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Keine Arbeitszeiterfassung? Arbeitgeber soll für Überstunden 46.000 Euro nachzahlen

Arbeitgeber sind verpflichtet, ein System zur Erfassung der von ihren Arbeitnehmern geleisteten täglichen Arbeitszeit einzuführen – einschließlich der Überstunden. Es gibt keinen Grund, warum es Arbeitgebern im Hinblick auf eine ohnehin bestehende Verpflichtung zur Arbeitsaufzeichnung nicht zumutbar sein soll, ihre hieraus gewonnenen Erkenntnisse dem Arbeitnehmer im Überstundenprozess auf dessen Vortrag entgegenzuhalten. Das sagt das LAG Niedersachen.

Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 09.12.2024, 4 SLa 52/24

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Redaktion
Stand:  27.5.2025
Lesezeit:  02:30 min
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Das ist passiert

Die Arbeitnehmerin streitet mit der Arbeitgeberin, die eine Kfz-Werkstatt betreibt und mit Gebrauchtfahrzeugen handelt, über die Vergütung geleisteter Überstunden.

Laut ihrem Arbeitsvertrag war die Arbeitnehmerin als Lageristin/kaufmännische Angestellte beschäftigt. Die regelmäßige Arbeitszeit betrug pro Woche 24 Stunden. 

Zu ihren Aufgaben gehörte unter anderem die durchgehende Telefonannahme für Werkstatt, Büro und Verkauf, die durchgehende Terminvergabe für die Werkstatt und den Ersatzteilverkauf, die Bedienung der Laufkundschaft und die durchgehende Bearbeitung der Kundenanfragen. Daneben war sie unter anderem zuständig für die Reparatur- und Auftragsannahme, Kostenvoranschläge und Werkstattrechnungen, Aufnahme von Unfallschäden, Ersatzteilbestellungen, Fahrzeugverkauf, Finanzierungen, Fahrzeugauslieferungen, Fahrzeuganmeldungen, Kassenführung, Reklamationsbearbeitung, Datenerfassung, Postbearbeitung, die Prüfung von Überweisungen und Zahlungsein- und ausgänge. 

Die Arbeitgeberin zeichnete die Arbeitszeiten der Arbeitnehmerin nicht auf.

Nach einer Erkrankung wurde der Arbeitnehmerin gekündigt. Mit ihrer Klage verlangte die Arbeitnehmerin von der Arbeitgeberin unter anderem Überstundenvergütung in Höhe von 50.367,60 € brutto zzgl. Zinsen. 
Sie behauptet, sie habe täglich während der Öffnungszeiten mindestens von 8:00 Uhr bis 18:00 Uhr mit einer Stunde Pause sowie an Samstagen nach Vereinbarung von 9:00 Uhr bis 12:00 Uhr gearbeitet. Freitags sei zwar grundsätzlich um 17:00 Uhr Geschäftsschluss, allerdings hätten insbesondere Freitagabend Kunden bedient und die Büroarbeiten abgeschlossen werden müssen. 

Das Arbeitsgericht wies die Klage ab. Die vorgelegten Tabellen zur Arbeitszeit seien unglaubhaft, da sie täglich eine identische Arbeitszeit von 8.00 bis 18.00 Uhr vorsähen. Gegen das Urteil hat die Arbeitnehmerin Berufung eingelegt. 

Das entschied das Gericht

Die Arbeitnehmerin habe für den benannten Zeitraum einen Anspruch auf Überstundenvergütung im Umfang von jeweils weiteren 20 Wochenstunden in Höhe von 46.531,42 € brutto, so das Gericht.

Die Arbeitnehmerin habe ihre Überstunden hinreichend und schlüssig dargelegt. Der Anspruch auf Überstundenvergütung setze voraus, dass der Arbeitnehmer für die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden objektiv eine Vergütung erwarten durfte und der Arbeitgeber die Leistung von Überstunden veranlasst habe oder sie ihm zumindest zuzurechnen seien. 

Die Arbeitnehmerin habe anhand ihrer Kalendereintragungen unter anderem vorgetragen, von Montag bis Freitag jeweils von 8:00 Uhr bis 18:00 Uhr abzüglich einer Stunde Pause pro Tag und an einzelnen Samstagen Arbeitsleistung erbracht zu haben.

Der Vortrag sei plausibel, auch wenn die Arbeitnehmerin die Kalendereintragungen zur Arbeitszeit nicht täglich fortgeschrieben habe, sondern im Nachgang auf Aufforderung ihres Prozessbevollmächtigten gefertigt habe. 

Entgegen der Annahme des Arbeitsgerichts behaupte die Arbeitnehmerin nicht, drei Jahre lang jeden Tag minutiös und ohne kleinste Abweichungen ihre Arbeitsleistung genau um 8:00 Uhr aufgenommen und um 18:00 Uhr beendet zu haben. Die Arbeitnehmerin trage vielmehr vor, dass sie täglich „mindestens“ von 8:00 Uhr bis 18:00 Uhr mit einer Stunde Pause, nämlich während der Öffnungszeiten sowie Samstag nach Vereinbarung von 9:00 Uhr bis 12:00 Uhr, gearbeitet habe. Das Vorbringen der Arbeitnehmerin sei auch deshalb plausibel, weil die von ihr vorgetragenen Arbeitszeiten mit den Betriebsöffnungszeiten im Wesentlichen korrespondieren. 

