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Wie weit dürfen Unternehmen gehen, wenn sie eine betriebsbedingte Kündigung auf interne Umstrukturierungen stützen? Ein aktuelles Urteil des LAG Köln macht deutlich: Wer Stellen abbaut, muss nachvollziehbar darlegen, wie die zugrundeliegende Organisationsentscheidung konkret geplant und umgesetzt wurde. Pauschale Behauptungen reichen nicht. Die Sozialauswahl darf nicht auf unzulässige Weise verengt werden. Ein im Arbeitsvertrag vorgesehenes betriebliches Versetzungsrecht muss vom Arbeitgeber befolgt werden. Ein Urteil, das Betriebsräten deutlich macht, worauf bei Kündigungen im Zusammenhang mit Umstrukturierungen besonders zu achten ist.
LAG Köln, Urteil vom 16.01.2025, 6 Sa 633/23
Ein Fachinformatiker war im Home-Office für die IT-Abteilung CRM eines großen Immobilienunternehmens tätig, spezialisiert auf die hauseigene Maklersoftware „onO“.
Er gehörte zu einem dreiköpfigen Team, das technische Unterstützung für Makler leistete. Im November 2022 beschloss die Gesellschafterversammlung des Unternehmens, Supportaufgaben an andere Abteilungen abzugeben. Ein entsprechendes Protokoll wurde von den beiden Geschäftsführern der Konzernholding und einem weiteren Gesellschafter unterzeichnet – allerdings legte das Unternehmen es erst zehn Monate nach der Kündigung vor. Der Kläger zweifelte an, dass das Protokoll bereits zum Kündigungszeitpunkt existierte – und bestritt, dass die beschlossenen Maßnahmen überhaupt umgesetzt worden seien. Seine Aufgaben seien nicht entfallen, sondern hätten sich im Gegenteil ausgeweitet. Von seinen früheren Kollegen habe er von einer hohen Arbeitsbelastung erfahren. Der Arbeitgeber behauptete zwar eine Umverteilung der Tätigkeiten, konnte aber nicht konkret belegen, wie diese tatsächlich durchgeführt wurde. Auch die Sozialauswahl war zweifelhaft: Der Kläger wurde nur mit den zwei Kollegen aus seinem kleinen Team verglichen, obwohl sein Arbeitsvertrag ein weitreichendes Versetzungsrecht enthielt. Er verwies außerdem auf eine große Zahl offener Stellen im Konzern, welche sich auf andere Länder, Tätigkeiten und Hierarchieebenen bezogen. Der Kläger erhob mit Erfolg Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht. Die Beklagte ging dagegen in Berufung.
Die Kernfrage des Gerichts: gab es tatsächlich ein tragfähiges, nachvollziehbares unternehmerisches Konzept, das die Kündigung rechtfertigte – oder wurde hier eine organisatorische Umstrukturierung lediglich zur Verteidigung einer willkürlichen Entscheidung vorgeschoben?
Das Landesarbeitsgericht wies die Berufung der Beklagten zurück.
Nach Auffassung der Richter fehlte es zunächst an einer wirksamen unternehmerischen Grundlage für die Kündigung. Zwar dürfen Arbeitgeber aufgrund organisatorischer Entscheidungen Aufgaben neu verteilen oder Abläufe verschlanken – doch müssen sie diese Maßnahmen nachvollziehbar begründen und deren Umsetzung konkret darlegen.
