Als ich vor ziemlich genau vier Jahren die erste Fassung dieses Artikels geschrieben habe, wirbelte die Corona-Krise das Wirtschaftsleben auch in Deutschland gehörig durcheinander. Dinge, die vorher in vielen Unternehmen kaum denkbar waren, wurden völlig selbstverständlich: Home-Office, Videokonferenzen, selbst Betriebsratssitzungen online – die Liste der Veränderungen ist lang.
Mittlerweile ist Corona nahezu Geschichte. Einige Dinge sind geblieben, einige wieder verschwunden, andere (wie zum Beispiel die Regeln für mobiles Arbeiten) werden zum Teil noch heftig diskutiert. Und dennoch gilt leider: Nach der Krise war vor der Krise.
Vieles spricht für ein Erstarken der „Vertrauensvollen Zusammenarbeit“.
Eine Zeit der intensiven Mitbestimmung
Der Krieg in der Ukraine und im Schlepptau erst eine Energie- und Rohstoffkrise, jetzt eine in vielen Branchen zu beobachtende Wirtschaftsflaute. Dazu kommen Bürokratieprobleme und Fachkräftemangel. Für viele Betriebsratsgremien in Deutschland gilt weiterhin: Verhandeln findet im Krisenmodus statt.
Rein rechtlich betrachtet sind Krisenzeiten auch Zeiten intensiver Mitbestimmung. Viele Entscheidungen, die jetzt getroffen werden müssen, hängen von der Zustimmung des Betriebsrats ab. Gleichzeitig führt der weit verbreitete Mangel an Fachkräften in vielen Branchen dazu, dass es eben nicht mehr ausreicht, das Wohl und die Motivation der Mitarbeiter nur in Sonntagsreden im Munde zu führen. Viele Betriebsräte, die dies über viele Jahre hinweg völlig erfolglos als Argument angeführt haben, rennen bei ihren Arbeitgebern auf einmal offene Türen ein. So gesehen spricht vieles für ein Erstarken der „Vertrauensvollen Zusammenarbeit“.
Auf das Verhandlungsgeschick kommt es an
Der Blick auf die praktische Umsetzung zeigt allerdings häufig ein anderes Bild. Viele Entscheidungen werden im Krisenmodus sehr kurzfristig getroffen. Damit wächst der Zeitdruck, unter dem Betriebsräte entscheiden müssen. Gleichzeitig bleibt der „kurze Dienstweg“, über den sich sonst Informationen beschaffen oder Kompromisse vorbereiten lassen, aber schwierig, weil viele Mitarbeiter im Home-Office arbeiten und deshalb Kantinen, Kaffee- und Raucherecken verwaist sind. Aus dem gleichen Grund muss sich auch die Öffentlichkeitsarbeit vieler Betriebsräte verändern. Und nicht zu vergessen die sehr wichtige Frage: Nutzen einige Arbeitgeber die Krisen womöglich auch aus, um unpopuläre Entscheidungen unter dem Mantel krisenbedingter „Notwendigkeit“ durchzusetzen? Damit ist klar: Auch in den kommenden Monaten wird Verhandlungsgeschick notwendig sein. Ganz praktisch gedacht, gilt es zu klären: Was müssen Betriebsräte tun, um auch in Krisenzeiten erfolgreich zu verhandeln?
Ein Satz sei zur Beruhigung vorausgeschickt: Verhandlungsführung muss nicht neu erlernt werden. Das klassische Handwerkszeug behält natürlich seine Gültigkeit. Die richtige Frage zum richtigen Zeitpunkt ist weiterhin hilfreich. Eine gute Rollenverteilung im Verhandlungsteam funktioniert gleichermaßen vor Ort wie in der Videokonferenz. Und ohne klar formulierte Ziele und passende Alternativen geht es auch heute nicht. Wer als Betriebsrat aber gestärkt aus der Krise hervorgehen möchte, sollte im Krisenmodus einige zusätzliche Punkte beachten.
Was liegt den Mitarbeitern in der aktuellen Lage am Herzen?
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser
Krisenzeiten sind schnelllebig. Seien Sie bei der Informationsbeschaffung deshalb aktiver als sonst. Vielleicht lässt sich wenigstens hin und wieder ein zusätzliches Jour fix auch zwischen den Monatsgesprächen vereinbaren. Oder der Wirtschaftsausschuss tagt häufiger als üblich. Und nutzen Sie im Bedarfsfall auch andere persönliche Kontakte in möglichst alle Abteilungen oder Bereiche Ihres Unternehmens, um auf dem Laufenden zu bleiben. Nehmen Sie auch mal den Telefonhörer in die Hand, um zu hören, was Sie früher vielleicht in der Raucherecke erfahren haben. Erkundigen Sie sich aktiv nach allem, was den Mitarbeitern in der aktuellen Lage am Herzen liegt.
Das Rad nicht neu erfinden
Neue Probleme erfordern neue, kreative Lösungen. Eine erfolgreiche Verhandlungsführung setzt voraus, nicht immer nur auf - vermeintlich - alternativlose Vorschläge der Gegenseite zu reagieren. Viele Gremien haben derzeit dieselben Sorgen. Nutzen Sie deshalb Ihre Kontakte im Gesamt- oder Konzernbetriebsrat, zu den Gewerkschaften oder in anderen Netzwerken, um zu erfahren, welche Lösungen für die anstehenden Probleme dort gefunden wurden. Es ist im Zweifelsfall immer besser, mit eigenen konkreten Vorschlägen zu einer anstehenden Thematik in die Verhandlung zu gehen.
