festes Mitglied des Betriebsrats ausscheidet, ist der Fall klar: Ein Ersatzmitglied rückt nach und ist berechtigt, an Schulungsveranstaltungen nach § 37 Abs. 6 BetrVG teilzunehmen.
Nur vorübergehende Verhinderung eines festen Mitglieds
Ist ein festes Mitglied des Betriebsrats für einen begrenzten Zeitraum verhindert, z.B. durch längere Krankheit, kommt es darauf an.
Rechtsprechung: Der Betriebsrat kann ein Ersatzmitglied zu einer Schulungsveranstaltung entsenden, wenn dies erforderlich ist, um die Arbeitsfähigkeit des Betriebsrats zu gewährleisten. So lautet ein Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 19.09.2001 (Az. 7 ABR 32/00). Nur: Was bedeutet „erforderlich“? Bei dieser Entscheidung hat der Betriebsrat einen Beurteilungs- und Prognosespielraum. Entscheidende Kriterien sind die zu erwartende Dauer und Häufigkeit der Heranziehung (BAG, Beschluss vom 15.05.1986, Az. 6 ABR 64/ 83). Hier kann der Betriebsrat anhand der Vergangenheit, vor allem aber aufgrund der zukünftig zu erwartenden Vertretungsfälle, argumentieren.
Wann ist eine Schulung für Ersatzmitglieder erforderlich?
Unter besonderen Umständen darf der Betriebsrat die Schulung von Ersatzmitgliedern für erforderlich halten. Die reine Erwartung von Vertretungsfällen aufgrund des Urlaubs oder der vorübergehenden Erkrankung ordentlicher Betriebsratsmitglieder genügt dabei nicht. Der Betriebsrat muss möglichst konkret darlegen, dass das Ersatzmitglied in der Vergangenheit schon oft im Einsatz war und warum auch in Zukunft häufiges Nachrücken erwartet wird. Denn je öfter es dabei ist, desto größer ist die Verantwortung auf seinen Schultern.
Wie oft ist das Ersatzmitglied in der Betriebsratssitzung anwesend?
Vor allem Dauer und Häufigkeit der Heranziehung des Ersatzmitglieds spielen also eine wesentliche Rolle für den Schulungsanspruch. Der Betriebsrat hat insoweit eine auf Tatsachen gegründete Prognose anzustellen. Dabei kann der Vergangenheit eine gewisse „Indizwirkung“ zukommen. Von Bedeutung sind aber auch weitere Umstände, wie insbesondere die Betriebsratsgröße, die Anzahl der im Betriebsrat vertretenen Gruppen und Listen, das Vorhandensein von Betriebsferien oder der langfristige Ausfall bestimmter Betriebsratsmitglieder.
So wird mit wachsender Betriebsratsgröße die Wahrscheinlichkeit an Vertretungsfällen zunehmen. Allerdings lässt nicht jeder Vertretungsfall dasselbe Ersatzmitglied nachrücken. Vielmehr kommt es hierfür maßgeblich auf das jeweils zu vertretende Betriebsratsmitglied sowie die Anzahl und Größe der im Betriebsrat vertretenen Gruppen und Listen an.
Der Betriebsrat hat bei der von ihm anzustellenden Prognose einen gewissen Spielraum. Diesen hatte der Betriebsrat im vorliegenden Fall nach Ansicht der Richter des LAG Schleswig-Holstein richtig genutzt. (Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Beschluss vom 26.04.2016 – 1 TaBV 63/15). Der Schulungsanspruch des Ersatzmitglieds wurde bei folgender Anzahl von Sitzungsteilnahmen bejaht:
Jahr 1: 28 von 64 Teilnahmen an den Sitzungen
Jahr 2: 30 von 59 Teilnahmen an den Sitzungen
Jahr 3: 16 von 38 Teilnahmen an den Sitzungen
Jahr 4 (bis Juni): 20 von 35 Teilnahmen an den Sitzungen
Die Häufigkeit der Teilnahme an den Sitzungen des Betriebsrats belege, dass das Ersatzmitglied ständig und häufig wiederholt in den Betriebsrat eingetreten sei. Daher sei die Schulung des Ersatzmitglieds erforderlich gewesen.
Fazit: Je häufiger ein Ersatzmitglied nachrückt, desto eher besteht ein Schulungsanspruch. Ein Krankheitsfall allein wird nicht ausreichen, um einen Schulungsanspruch zu rechtfertigen. Ist jedoch absehbar, dass ein Ersatzmitglied noch häufiger nachrückt, stehen seine Chancen besser.
Unser Tipp:
Wenn Sie vergleichbar häufig zur Betriebsratssitzung eingeladen werden, sollten Sie gleich mit Ihrem Gremium und Ihrem Arbeitgeber den Entsendebeschluss abklären. Aber Nachfragen lohnt sich immer. Häufig überzeugt schon das Argument, dass Sie mit dem Nachrücken in den Betriebsrat sofort die Verantwortung eines festen BR-Mitglieds tragen.
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