Im vorliegenden Fall blieb die Beklagte solche Nachweise schuldig. Das Gericht unterschied ausdrücklich zwischen einer echten Organisationsentscheidung und einer bloßen Kündigungsentscheidung: Das vorgelegte Protokoll der Gesellschafter-versammlung stellte aus Sicht des Gerichts keine tragfähige Organisationsentscheidung dar, sondern primär eine Entscheidung zur Kündigung des Klägers – ohne schlüssige Begründung der zugrunde liegenden betrieblichen Maßnahme. Die Beklagte konnte nicht plausibel erläutern, in welchem Umfang die Aufgaben tatsächlich entfallen seien, noch wie genau und wann deren Verlagerung in andere Abteilungen erfolgt sein sollte. Die pauschale Behauptung, die verbleibenden Abteilungen würden diese Aufgaben „mit übernehmen“, genügte nicht. Das Gericht stellte klar: Wenn ein Arbeitgeber durch Umstrukturierung Aufgaben intern neu verteilt, muss er konkret darlegen, dass die verbleibenden Mitarbeiter diese Aufgaben ohne Überlastung und innerhalb der vertraglich geschuldeten Arbeitszeit übernehmen können. Dazu gehört eine Prognose über das zukünftige Arbeitsvolumen und die Darstellung, welche Aufgaben entfallen und wie die verbleibenden Tätigkeiten verteilt werden sollen. Solche Angaben fehlten hier vollständig. Selbst wenn die Beklagte ihre Darstellung als „Effizienzmaßnahme“ bezeichnete, fehlten greifbare Anhaltspunkte für eine Umsetzung – etwa Weisungen, Organigramme, Zeiterfassungen oder Stellenbeschreibungen. Die Kündigung war damit mangels tragfähigen Konzepts bereits aus diesem Grund unwirksam.
Hinzu kam ein zweiter schwerwiegender Fehler: Die Sozialauswahl war grob fehlerhaft.
Obwohl im Arbeitsvertrag des Klägers eine Versetzungsklausel vorgesehen war, verglich die Beklagte ihn nur mit seinen unmittelbaren Teamkollegen – und nicht mit vergleichbaren IT-Beschäftigten im ganzen Unternehmen. Dies widerspricht der ständigen Rechtsprechung und ließ die Kündigung auch deshalb als sozial ungerechtfertigt erscheinen. Denn gemäß dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 31.05.2007 (2 AZR 276/06) ist nach der Konzeption des § 1 Abs. 3 KSchG die Sozialauswahl betriebsbezogen durchzuführen. Regelmäßig sind deshalb alle vergleichbaren Arbeitnehmer in die Auswahlentscheidung einzubeziehen, die im selben Betrieb beschäftigt sind. Außerdem hatte sich der Arbeitgeber arbeitsvertraglich ein betriebliches Versetzungsrecht vorbehalten, das nicht auf die Abteilung CRM beschränkt, sondern ausdrücklich betriebsweit und tätigkeitsbezogen formuliert war.
Das Gericht stellte somit nicht nur die formale Unwirksamkeit der Kündigung fest, sondern kam auch zu dem Ergebnis, dass sie als willkürlich zu bewerten ist.
Auch der Weiterbeschäftigungsanspruch des Klägers blieb bestehen.
Denn nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG vom 27.02.1985 – GS 1/84) überwiegt das Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers regelmäßig, wenn dieser ein erstinstanzlich stattgebendes Kündigungsschutzurteil erstritten hat. Besondere Umstände, die ausnahmsweise gegen eine Weiterbeschäftigung sprechen könnten, hatte die Beklagte weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht.
Die Entscheidung zeigt, welche Fallstricke in der Praxis bei Umstrukturierungen und betriebsbedingten Kündigungen entstehen können. Wer Aufgaben neu verteilt und Stellen abbaut, muss ein schlüssiges Konzept vorlegen, das nicht nur die Entscheidung selbst, sondern auch deren konkrete Planung, Umsetzung und die künftige Arbeitsverteilung nachvollziehbar darstellt. Interne Beschlüsse oder Protokolle, auf die sich eine solche Maßnahme stützt, müssen zeitnah, datiert und überprüfbar eingebracht werden – spätere Nachreichungen oder Rückdatierungen wirken nicht nur unglaubwürdig, sondern können die gesamte Maßnahme rechtlich ins Wanken bringen. Allgemeine Begriffe wie „Optimierung“ oder „Effizienzsteigerung“ ersetzen keine belastbaren Fakten; entscheidend ist die tatsächlich nachgewiesene Umsetzung im Betrieb. Auch bei der Sozialauswahl ist Sorgfalt gefragt: Enthält der Arbeitsvertrag eine Versetzungsklausel, muss der Arbeitgeber bei der Auswahl vergleichbarer Beschäftigter den gesamten Betrieb einbeziehen – eine Beschränkung auf einzelne Abteilungen ist unzulässig. Nicht zuletzt sollten Betriebsräte frühzeitig und umfassend informiert werden, wenn Umstrukturierungen oder Stellenstreichungen bevorstehen. Nur so lassen sich Transparenz und Vertrauen im Unternehmen stärken. (al)