Nehmen Sie sich die Zeit für notwendige Beratungen.
Herr des Verfahrens bleiben
In der Politik gilt der Grundsatz: Krisenzeiten sind Zeiten der Exekutive, also der Regierungen. Doch genau wie Parlamente tun sich auch Betriebsratsgremien mit kurzfristigen Entscheidungen eher schwer. Das Gebot der Stunde ist allerdings nicht, sich dem Zeitdruck durch ein taktisches Verzögern zu entziehen. Vieles muss tatsächlich sehr kurzfristig beschlossen werden. Nehmen Sie sich dennoch die Zeit für notwendige Beratungen. Treffen Sie sich im Bedarfsfall häufiger als sonst im Gremium oder in den entsprechenden Ausschüssen. Vereinbaren Sie Spielregeln mit dem Arbeitgeber, wann und in welcher Form Vorlagen oder Informationen an den Betriebsrat geleitet werden, damit Entscheidungen zeitnah aber trotzdem fundiert getroffen werden können.
Nicht die Spielregeln diktieren lassen
Kritisch wird es zum Beispiel dann, wenn der Arbeitgeber Sie mit Informationen füttert, Ihnen parallel aber verbieten möchte, diese an die Belegschaft weiterzugeben. Nicht jede angemahnte Geheimhaltung ist auch tatsächlich juristisch erforderlich. Gerade in Krisenzeiten läuft die Gerüchteküche auf Hochtouren. Die Mitarbeiter erwarten zurecht, von ihrem Betriebsrat auf dem Laufenden gehalten zu werden. Gehen Sie im Zweifelsfall aktiv auf Ihren Arbeitgeber zu und fordern notwendige Informationen ein. Kündigen Sie aber auch an, wann und welche Informationen Sie an die Belegschaft weitergeben werden. Und lassen Sie sich keinesfalls von der Drohung der Arbeitgeberseite einschüchtern, Ihnen deswegen keine Informationen mehr zukommen zu lassen.
Krisenzeiten sind Zeiten für Deals
Neue Herausforderungen führen oft zu Lösungen in juristischen Grauzonen. Nutzen Sie das für Deals. Lassen Sie bei Vorschlägen des Arbeitgebers auch mal fünf grade sein, wo dies vertretbar und im Sinne der Belegschaft sinnvoll ist. Nutzen Sie gerade jetzt auch die Möglichkeit „weiche“ Verhandlungsergebnisse zu erzielen, also z.B. Regelungen auf Probe oder zeitlich befristete Vereinbarungen. Wenn Sie es für machbar befinden, können Sie einer Sache z. B. auch mal ohne 100-prozentige Kontrollmöglichkeit zustimmen. Sprechen Sie Ihr Entgegenkommen aber deutlich aus und fordern Sie dafür im Gegenzug Zugeständnisse bei Themen, die Ihnen am Herzen liegen. Allerdings gilt: Deals funktionieren nur auf Gegenseitigkeit.
Denken Sie auch an Videobotschaften.
Flankierende Öffentlichkeitsarbeit
Noch immer sind in vielen Firmen große Teile der Belegschaft zumindest teilweise im Home-Office. Häufig wird das auch so in der Zukunft bleiben. In diesem Fall entfallen viele Möglichkeiten des Betriebsrats, die Mitarbeiter über die aktuelle Lage des Unternehmens auf dem Laufenden zu halten – Kantinengespräche, Flurfunk, Raucherecken, Gespräche vor Ort. Daraus entsteht die Gefahr, dass die Belegschaft hauptsächlich aus offiziellen „Arbeitgeber-Kanälen“ informiert werden. Andererseits besteht umgekehrt die Chance für Sie, sich als Betriebsrat dadurch zu profilieren, dass Sie es sind, die die Mitarbeiter auf dem Laufenden halten. Machen Sie also bekannt, an welchen Themen der Betriebsrat dran ist, welche Positionen er vertritt und warum es bei manchen Themen nicht vorangeht. Verlieren Sie nicht die „Deutungshoheit“ in der betriebsinternen Wahrnehmung des Unternehmens.
Allerdings setzt dies voraus, dass Betriebsräte bereit sein müssen, in der Öffentlichkeitsarbeit auch neue Wege zu gehen. Mitarbeiter kommen eben nicht mehr zur Betriebsversammlung, wenn sie eigentlich gar nicht im Büro sind. Auch Aushänge sind viel weniger effizient, wenn an den Schwarzen Brettern kaum noch jemand vorbeikommt. Überall da, wo also klassische (analoge) Methoden der Öffentlichkeitsarbeit immer weniger funktionieren, empfiehlt sich der Einsatz digitaler Möglichkeiten. Achten Sie gerade jetzt auf eine gut erreichbare und übersichtlich gestaltete Intranetseite des Betriebsrats. Nutzen Sie E-Mails, um auf neue Informationen aufmerksam zu machen. Verlinken Sie diese Mails direkt auf die entsprechende Seite im Intranet – und nicht allgemein auf die Startseite, von der aus man die gewünschten Informationen erst wieder im Unter-Unter-Unter-Menü findet (falls überhaupt). Und denken Sie – unabhängig von aktuellen Krisen - auch an andere neue Methoden wie Videobotschaften oder Tutorials. Die Generation von Menschen, die mit Youtube und Instagram aufgewachsen sind, steigt gerade massiv ins Berufsleben ein. Als Betriebsrat sollten Sie diese neuen Kollegen nicht verlieren.