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Autoindustrie im Wettersturz

Insolvenzen hier, Rekordergebnisse dort – wie kann das sein?

Die deutsche Automobilindustrie steht unter Druck. Während ein Boom von Elektroautos noch 2022 für stabile Ergebnisse gesorgt hat, werden andernorts Entlassungen angekündigt und Insolvenzen vorhergesagt. Wie kann das sein? Branchenexperte Dr. Helmut Becker wirft einen kritischen Blick auf die aktuelle Lage der Autoindustrie.Insolvenzen hier, Rekordergebnisse dort – wie kann das sein? 

Ökonom Dr. Helmut Becker Becker

Dr. Helmut Becker

Stand:  7.2.2023
Lesezeit:  02:45 min
Autobranche unter Druck | © AdobeStock | maykal

Das Geschäftsklima in der deutschen Autoindustrie hat sich zu Beginn des Jahres 2023 deutlich verschlechtert. Vergleichbar jenem Wetterphänomen, vor dem sich Wanderer im Hochgebirge fürchten: dem eines Wettersturzes
Bei einem Wettersturz kommt es bekanntlich aus heiterem Himmel zu einer plötzlichen und vor allem heftigen Wetterverschlechterung. Häufig kommt es zu einem Temperaturabsturz um bis zu 10 °C und die Sichtweite wird schlagartig durch starken Niederschlag und Nebel herabgesetzt. 
Vor einer ähnlichen Situation steht augenblicklich die deutsche Autoindustrie, weniger die Hersteller mit ihren hohen Export- und Weltmarktanteilen als vielmehr jene kleinen und mittleren Zulieferer und der Autohandel, die vom Inlandmarkt abhängen.

Der Trend der Autoindustrie zeigt abwärts

Zehn Jahre war die Branche vom Erfolg verwöhnt, konnte stetig wachsen, und dabei Absatz und Gewinne kräftig steigern. Die Neuzulassungen stiegen von 3,0 Millionen im Jahr 2008 auf 3,6 Millionen in 2019, die Pkw-Produktion erreichte in 2017 mit 5,6 Millionen einen historischen Höhepunkt. 
Seither zeigt der Trend der Autoindustrie abwärts, folgte eine Krise auf die andere. Erst kam Corona und mit flächendeckendem Lockdown, standen die Bänder in den Fabriken wochenlang still, blieben die Verkaufspaläste des Autohandels geschlossen. Dann folgten Lieferausfälle bei Speicherchips und schließlich der Ukraine-Krieg mit weiteren empfindlichen Versorgungsmängel bei Kabelbäumen und Rohstoffen sowie einer drastischen Energieverteuerung. Unerwartete Störungen der Lieferketten wegen des rigiden Lockdowns beim Hauptlieferant China zeigten bis zuletzt Wirkung.

Die Branche steht unter Druck

Die Branche ist zwar krisenerprobt, eine solche Häufung von Belastungen aber nicht gewohnt. Seit drei Jahren steht sie ununterbrochen unter Druck. Hinzu kamen die hohen Kosten der politisch gewollten Transformation weg vom Verbrenner und hin zur Elektromobilität, die zu hohen dualen Investitionen zwang und vor allem die Zulieferindustrie stark belastete. Insolvenzen im Zulieferbereich häufen sich, Hersteller wie Ford bauen Kapazitäten ab.

Insolvenzen hier, Rekordergebnisse dort – ein verwirrendes Branchenbild

All das führte zu einer raschen Abfolge von Preiserhöhungen bei allen Herstellern, an der Spitze Ford mit 15 Prozent, gefolgt vom Volkswagenkonzern. Getroffen vom raschen Anstieg der Neuwagenpreise war vor allem die Kundschaft in den unteren Volumens Segmenten.  Die Premium-Hersteller Audi, BMW und Mercedes dagegen konnten ihr durch die Chipengpässe ohnehin verknapptes Modell-Angebot zu höheren Preisen und Gewinnmargen an die einkommensstarke Kundschaft weitergeben, der Daimler Konzern baute sogar eine ganze Luxus-Strategie darauf auf.  Zeitweise konnten die Nobel-Hersteller trotz der allgemeinen Branchenkrise in den Quartalsergebnissen neue Rekordstände ausweisen. Insolvenzen hier, Rekordergebnisse dort – ein verwirrendes Branchenbild.

