Die Idee scheint auf den ersten Blick verführerisch. Für einen erforderlichen Schulungsbesuch ist ein Betriebsratsmitglied gemäß § 37 Abs. 6 in Verbindung mit § 37 Abs. 2 BetrVG ohne Minderung des Arbeitsentgelts zu befreien. Würden Sie als Ersatzmitglied dann mit dem Besuch der Schulung Betriebsratsaufgaben wahrnehmen und wären schutzwürdig im Sinne des § 15 Abs. Abs. 1 KüSchG? Dafür spricht: Der Arbeitgeber muss während der Schulungsteilnahme nicht nur auf Ihre Arbeitskraft verzichten. Sie verursacht zusätzlich Kosten von der Seminargebühr über die Reisekosten bis hin zu den Übernachtungs- und Verpflegungskosten. Davon ist kaum ein Arbeitgeber begeistert. Eine sogenannte „Abkühlungsphase“ nach der Schulung, während der Ihnen der Arbeitgeber nicht ohne wichtigen Grund kündigen darf, könnte gerechtfertigt sein.
Ganz so einfach ist es jedoch nicht. Denn es ergeben sich mindestens folgende zwei Probleme:
- Rechtsmissbrauch:
Wenn ein Verhinderungsfall vom Gremium gezielt zu dem Zweck herbeigeführt wird, dass ein Ersatzmitglied nachrückt und deshalb den besonderen Kündigungsschutz genießt, kann wegen Rechtsmissbrauchs ausgeschlossen sein, dass sich das Ersatzmitglied sich auf diesen besonderen Schutz berufen darf. Das muss auch gelten, wenn ein Ersatzmitglied ausschließlich mit dem Ziel der Auffrischung des Kündigungsschutzes zu einer Schulung angemeldet wird. Auch hier kann Willkür nicht erlaubt sein.
- Erforderlichkeit der Schulung für Ersatzmitglieder:
Vermutlich wird der Arbeitgeber die Kostenübernahme für die Schulung und die Freistellung eines Ersatzmitgliedes in einem so gelagerten Fall ohnehin verweigern. Denn ein Ersatzmitglied hat nur dann einen Schulungsanspruch, wenn der Besuch der Schulungsveranstaltung erforderlich ist, um die Arbeitsfähigkeit des Betriebsrats zu gewährleisten. Das haben die Richter des Bundesarbeitsgerichts beschlossen (Beschluss vom 19.09.2001 – 7 ABR 32/00). In einer Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein wurde zuletzt ein Schulungsanspruch auch für Ersatzmitglieder bejaht. Dies allerdings nur bei einer auffällig hohen Anzahl von Sitzungsteilnahmen, so dass sich die Entscheidung im Rahmen der genannten BAG-Entscheidung bewegen dürfte:
Im ersten Jahr waren es 28 von 64 Sitzungen, im zweiten Jahr 30 von 59 Sitzungen, im dritten Jahr 16 von 38 Sitzungen und vierten Jahr (bis Juni): 20 von 35 Sitzungen.
Nur Ersatzmitglieder die ständig und häufig wiederholt in den Betriebsrat eintreten, haben also überhaupt einen Schulungsanspruch.
Ausgangspunkt des Betriebsratsvorsitzenden war aber gerade, dass Sie als Ersatzmitglied lange nicht mehr nachgerückt waren. Daher müsste zunächst genau geprüft werden, ob aus einer Rückschau (wie oft waren Sie in dieser Amtsperiode schon in der Sitzung dabei?) und einer Prognose (sind zukünftig Sitzungsteilnahmen etwa wegen Urlaubs, oder anderer absehbarer Abwesenheiten, die einen Verhinderungsgrund darstellen, zu erwarten?) darauf zu schließen ist, das eine Seminarteilnahme für Sie wirklich erforderlich ist. Anderenfalls geht die auf den ersten Blick so charmante Idee Ihres Betriebsratsvorsitzenden leider nicht auf.