Dem Vorbringen der Arbeitnehmerin zur erbrachten Arbeitsleistung sei die Arbeitgeberin nicht substantiiert entgegengetreten. Der Geschäftsführer der Arbeitgeberin hätte lediglich vorgetragen, mit der Arbeitnehmerin sei ursprünglich vereinbart worden, dass sie vormittags arbeite. Dass und welche organisatorischen Maßnahmen zur Arbeitszeit getroffen wurden – sowohl hinsichtlich des Umfangs und der Lage der Arbeitszeit als auch hinsichtlich der Konkretisierung der Tätigkeiten – sei aus dem Vorbringen der Arbeitgeberin nicht ersichtlich; auch nicht, wie der im Arbeitsvertrag vereinbarte Umfang von 24 Wochenstunden auf die Wochentage verteilt werden sollte. Auch das Argument der Arbeitgeberin, dass es im Kleinunternehmen nicht möglich sei, die tägliche Lage der Arbeitszeit zu bestimmen, könne man nicht gelten lassen. Die Bestimmung der Lage der Arbeitszeit durch den Arbeitgeber sei vom Kernbereich seines Weisungsrechts nach § 106 GewO umfasst und träfe große und kleine Unternehmen gleichermaßen. 

Die Arbeitgeberin sei nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG verpflichtet, die Arbeitszeiten ihrer Arbeitnehmer zu erfassen. In Erfüllung dieser Verpflichtung wäre es der Arbeitgeberin möglich gewesen, auf das konkrete Vorbringen der Arbeitnehmerin zu ihren Arbeitszeiten substantiiert zu erwidern. Hierbei bleibt nicht unberücksichtigt, dass zwischen arbeitsschutzrechtlicher und vergütungsrechtlicher Einordnung der Arbeitszeit zu unterscheiden sei und die lediglich arbeitsschutzrechtliche Verpflichtung der Arbeitgeberin zur Erfassung der Arbeitszeiten grundsätzlich keine Auswirkungen auf das System der abgestuften Darlegungs- und Beweislast im Überstundenvergütungen habe. Dennoch würde die Arbeitgeberin durch die pflichtgemäße Erfassung der Arbeitszeit in die Lage versetzt, dem konkreten Vorbringen der Arbeitnehmerin zu ihrer Arbeitszeit konkretes Vorbringen entgegenzusetzen. Einen Grund, warum es der Arbeitgeberin im Hinblick auf eine ohnehin bestehende Verpflichtung zur Arbeitsaufzeichnung nicht zumutbar sein soll, ihre hieraus gewonnenen Erkenntnisse dem Arbeitnehmer im Überstundenprozess auf dessen Vortrag entgegenzuhalten, gebe es nicht.

Die Arbeitgeberin habe die Überstunden jedenfalls im Umfang von 44 Stunden wöchentlich auch veranlasst. Hiervon sei unter Berücksichtigung des gesamten Vorbringens der Parteien auszugehen. 

Die Arbeitgeberin habe der Arbeitnehmerin Arbeit zugewiesen, die während der gesamten Betriebsöffnungszeiten permanent anfielen, unter anderem die durchgehende Telefonannahme für Werkstatt, Büro und Verkauf etc. Diese Tätigkeiten waren von der Arbeitnehmerin als tägliche Arbeiten benannt worden, ohne dass sich die Arbeitgeberin hierzu substantiiert eingelassen hätte. Die Tätigkeit der Kundenbedienung verlange ebenfalls die Anwesenheit während der gesamten Öffnungszeiten. Auch von einer Duldung der Überstunden durch die Arbeitgeberin sei auszugehen. 

Praxishinweis

Die Diskussionen rund um die Verpflichtung von Arbeitgebern, die Arbeitszeit ihrer Arbeitnehmer zu erfassen, sind mittlerweile wohl allen bekannt. Trotz verschiedener Urteile, Regelungsansätze und Interpretationen gibt es noch immer keine klare Linie.  Das Bundesarbeitsgericht entschied im Mai 2022, dass die zwischenzeitlich anerkannte Pflicht des Arbeitgebers, die Arbeitszeit seiner Arbeitnehmer zu erfassen (EuGH, Urteil vom 14. Mai 2019, C-55/18), bei der Frage der Beweislast in vergütungsrechtlichen Fragen keine Rolle spiele.  Es handle sich um eine rein arbeitsschutzrechtliche Pflicht, die auf Vergütungsfragen keinen Ausfluss haben dürfe. Über diese Entscheidung hatten wir berichtet: Arbeitnehmer müssen Überstunden nachweisen. Der Arbeitnehmer, der Überstunden geltend mache, habe selbst eine Obliegenheit, eigene Aufzeichnungen zu führen. Damit widerspricht das Urteil des LAG Niedersachsen der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts. Die Revision zum Bundesarbeitsgericht ist zugelassen. Wir sind gespannt, wie die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ausfallen wird. (sf) 
 

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