Konjunkturwende: Export sei Dank …

Im Sommer 2022 zeichnete sich – endlich – am Automarkt eine Konjunkturwende ab. Die Lieferstörungen nahmen ab, die Pkw-Produktion in den Werken nahm zu und die inzwischen hohen Bestände an unerledigten Bestellungen nach und nach verringert werden konnten und zu steigenden Neuzulassungen führten. Der ifo-Geschäftsklimaindex verzeichnete erstmals nach vielen Monaten des Rückgangs wieder eine Aufhellung der Stimmung in der Autobranche. So wie beim erschöpften Wanderer im Hochgebirge, wenn in der Ferne die ersehnte Berghütte sichtbar wird. Trotz schwachem ersten Halbjahr lag am Jahresende 2022 die Pkw-Produktion dank des Exports mit 3,4 Millionen um 11 Prozent über dem Vorjahresniveau.  
Der Inlandsmarkt blieb dagegen weiter schwach. In 2022 wurden mit 2,7 Millionen lediglich 1 Prozent mehr neue Autos zugelassen als 2021. Im Vergleich zum Vorkrisenjahr 2019 verblieb damit auch 2022 eine Absatzlücke von rund 26 Prozent. 
 

Kürzung der Kaufprämien löst Boom aus

Und selbst dazu wäre es nicht gekommen, hätte im Dezember 2022 die Kürzung der Kaufprämien für BEV und deren völliger Entfall für PHEV nicht für einen wahren Zulassungsboom gesorgt. Der trieb die Statistik nach oben, viele Käufe wurden vorgezogen, Die Neuzulassungen bei Elektroautos schnellten im Dezember 2022 um 114 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat in die Höhe. Sie erreichten mit einem Volumen von 174.200 Einheiten einen neuen Rekord auf dem deutschen Markt: Nie zuvor wurden in einem Monat mehr E-Pkw neu zugelassen. 
Insgesamt wurden im Jahr 2022 rund 833.500 Elektro-Pkw zugelassen. Das heißt: Fast jede dritte Neuzulassung 2022 war ein E-Auto. Euphorie in der ganzen Fangemeinde der E-Mobilität! War das jetzt der Marktdurchbruch?
Der Wettersturz kam im Januar 2023, als die Sonderfaktoren vom Vormonat wegfielen. Gegenüber dem Vormonat Dezember 2022 brach der Markt insgesamt um -43 Prozent ein, darunter bei BEV um -82 Prozent, bei PHEV um -87 Prozent. 
 

Ein weiteres Schrumpfen vorprogrammiert?

Eine trendmäßige Besserung für die Branche in 2023 ist aktuell nicht in Sicht. Die Hersteller melden weiterhin rückläufige Inlandsaufträge, Handel wie Neuwagenkäufer stöhnen unter den hohen Neuwagenpreisen, der Gebrauchtwagenmarkt boomt hingegegn. Elektroautos sind für die unteren Volumenmarktsegmente preislich weiterhin unerschwinglich, die Zukunft der E-Mobilität ist im Massenmarkt ist weiterhin ungewiss.  
Fasst man alles zusammen, ist eine nachhaltige Besserung am deutschen Pkw-Markt nicht in Sicht, ehr ein weiteres Schrumpfen vorprogrammiert. Markprognosen gehen für 2023 ff im günstigsten Fall von einer Stagnation der Neuzulassungen auf einem Niveau von 2,7 bis 2,8 Millionen aus. Bleibt der Autoindustrie als Wachstumsventil nur der Export – angesichts der geopolitischen Lage nicht wirklich eine beruhigende Perspektive.
Weltweit dürfte die Autoproduktion bei etwa 85 Millionen stagnieren.

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