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Davon, dass Arbeitgeber ihre Angestellten von Detektiven überwachen lassen, hört man immer wieder mal. Wenn der Arbeitgeber den Betriebsrat bei der Anhörung zur Kündigung des betroffenen Arbeitnehmers dann aber auch noch bewusst täuscht, bringt es das Fass zum Überlaufen.
LAG Düsseldorf, Urteil vom 26.04.2023, 12 Sa 18/23
Der Fall hat wie so oft in Fällen außerordentlicher Kündigungen eine lange Vorgeschichte. Zum besseren Verständnis lohnt es sich, diese kurz zu beleuchten. Der entlassene Kläger war bei der Beklagten, einer größeren Druckerei, vor seinem Rauswurf fast 13 Jahre im Vertrieb beschäftigt. Seine Karriere führte ihn bis zu einem Direktor-Posten. Im Jahr 2017 – da war der Kläger bereits 60 Jahre alt – kündigte ihm die Druckerei. Der Kläger zog dagegen vor Gericht und gewann. Von nun an blieb er aber freigestellt. Erst drei Jahre später bot man ihm eine neue Stelle als Vertriebsmitarbeiter im Unternehmen an, worauf sich der Kläger nicht einließ. Eine erneute Kündigung wurde von ihm wieder vor Gericht zu Fall gebracht. Daraufhin sprach die Beklagte eine Änderungskündigung aus, gegen die der Kläger wiederum klagte, diesmal aber unterlag. Im Jahr 2022, also fast fünf Jahre nach dem ersten Rauswurf-Versuch, sollte der Kläger wieder zur Arbeit antreten, und zwar als Verkaufsmitarbeiter. Der erhob jedoch Klage auf vertragsgemäße Beschäftigung und reklamierte eine vertragswidrige Versetzung auf eine seiner Ansicht nach aus Schikane frei erfundene Position. Im Übrigen meldete er sich wiederholt krank wegen eines Rückenleidens. Das brachte den Arbeitgeber darauf, ihn von einem Detektiv beschatten zu lassen. Der beobachtete den Kläger bei diversen privaten Verrichtungen, u.a. wie er eine Autobatterie eine steile Treppe hochtrug.
Daraufhin leitete die Beklagte die Anhörung des Betriebsrats zur beabsichtigen außerordentlichen Kündigung des Klägers wegen absichtlicher Vortäuschung der Arbeitsunfähigkeit ein. Die Beklagte zeichnete ein Bild von dem Kläger als jemanden, der sich jeglicher Arbeit verweigert. In der gesamten aktiven Arbeitszeit des Klägers seit dem Ende seiner Freistellung habe es von ihm keinerlei relevante vertrieblichen Aktivitäten gegeben. Der Betriebsrat erteilte seine Zustimmung, und so kam es zur außerordentlichen Kündigung, gegen die der Kläger klagte. Außerdem verlangte er Schadensersatz wegen der Überwachung seines Privatlebens von einem Detektiv.
Der Kläger bekam der Sache nach in allen Punkten recht. Die Überwachung durch einen Detektiv war illegal, weil die Detektivüberwachung des Klägers als Datenverarbeitung nach Art. 6 DSGVO im vorliegenden Fall unverhältnismäßig und damit rechtswidrig gewesen sei. Dazu muss man wissen, dass der Detektiv bis zur Arztpraxis des Klägers vorgedrungen ist und sogar eine ehemalige Lebensgefährtin des Klägers aufgesucht hatte.
Viel interessanter ist aber die Begründung für die Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung. Nicht nur eine ohne Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 BetrVG ausgesprochene Kündigung ist unwirksam, sondern auch eine Kündigung nach fehlerhafter Anhörung. Das Gericht ging davon aus, dass die Beklagte den Betriebsrat bewusst unvollständig und irreführend unterrichtet habe. Die Anhörung lief darauf hinaus, den Kläger als arbeitsunwillig darzustellen. Tatsächlich hatte der aber eine laufende Klage wegen vertragsgemäßer Beschäftigung angestrengt und damit zum Ausdruck gebracht, dass er sehr wohl bereit war, seine Arbeitsleistung zu erbringen, nur eben zu anderen Bedingungen. Diese Tatsache kehrte die Beklagte aber völlig unter den Tisch und erwähnte sie gegenüber dem Betriebsrat mit keinem Wort. Dass die Beklagte die Relevanz der Beschäftigungsklage für die außerordentliche Kündigung nicht gesehen habe, weist das Gericht als bloße Schutzbehauptung zurück. Weil der Betriebsrat falsch unterrichtet wurde, war die Anhörung mangelhaft und damit die Kündigung unwirksam.
Die Anhörung nach § 102 BetrVG ist ein zentrales Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats in personellen Angelegenheiten. Sie stellt hohe Anforderungen an den Arbeitgeber und führt nicht selten zur Unwirksamkeit von Kündigungen. Selten liegt der Fall allerdings so eindeutig wie hier, wo das Gericht dem Arbeitgeber vorwirft, den Betriebsrat bewusst getäuscht zu haben. Es stellt sich nur die Frage, warum der Betriebsrat nicht über die Beschäftigungsklage des Klägers Bescheid gewusst hat. Schließlich soll der Betriebsrat nach § 102 Abs. 2 Satz 4 BetrVG vor Ausspruch der Kündigung den betroffenen Arbeitnehmer anhören. Stattdessen hat er der außerordentlichen Kündigung „zugestimmt“. Nun kennt das Gesetz aber im Falle der außerordentlichen Kündigung kein Widerspruchsrecht des Betriebsrats und benötigt daher auch keine Zustimmungsfiktion wie im Falle der ordentlichen Kündigung – und schon gar keine ausdrückliche Zustimmung. Der Betriebsrat kann lediglich „Bedenken“ äußern, die im Falle der außerordentlichen Kündigung aber vom Arbeitgeber folgenlos ignoriert werden können. Die hier erfolgte „Zustimmung“ war daher nicht nur überflüssig, sondern schlicht kontraproduktiv. Denn im Zweifel fällt die missglückte Kündigung nun auch auf den Betriebsrat zurück. Darum gilt in solchen Fällen: Schweigen ist Gold.
Ein weiterer Aspekt ist, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Urteils bereits die Altersgrenze von 65 Jahren erreicht haben dürfte, bzw. kurz davor stand. Da stellt sich die Frage, ob es nicht auch auf Seiten des Betriebsrats schon vorher Möglichkeiten gegeben hätte, so auf die Beteiligten einzuwirken, dass es nicht zu dieser Eskalation kommen musste. Eine derart streitige Auseinandersetzung hilft keinem und wirkt sich am Ende auch negativ auf den Betrieb aus. (mb)